Musikkauf als Meinungsäußerung

Der Einstieg von "Ding Dong! The Witch Is Dead" in die britischen Top 10 zeigt, dass hinter Downloads häufig die gleiche Motivation steckt, wie hinter teuren Anrufen in Castingshows

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2011 forderte der schottische Science-Fiction-Schriftsteller Charles Stross, für Feierlichkeiten und Paraden zu Margaret Thatchers Todestag einen staatlichen Feiertag ausrufen. Als Hashtags fügte er diesem Tweet "#Thatcher", "#WickedWitch" und "#Dead" bei. Als die ehemalige Tory-Parteichefin am 8. April 2013 im Alter von 87 Jahren starb, gab es tatsächlich überall in Großbritannien Jubelfeiern auf den Straßen - und drei Tage später findet sich der Klassiker Ding Dong! The Witch Is Dead auf Platz 10 der britischen Musikcharts.

Das Stück aus dem regelmäßig im Fernsehen gezeigten Judy-Garland-Musical The Wizard of Oz tauchte bereits zwölf Stunden nach der offiziellen Bekanntgabe des Ablebens der umstrittenen Ex-Premierministerin auf Platz 54 der aktuellen Hitparade auf. Parallel dazu stieg eine 1961 von der Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald aufgenommene Version auf Platz 146 ein.

Wizard of Oz

Das überraschende Revival des 1939 geschriebenen Stücks hat nicht nur damit zu tun, dass es viele Briten zur musikalischen Untermalung dieser Jubelfeiern auf ihre Smartphones luden, sondern auch mit einem Wettbewerbsaufruf auf Facebook: Ding Dong Thatcher's Dead for No. 1!!!! Ähnliche Aufrufe verhalfen in der jüngeren Vergangenheit bereits einigen anderen alten Musikstücken zu einem überraschenden Charts-Comeback - wobei allerdings bislang nicht eine politische Botschaft, sondern Fantum und Event-Charakter im Vordergrund standen. Hinter den mittlerweile weit über 10.000 neuen Downloads des Stücks steckt damit weniger der Wunsch zum Hören als die gleiche Motivation wie hinter teuren Anrufen in Castingshows (die vergleichbar viel kosten): Man möchte eine Meinung äußern, zeigen, dass man etwas gut findet - und etwas anderes nicht. Und man ist bereit, Geld dafür auszugeben.

Ein spezifischer auf Margaret Thatchers Tod zugeschneiderter Song, Elvis Costellos 1988 aufgenommenes Tramp The Dirt Down stieg bei iTunes auf Platz 79 ein. In ihm prophezeit der Songwriter mit der Wayfarerbrille der Baroness of Kesteven: "When they finally put you in the ground, they’ll stand there laughing and tramp the dirt down". Andere Anti-Thatcher-Stücke, denen ein Charts-(Wieder-)Einstieg zugetraut wird, sind Merry Christmas Maggie Thatcher von Elton John (mit der Textzeile: "We all celebrate today 'Cause it's one day closer to your death"), Morriseys musikalisch eher uninteressantes Margaret On The Guillotine und She Was Only A Grocer's Daughter von den Blow Monkeys.

Der Guardian bemerkte anlässlich der Jubelhysterie von Zwanzigjährigen, die Thatcher nur als "abstraktes Konzept" kennen, dass auch sie nicht das absolute Böse war und beispielsweise dazu beitrug, dass das Fernsehprogramm der BBC heute kein Staatsgeheimnis mehr ist, auf das eine einzige Zeitung ein Veröffentlichungsmonopol hat. Die damals noch mit einem Telekommunikationsmonopol ausgestattete Post agierte Ende der 1970er Jahre ähnlich selbstherrlich und verbot alle Anrufbeantworter außer einem einzigen Modell. Selbst für das Legen einer Telefonverlängerungsschnur musste man damals einen offiziellen Techniker kommen lassen, der häufig Wochen oder sogar Monate auf sich warten ließ. Und vielen Gewerkschaften ging es nicht mehr um die Verbesserung von Arbeitsbedingung, sondern nur noch um die Aufrechterhaltung eines Status quo - was bedeutete, dass auch auf Diesel- und Elektroloks mindestens ein Heizer mitfahren musste.

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