NATO, Nord Stream und Europa: Geschäftsabschlüsse zählen

Seite 2: EU: "Bereit für eine Ausweitung des LNG-Handels mit den USA"

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Nur wenige Medien nahmen überhaupt von dem Treffen Notiz: Kritische Begriffe wie Fracking und LNG wurden weitgehend vermieden. Allein dass man im Rahmen von Arbeitsgruppen "in Kürze wieder zusammenkommt, um die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA voranzubringen", ging aus einer Pressemitteilung hervor.

Maros Sefcovic verwies anschließend vorsichtig darauf, dass die EU "bereit für eine Ausweitung des LNG-Handels mit den USA" sei. US-Außenminister Mike Pompeo forderte die EU-Staaten noch auf, sich hinter "die amerikanischen Maßnahmen zur Abschottung des Iran von den Weltenergiemärkten" zu stellen.

Von amerikanischer Seite ist das Programm glasklar und offen: Mit der Brechstange sollen Österreich, Deutschland, die Schweiz und Frankreich dazu gezwungen werden, die Erdgasimporte via Pipeline aus Russland und dem Iran einzustellen bzw. nicht weiter auszubauen. Die US-Regierung will mit allen Mitteln einen Marktzugang für teures und dreckiges Fracking-Gas in Europa erzwingen.

Dabei kooperiert sie eng insbesondere mit Polen, das sich bereits als großer Energiezwischenhändler für Mittel-Ost-Europa aufstellt. Gerade vor zwei Wochen unterzeichnete das polnische Staatsunternehmen PGNiG große Verträge mit der amerikanischen Fracking-Industrie.

Polen: Abnahme von jährlich 2 Millionen Tonnen LNG

Im Rahmen der Vereinbarungen will PGNiG von den beiden wichtigsten Erdgas-Verflüssigern über eine Laufzeit von 20 Jahren jährlich 2 Millionen Tonnen LNG abnehmen, das entspricht jeweils 2,7 Milliarden Kubikmeter Erdgas, größtenteils aus den nordamerikanischen Fracking-Feldern.

Die nordamerikanische Energie-Industrie richtet sich mit massiver Unterstützung der Regierung darauf aus, an der gesamten Atlantik-Küste, bis hoch nach Kanada, Export-Terminals für LNG aufzubauen. Mithilfe von Steuermitteln aus den EU-Haushalt bauen Polen, die baltischen Staaten, Kroatien und selbst Georgien an den dazu passenden Import-Strukturen.

Angeführt von Polen sind dies genau diejenigen Staaten, die in Brüssel mit allen Mitteln die Erweiterung von Nord Stream verhindern wollen. Die Ostsee-Pipeline wird ab dem kommenden Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr zusätzlich in das Gebiet der Europäischen Union leiten. Dieses Projekt wird nicht nur die Preise für konventionell gefördertes Pipeline-Gas senken.

Preissenkung über Nord Stream 2

In ihrer Studie zu den Auswirkungen von Nord Stream 2 gehen Harald Hecking und Florian Weiser sogar davon aus, dass das Projekt die weltweiten Preise für LNG-Importe drücken wird:

Die Preisbildung auf den europäischen Gasmärkten kann als Ergebnis des Wettbewerbs zwischen LNG und russischem Pipelinegas verstanden werden. Wenn Nord Stream 2 verfügbar ist, kann Russland mehr Gas in die EU liefern, was den Bedarf an teurerem LNG verringert. Daher sinkt der Einfuhrpreis für die verbleibenden LNG-Mengen, wodurch sich das Preisniveau in der EU-28 insgesamt verringert.

Harald Hecking und Florian Weiser

Dieses Szenario, das auch Analysten teilen, die der amerikanischen Energiepolitik näher stehen, ist die eigentliche Erklärung für die teilweise irrationalen Angriffe, welche die besonders intimen Freunde der US-Außenpolitik auf das russische Projekt fahren.

Die Ukraine

Den Gipfel der Absonderlichkeit bietet dabei die Regierung in Kiew. Obwohl das Land inzwischen vollständig aus der EU mit Erdgas versorgt wird, inszeniert sich die Poroschenko-Regierung, als ob von den Durchleitungsgebühren, welche Gazprom an Naftogaz abführen muss, das volkswirtschaftliche Überleben des Landes abhinge.

Tatsächlich hat das Staatsunternehmen Naftogaz von den jährlich etwa 2 Milliarden Euro laut seiner eigenen Jahresbilanzen bisher überhaupt nichts an den ukrainischen Staatshaushalt abgeführt. Im Gegenteil: Bis einschließlich 2015 musste der ukrainische Steuerzahler das größte Energieunternehmen des Landes sogar zusätzlich subventionieren, weil Naftogaz angeblich ein Defizit erwirtschaftete.

Wie dieses angebliche Defizit entstand, können wahrscheinlich nur die zahlreichen ukrainischen Politiker erklären, die in den Vorständen der verschiedenen Naftogaz-Unternehmungen abgefüttert werden.

Der vorläufige Kompromiss in dieser Angelegenheit lautet, dass Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch von Wladimir Putin die Zusicherung erhielt, dass Gazprom die Wegelagerei der ukrainischen Politiker auch zukünftig bedient, auch wenn Nord Stream 2 fertig gestellt ist.

"Nach dem Start für Nord Stream 2 ist nicht geplant, den Transit von Gas über die Ukraine einzustellen", erklärte der russische Staatschef bei der Pressekonferenz mit Angela Merkel im Mai in Sotschi. Einschränkend schob er allerdings hinterher, Russland werde die Gaslieferungen fortsetzen, "solange diese wirtschaftlich gerechtfertigt sind".

Dieser Kompromiss hindert unterdessen Polen und andere zuverlässige US-Partner innerhalb der EU nicht daran, weiterhin Nord Stream 2 anzugreifen. Die polnische Regierung dringt mit osteuropäischer und skandinavischer Unterstützung weiterhin darauf, dass die EU-Kommission die Zuständigkeit für die Pipeline an sich zieht - natürlich um das Projekt zu beerdigen.

Trump setzt auf Steigerung der LNG-Exporte

Und auch für Donald Trump ist das Thema keineswegs beendet, wie er in den vergangenen Tagen deutlich machte. Im vergangenen Jahr haben die in den USA aktiven Unternehmen ihre Exporte von Flüssiggas bereits um das Vierfache gesteigert.

Laut einer aktuellen Studie des amerikanischen Energieministeriums kann die Trump-Regierung davon ausgehen, dass ein Szenario mit niedrigen Gaspreisen erhebliche volkswirtschaftliche Mindereinnahmen verursachen wird.

Verglichen mit dem Niveau von 2017 sollen sich die Exporte zukünftig um das Zehnfache steigern. Die an dem Konflikt beteiligten Energie-Unternehmen stellen sich unterdessen breit auf: So finanzieren etwa Shell und Uniper nicht nur Nord-Stream 2.

Aktuell will die deutsche Uniper auch in das Goldboro-LNG-Terminal in Kanada einsteigen, das im Wesentlichen aus dem größten amerikanischen Fracking-Feld, der Marcellus-Formation im Nordosten der USA, versorgt werden wird.

Anlässlich der letzten Hauptversammlung von Uniper kritisierte die Umweltorganisation Urgewald, dass das deutsche Unternehmen den Bau des neuen Terminals für LNG an der kanadischen Ostküste durch langfristige Abnahmeverträge überhaupt erst ermögliche.

Die kanadische Energiefirma Pieridae Energy will von dort künftig bis zu 10 Millionen Tonnen Gas pro Jahr liefern. Davon verspricht Uniper eine garantierte jährliche Abnahme von 4,8 Millionen Tonnen für die nächsten 20 Jahre. Die Bundesregierung wird das Geschäft zwischen Uniper und Pieridae Energy mithilfe von Garantien in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar sogar absichern.

"Die Nutzung von LNG als Energieträger ist extrem teuer und klimaschädlich. Die zusätzliche Energie, die benötigt wird, um das Gas zu verflüssigen, zu exportieren und wieder in den Ursprungszustand zu versetzen, verschlechtert die Klimabilanz von LNG erheblich", so Regine Richter von Urgewald. Darüber hinaus müssten für das Gas aus Kanada viele neue Quellen erschlossen werden, teilweise mittels der gefährlichen Fracking-Technologie, die in Deutschland weitgehend verboten ist.