Musik kann und darf es nicht umsonst geben

Interview mit Joachim Kirschstein, Marketingleiter bei Universal Music, über das neue deutsche Musikportal popfile.de

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Mit großem Brimborium startet Universal Music heute mit popfile.de das erste Download-Angebot einer großen Plattenfirma in Deutschland. Dem kürzlichen Umzug nach Berlin sowie dem Wahlkampf verdankt es Labelchef Tim Renner, dass er den Startschuss heute Mittag gemeinsam mit Bundeskanzler Gerhard Schröder höchstpersönlich vornehmen darf. Angekündigt hat sich der SPD-Spitzenpolitiker zumindest.

Zu Beginn - passend gelegt ins Vorfeld des Kölner Branchentreffs Popkomm - können Fans zwischen 5.000 Songs aus allen Musikgenres wählen. Bis zum Sommer 2003 soll popfile.de den größten Teil der Song-Bibliothek von Universal Music zum Download parat halten. Dabei sind Charterfolge von Künstlern wie Eminem, No Angels, Bryan Adams, Mary J. Blige, Bon Jovi, Ronan Keating oder No Doubt. Bezahlt werden kann unter anderem über die Telefon-Rechnung. Stefan Krempl sprach vor dem Startschuss mit Joachim Kirschstein, Leiter der Universal Marketing Group, über den bislang liberalsten Versuch eines großen Labels, einen Fuß in den "Markt" für digitale Downloads zu bekommen.

Die bisherigen von den großen Labels bestückten Musikbörsen kranken vor allem an zu hohen Preisen, zu wenigen Top Acts und rigiden Nutzungsbedingungen. Was wollen Sie bei Popfile besser machen?

Joachim Kirschstein: Bisher gab es viele halbherzige Versuche. Bei uns kostet jeder Song 99 Cents, und alle Tracks lassen sich auf CD brennen. Sie sind mit Wasserzeichen geschützt. Im Gegensatz zu anderen Angeboten im Netz bietet Popfile den Musikfans nicht nur das Beste aus dem umfangreichen Katalog von Universal, sondern auch die neuesten Hits - und das, bevor sie auf CD erhältlich sind. Die Dateien können zudem auf mobile Player überspielt werden.

Glauben Sie damit eine ernsthafte Alternative zu den Alles-kostenlos-Tauschbörsen im Netz etablieren zu können?

Joachim Kirschstein: Die sieben Millionen Musik-Downloads, die in Deutschland täglich getätigt werden, sind bisher gänzlich unbezahlt. Das ist ein unerträglicher Zustand für uns und die Kreativen. Kleinen Labels, für die wir wiederum eine Weiterentwicklungsplattform darstellen, geht die Puste aus. Es kommt zu erheblichen Lizenzverlusten. Was mir machen, ist nun ein erster Schritt.

Der kommt spät.

Joachim Kirschstein: Er ist überfällig, da gerade die junge Zielgruppe den Distributionsweg Internet nutzen will und auch schon seit längerem nutzt. Die Surfer hatten ja keine Alternative. Wir können die Konsumenten nicht beschimpfen, solange es kein legales Angebot gibt. Wir können uns nicht beklagen, dass die Leute ein neues Format nutzen, das den Bedingungen der heutigen Welt entspricht. Auch wollen wir Innovationen nicht behindern. Unsere eigene Philosophie ist es, Musik für alle überall auf allen Geräten verfügbar zu machen. Das heißt nicht, dass es mit den illegalen Tauschbörsen einfach so weiter gehen darf. Wir werden dort die Initiative ergreifen. Aber erst müssen wir eine Alternative bieten und öffnen dazu erstmal die Tür.

Warum sollten die im Tauschrausch Befangenen zu popfile.de eilen?

Joachim Kirschstein: Die Qualität ist besser, die Leitungen sind dank unserer Kooperation mit der Deutschen Telekom schneller und die Präsentation sowie das Suchsystem klarer als bei P2P-Börsen. Ich glaube, dass die Nutzer diesen höheren Servicegrad zu schätzen wissen.

Sie setzen auf die Kopierschutztechnik und das DRM-System von Microsoft, die allerdings schon einmal geknackt wurden. Haben Sie keine Angst vor Crackern?

Joachim Kirschstein: Bisher gibt es ein "Business", das zu 100 Prozent aus dem Graumarkt besteht. Den Künstlern und den Labels werden dabei sämtliche Einnahmen entzogen. Cracks sind angesichts dieser faktischen Verfügbarkeit fast aller Musik im Netz also nicht das Hauptproblem. Unser Thema lautet vielmehr, jetzt einen neuen, legalen Markt zu öffnen und dabei möglichst geringe Barrieren aufzubauen. Wir wollen deutlich machen, dass es Musik nicht umsonst geben kann und geben darf. Sonst ist die Pop-Vielfalt, die Musikkunst in Deutschland gefährdet.

Lässt sich popfile.de auch unter Linux oder Macintosh-Systemen nutzen?

Joachim Kirschstein: Noch nicht. Das ärgert uns. Dabei handelt es sich schließlich um eine Klientel, unter der viele Trend-Setter sind. Aber wir arbeiten daran.

99 Eurocent klingt zuerst nicht viel, aber nach einer Download-Session kann da ein stolzes Sümmchen zusammenkommen. Pressplay von Universal Music International und Sony Music hat daher seit längerem ein Abo-Modell im Angebot, dessen ursprüngliche Beschränkung auf einige Downloads jüngst sogar aufgehoben wurde. Ist ein vergleichbares "All you can eat"-Angebot für Deutschland in der Planung?

Joachim Kirschstein: Wie im normalen Handel wird es mittelfristig auch bei uns differenzierte Preismodelle geben. Wir denken an Low-level-Angebote für bestimmte Produktgruppen, da werden die Songs sicher weniger als 99 Cents kosten. Es wird aber auch top-exklusive Titel geben, die einen höheren Preis haben werden. Flatrate-Angebote und Abonnements sind ebenfalls denkbar für einzelne Musikarten. Wir wollen aber zunächst mit einem einfach Modell, eben dem Pay per Track, starten. Das ist quasi unser Markteinführungstarif.

Wann wird es für Deutschland beziehungsweise Europa ein mit listen.com vergleichbares Portal geben, in das Songs aller Major Labels einfließen?

Joachim Kirschstein: Auch daran arbeiten wir. Popfile soll keine Universal-Plattform bleiben, dort sollen sich alle vereinen. Wir sind im Gespräch mit großen Wettbewerbern. Unser Favorit ist wie bei Pressplay Sony, die würden wir als erstes gerne im Boot haben. Noch gibt es aber keine Einzelheiten über Kooperationen.

Von Universal Music International wurde jüngst kolportiert, dass die Firma gegen Peer-to-Peer-Nutzer klagen will. Gilt das auch für die deutsche Tochter?

Joachim Kirschstein: Das könnte sich höchstens um einen Musterprozess mit symbolischem Charakter handeln. Wir setzen eher auf die Attraktivität des Angebots. Außerdem dringen wir auf rechtliche Grundlagen, die unseren Markt schützen und die Vervielfältigungsrechte bei den Urhebern, den Künstlern und ihren Interessensvertretern belassen. Die Novelle der Urheberrechtsgesetzgebung bildet dabei einen Schwerpunkt für uns (Selbstverständlich darf jeder kopieren und CDs brennen!). Wir versuchen des weiteren aber natürlich auch, die den Wert der Musik nicht achtenden Plattformen zu attackieren.

Große Labels beauftragen verstärkt Firmen wie Overpeer.com, um die ungeliebte Tauschbörsen-Konkurrenz mit korrupten Dateien zu überfluten (Die Fake-Fluter). Passt das zu Ihrer Strategie?

Joachim Kirschstein: Wir haben keine solche Aktion laufen. Aber ich habe auch keine sentimentalen Gefühle, wenn die Angebote, die unsere Musikvielfalt in Gefahr bringen, unter Druck geraten. Wir setzen dabei vor allem auf unsere Interessensverbände und Institutionen. Sie werden es nicht erleben, dass wir selbst jetzt Heerscharen von Hackern einstellen.

In den USA haben Senatoren aber schon einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der die Musikindustrie zum "Hacken" von PCs von P2P-Freaks ermutigen könnte (Howard Bermans Denial-of-Service-Angriff). Halten Sie das für eine gute Idee?

Joachim Kirschstein: Ich habe volles Verständnis dafür, wenn aus der kreativen Szene heraus Guerilla-Attacken gegen alle gefahren werden, die sich bloß mit unserem Material schmücken.

Bei Popfile werden Einzelstücke verkauft, keine CDs. Läuten Sie damit nebenbei das Ende von CD-Compilations und Longplays ein?

Joachim Kirschstein: Ich denke nicht, dass Popfile das Ende des bisherigen Angebots sein wird. Wir erleben gegenwärtig eine Krise im Massenmarkt, weil die Nutzungswünsche dem Angebot nicht entsprechen. Wir werden aber weiterhin klassische Tonträger verkaufen. Nicht jeder will sich seine CD selbst brennen.