Mutter Beimer in Guantánamo

Seite 2: Subtile Parallelen zu unserer Gegenwart

Immerhin: Andreas Dresen hat auch einen Film über die subtilen Parallelen gemacht, die sich zwischen dem damaligen, inzwischen über 20 Jahre alten Fall Kurnaz und unserer Gegenwart eröffnen.

Denn vergessen wir nicht, was heute erwiesen ist und was man damals nicht nur im Mainstream der Medien als "Lügenpropaganda" gebrandmarkt hatte: Es gab eine Zeit, da unterstützte die komplette westliche Welt einen sogenannten "Krieg gegen den Terror", bei dem eine sogenannte demokratische Regierung bewusst gefälschte Unterlagen bei der Uno vorlegte, um gewünschte Beschlüsse zu erreichen.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush. Bild: © Luna Zscharnt / Pandora Film

Es wurde manipuliert, mit Fake-News, mit falschen Zeugen und mit falschen "Experten" gearbeitet. Und in der Folge wurde ein Land angegriffen und mit Krieg überzogen, das nicht das Geringste mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte.

Es gibt nach wie vor ein demokratisches Land, das mit unserem Land nach wie vor verbündet ist. Dieses Land hat gefoltert, es unterhält auch in Europa offiziell Geheimgefängnisse, die keiner Jurisdiktion unterliegen, und es unterhält ein Lager auf dem Gebiet eines fremden Staates, für das die US-Justiz nicht zuständig ist, und über das der US-Präsident offensichtlich keine Machtbefugnis besetzt – denn es liegt ja im Ausland –, ein Ort, in dem 1.500 Soldaten 39 Häftlinge bewachen, (was den US-Steuerzahler nachweislich pro Jahr 13 Millionen Dollar pro Gefangenen kostet).

Gegen diese Gefangenen liegt keine Anklage vor. Gegen sie gibt es keinen Prozess; ihre Haftbedingungen werden nur selten und schlecht von unabhängigen Organisationen kontrolliert, und deren Gefangenschaft endet womöglich erst mit ihrem Tod.

"Wir müssen uns den Rechtsstaat zentimeterweise erkämpfen."

Es fällt schwer, beim Betrachten von Dresens Film nicht an einigen Stellen an die heutige außenpolitische Lage und zum Beispiel an den aktuellen Ukraine-Konflikt zu denken. Und an all das, was wir heute als Gewissheit ansehen. Warten wir mal ab, was hierüber in 20 Jahren gesagt werden wird.

Dies ist nicht zuletzt auch ein Film darüber, wie die Öffentlichkeit manipuliert wird, und wie sie sich manipulieren lässt. Hier liegt die unbedingte Aktualität und relative Stärke dieses Stoffes.

Der Rest... Nun ja. Dieser Film häuft Szenen und Befunde aufeinander, zieht aber keinerlei Konsequenzen daraus. Er ist weder gegen den Rechtsstaat, noch für ihn. Er nimmt eigentlich für nichts wirklich Partei – natürlich ist irgendwie schon klar, wo der Film politisch steht. Aber Dresen versagt sich alles Bekenntnis.

"Wir müssen uns den Rechtsstaat zentimeterweise erkämpfen", sagt der von Alexander Scheer glänzend gespielte Bremer Anwalt, der jahrelang für Gerechtigkeit für Murat Kurnaz kämpfte. Aber was bitte sagt das eigentlich über den Rechtsstaat?