NS-Verbrechen: Viele Mörder und ihre Helfer konnten in Frieden sterben

Juristische Einordnung zu Sachsenhausen: Links Opfer, rechts Täter. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-78612-0002 / Unknown author, CC-BY-SA 3.0

Deutsche Justiz geht vermehrt gegen greise Nazi-Funktionäre vor. Doch dieser Schwenk kommt zu spät. Warum vor allem der Bundesgerichtshof in der Kritik steht.

Josef S. ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen, ist kürzlich im Alter von 102 Jahren gestorben. Er hatte bis zuletzt seine Zugehörigkeit zur Wachmannschaft bestritten. Dennoch wurde er letztes Jahr vom Landgericht Neuruppin wegen Beihilfe zum Mord zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen diese Entscheidung legte sein Verteidiger Revision ein. Zur Begründung wird er in einer Pressemeldung wie folgt wiedergegeben:

Der BGH habe in seiner bisherigen Rechtsprechung die bloße Tätigkeit in einer KZ-Wachmannschaft als nicht ausreichend für eine Verurteilung wegen Beihilfe zu den NS-Verbrechen gesehen, erklärte er zur Begründung. Konkrete Taten bei Morden an Häftlingen waren dem Angeklagten in dem Prozess nicht nachgewiesen worden.

Wie der Bundesgerichtshof im Fall von Josef S. entschieden hätte, bleibt Spekulation. Tatsache ist aber: Mit der Entscheidung im Fall von Oskar Gröning (Az. 3 StR 49/16), dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz, existiert bereits ein Judikat, in dem die Karlsruher Richter die bloße Lagertätigkeit des Angeklagten – als Buchhalter – für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum organisierten Massenmord haben ausreichen lassen. Denn: Auch als Buchhalter trug der Angeklagte dazu bei, die Abläufe im Lager und die Mordmaschinerie aufrechtzuerhalten.

Während seines Dienstes an der Rampe war Oskar Gröning zudem "Teil einer Drohkulisse", wurde argumentiert. Insofern lässt sich eine Parallele zum Fall von Josef S. ziehen und sagen, dass bereits die Zugehörigkeit zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers als Begründung für eine strafbare Beihilfe dienen kann. Nach dem Willen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kommt es also gerade nicht (mehr) darauf an, "konkrete Taten bei Morden" nachzuweisen.

Diese vom Bundesgerichtshof im Fall von Oskar Gröning vertretene Sichtweise kann man nur begrüßen. Sie markiert einen Wendepunkt im Umgang mit den Mordtaten der Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern. Und der war bitter nötig.

Im Gegensatz zu früheren Entscheidungen, vor allem bezogen auf die sogenannten Frankfurter Auschwitzprozesse, erkennt der Bundesgerichtshof jetzt auch die "bloße" allgemeine Dienstausübung in einem Konzentrationslager als Handlung an, die eine strafbare Beihilfe begründen kann. Dadurch ist es möglich, auch gegen die kleinen Rädchen im Getriebe, also gegen das Personal in den Konzentrationslagern insgesamt vorzugehen.

Leider kam diese Kehrtwende sehr spät – oftmals zu spät. Denn viele Täter sind bereits verstorben. Nun müssen Opfer und Angehörige damit umgehen, dass diese Täter jahrzehntelang unbehelligt von Strafverfolgung in der Bundesrepublik leben konnten. Sie erhalten keine Genugtuung. Das ist die beschämende Seite dieser Rechtsprechung.

Einer, der schon immer – und vielfach gegen den Widerstand der Nachkriegsgesellschaft – die konsequente Verfolgung von Nazi-Verbrechen gefordert hatte, war Fritz Bauer, Sozialdemokrat und ab 1956 Generalstaatsanwalt in Hessen. Er wirkte als Chefankläger an den Frankfurter Auschwitzprozessen mit. In seinem 1967 in der "Juristenzeitung" erschienenen Aufsatz bringt er auf den Punkt, worauf es bei der Beurteilung von strafbaren Beihilfehandlungen in Konzentrationslagern ankommen soll:

Schon die Anwesenheit ist psychische Beihilfe (…). Jeder stützt den Nächsten, er macht ihm das kriminelle Tun leichter. Die Opfer während seines Lageraufenthaltes sind ihm zuzurechnen.

Im Fall von Oskar Gröning lässt der Bundesgerichtshof diesen Aufsatz freilich unerwähnt – und das, obwohl durch die Entscheidung eine klare Tendenz zum Ansatz von Bauer spürbar wird.

Auch bleibt es angesichts der fortgeschrittenen Zeit fraglich, ob der Bundesgerichtshof überhaupt noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich zu Fragen der Beihilfe beim nationalsozialistischen Massenmord zu positionieren – vielleicht ja im Fall von Irmgard F., einer früheren KZ-Sekretärin.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.