NSU: Der So-tun-als-ob-Untersuchungsausschuss

Seite 4: Brisante Aussagen kommen neu ans Licht

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Nun scheint der Fall Florian H. den Ausschuss einzuholen. Am Tag, als der Abschlussbericht in den Landtag eingebracht wurde, am 20. Dezember 2018, erschien in der Welt eine Recherche von Stefan Aust, bei der es auch um Florian H. geht. Wie der Autor dieses Textes war auch Aust als sachverständiger Zeuge vor dem BaWü-Ausschuss Nummer 1 aufgetreten.

Im Zentrum des Welt-Artikels steht ein Polizeivermerk vom 5. November 2011. Am 4. November 2011 starben Böhnhardt und Mundlos. In ihrem Wohnmobil in Eisenach fanden sich auch die beiden Dienstpistolen der 2007 in Heilbronn angegriffenen Polizisten. Deshalb fuhren Beamte des LKA von Baden-Württemberg kurz darauf nach Thüringen, um bei den Ermittlungen mitzuhelfen. Das Lagezentrum befand sich bei der Polizeidirektion (PD) in Gotha.

Über die dortigen Besprechungen fertigten die Baden-Württemberger eigene Notizen an. In ihnen stehen brisante Aussagen, wie zum Beispiel: "[...] Die Zielfahndung nach dem Trio wurde 2002 eingestellt. Es wurde bekannt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Zielpersonen abdecke." Oder: "Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird." Oder: "Zumindest eine Person des Trios soll bis 2003 Mitarbeiter des Staatsschutzes gewesen sein." Oder auch: "Das Trio oder ein Teil war nah an den Verfassungsschutz oder den Staatsschutz angebunden, hatte mit denen zu tun, was auch immer." Die Vermerke tragen die Unterschrift einer Kriminalbeamtin des LKA von BaWü.

Der Drexler-Ausschuss hat dieses Dokument jedoch nie behandelt. Das ist schon erstaunlich genug. Nun macht die Welt auf eine weitere Information in diesen Vermerken aufmerksam, die einen Zusammenhang des NSU mit Heilbronn herstellt und bis zu dem toten Zeugen Florian H. führt.

Bei den Lagebesprechungen soll es, wie die Welt schreibt, auch um Banküberfälle gegangen sein, die dem Trio zugerechnet wurden. Und in dem Polizeivermerk vom 5. November 2011 finde sich dann der wörtliche Hinweis: "S. oder so = Nazi in Heilbronn."

Vom Plan eines Banküberfalles in Heilbronn hatten in der Vergangenheit bereits zwei Zeugen gesprochen: ein ehemaliger Verfassungsschutz-Beamter aus Stuttgart und der Hinweisgeber, auf den er sich bezog, selber ein ehemaliger V-Mann. Beide wurden vom ersten Untersuchungsausschuss vernommen. Telepolis hat darüber berichtet.

Nach dem Vermerk, der der Welt vorzuliegen scheint, soll es sich bei dem "Nazi S." um "Kai Ulrich S." aus Ilsfeld bei Heilbronn handeln. Der trug den Spitznamen "Thule" und war in der Szene nicht nur als Tätowierer zum Beispiel von Hakenkreuzen bekannt, sondern auch als Waffenbeschaffer. Im ersten NSU-Untersuchungsausschuss wollte der Chef des polizeilichen Staatsschutzes in Heilbronn zu "Uli" aus "Ilsfeld" nur in nicht-öffentlicher Sitzung Auskunft geben. War vielleicht auch da eine Quelle im Spiel?

Damals, im April 2015, identifizierte dann im Ausschuss einer von Florian H.s besten Kameraden diesen "Uli" aus "Ilsfeld" auf einem Foto. Er hatte persönlich Kontakt zu ihm gehabt. Damit ergäbe sich eine direkte Kette vom NSU-Trio in Thüringen über einen Heilbronner Nazi bis zu dem Aussteiger Florian H. Und dessen Bekundungen, er wisse, wer die Polizistin Kiesewetter ermordet habe, bekämen ein Fundament.

Warum aber ein Ausschuss, der vorgibt, Helfer und Unterstützer von Böhnhardt und Mundlos aufzuspüren, aber demonstrativ an der Zwei-Täter-Böhnhardt-Mundlos-Theorie klebt und zugleich Spuren zuschüttet, die von den beiden auch in andere Kreise führen, ist erklärungsbedürftig. Offensichtlich will er gar nicht aufklären, sondern nur so tun als ob.

Der ungeklärte Polizistenmord von Heilbronn: Nach den Hinweisen, dass es sich um eine größere Operation gehandelt haben kann, unter Beteiligung von Böhnhardt und Mundlos, ergeben sich seit dem November 2011 immer mehr Hinweise auf eine zweite "Operation": die aus eigenem staatlichen Selbstverständnis heraus quasi konzertierte Verhinderung der Aufklärung, unter Beihilfe eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Dass der als Konsequenz seiner "Untersuchungen" unter anderem vorschlägt, das Landesamt für Verfassungsschutz zu stärken, kann nicht einmal mehr als Nachricht durchgehen.

Fazit

Trotz alledem: Auch der schlechteste Untersuchungsausschuss ist besser als gar kein Untersuchungsausschuss. Denn im schlechtesten Falle sieht man zumindest, welche Spur von wem verbarrikadiert wird.

Und man erfährt etwas über den gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die Abgeordneten bewegen, die nicht aufklären wollen: Eine Legislative, die das Handeln der Sicherheitsbehörden deckt. Und deren Handeln wiederum durch lokale und regionale Medien gedeckt wird, etablierte genauso wie sogenannte alternative. Früher nannte man das Hofberichterstattung. Es ist in der Tat beschämend, wie billig dieser Ausschuss in vielen Medien davon kommt.

Jedenfalls sind sie Teil einer politischen Ordnung, die den NSU-Skandal nicht aufklären will, weil sonst diese Ordnung in Frage gestellt sein könnte. Ihr gegenüber steht eine kritische, aber kleine Zivilgesellschaft, die nicht die Mittel besitzt, den NSU-Skandal zu lösen. Und dazwischen die Mehrheitsgesellschaft, der das Problem gleichgültig ist - oder die gleichgültig gemacht wird.