NSU: Der So-tun-als-ob-Untersuchungsausschuss

Seite 3: Neonazi-Szenen und Quellen

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Der Ausschuss, so sein selbstgestellter Auftrag, wollte Helfer der Polizistenmörder Böhnhardt und Mundlos in der rechtsextremen Szene finden. Er fand keine. Aber er machte einen Beifang, der nicht weniger interessant ist, weil er etwas über den Gesamtkomplex aussagt: Beispiele für die Durchdringung der Neonazi-Szenen durch die Polizei.

Beispiel Heilbronn: Ein Keller, in dem sich Neonazis weit über die Stadt hinaus trafen, unter anderem Nicole S., die von 2013 bis 2018 in München den Angeklagten Ralf Wohlleben verteidigte, aber auch Szenemitglieder aus Chemnitz - dieser Keller war komplett unter Kontrolle des Staatsschutzes. Der Betreiber kooperierte konspirativ mit der Polizei, außerdem mindestens ein weiterer Anwesender.

Ähnliches gilt für die Neonazi-Band "Noie Werte", mit deren Musik zwei Vorgängerversionen der späteren NSU-Taten-Videos unterlegt waren. Bei ihren Konzerten war nicht selten Polizei inkognito anwesend - und die Band wusste davon und hielt still. Im Ausschussbericht dazu kein Wort.

Stephan L. war einst deutschlandweit aktiver Rechtsextremist, Chef der Deutschland-Division des militanten Netzwerkes Blood and Honour (B&H), in dem sich in Sachsen auch das NSU-Kerntrio bewegte. Im September 2000 wurde die Organisation verboten. L. soll außerdem ein Ex-V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gewesen sein. Bei B&H fungierten zahlreiche Führungskader als Quellen von Sicherheitsbehörden. Wer nun glaubte, der Ausschuss werde den Zeugen L. nutzen, um etwas Hintergründiges zu erfahren, wurde enttäuscht. Tatsächlich folgte ein weiteres Paradestück der Vernebelung.

Auf die Frage, ob er V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen sei, verweigerte L. die Antwort mit der Begründung, er könne sich sonst strafbar machen, weil er möglicherweise Dienstgeheimnisse offenbare. Streng betrachtet, konnte man das als positives Eingeständnis werten. Denn, wenn er kein V-Mann gewesen wäre, könnte er auch kein Dienstgeheimnis verletzen.

Doch der Ausschuss brach an dieser Stelle die öffentliche Befragung ab, um in nicht-öffentlicher Sitzung zu klären, ob das Aussageverweigerungsrecht zu Recht bestehe. Sonst könnte ja jeder kommen und mit der Begründung, keine Dienstgeheimnisse verletzen zu wollen, die Auskunft verweigern, so der Ausschussvorsitzende Drexler.

Was er verschwieg: Der Ausschuss hatte das im Falle Stephan L. tatsächlich längst geprüft. Er hatte das BfV vorab um eine Aussagegenehmigung gebeten, doch das Bundesamt hatte mit der Begründung abgelehnt, es äußere sich grundsätzlich nicht zu Quellen - weder positiv noch negativ.

Nicht-öffentliche Vernehmung

Indem der Ausschuss nun an dem Punkt, als es um die Spitzeltätigkeit des Zeugen ging, die öffentliche Vernehmung in eine nicht-öffentliche umwandelte, stellte er den Ex-V-Mann praktisch unter Schutz. Aus der nicht-öffentlichen Sitzung erfuhr man nichts mehr.

Und als der Ausschussvorsitzende in der Presserunde gefragt wurde, ob sich das Gremium nicht um eine Aussagegenehmigung beim BfV bemüht habe, verweigerte Drexler die Antwort grundsätzlich: Die Auskunft des BfV könnte Rückschlüsse zulassen, ob L. V-Mann war oder nicht. Ein solcher Rückschluss war nach der offen gelassenen Auskunft des BfV gegenüber dem Ausschuss aber gerade nicht möglich. Die Stellungnahme des BfV hätte der PUA-Vorsitzende jederzeit wiedergeben können.

Er tat es nicht, weil dann die Vernehmung des Zeugen L. öffentlich hätte fortgesetzt werden müssen. Und gerade das sollte offensichtlich vermieden werden. Das Parlament betrieb die Geschäfte einer Sicherheitsbehörde, ohne dass die einräumen musste, L. sei ihr V-Mann gewesen. Tatsächlich geht auch der Ausschuss davon aus, dass der ehemalige B&H-Deutschlandchef für den Verfassungsschutz gearbeitet hat.

Für die Baden-Württemberger war der Berliner Stephan L. deshalb ein Zeuge, weil er mit einem anderen Rechtsextremisten im Südwesten zusammenhing und zeitweise bei ihm wohnte: Markus Fr., der jahrzehntelang in der Szene eine zentrale Rolle spielte. An zahlreichen Neonazi-Gruppierungen war er beteiligt, viele Zeugen aus der Szene kannten ihn, überall tauchte er auf - bei Blood and Honour, Furchtlos und Treu, Ku Klux Klan.

Ein Bundestagsabgeordneter, der in einem NSU-Untersuchungsausschuss saß und dem auch die Nähe von Rechtsextremisten und Sicherheitsbehörden aufgefallen war, sagte einmal, von Interesse seien nicht in erster Linie die jungen Neonazis. Die seien oft nur ein, zwei Jahre dabei und verschwinden dann wieder. Wirklich interessant seien vor allem die alternden Kader, die zehn, zwanzig Jahre die Szene beherrschten. Sie sind es, unter denen man mannigfach Verbindungen zu den Sicherheitsbehörden findet.

... und "Nicht-Befragung"

Zu diesen älteren Aktivisten zählt Markus Fr. Auch bei ihm gibt es einen begründeten Verdacht, er könnte mit einer Sicherheitsbehörde kooperiert haben. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss sagte eine ranghohe Kriminalbeamtin des baden-württembergischen LKA, die Person Fr. sei "eingestuft", sie dürfe zu ihm keine Auskunft geben. Einstufungen sind Geheimhaltungsgrade.

Als Fr. vor dem Ausschuss in Stuttgart erscheinen musste, geriet die Zeugenvernehmung zu einer Art Märchenerzählung des Neonazis. Ereignisse spielte er herab, seine Rolle banalisierte er, Sachverhalte, die als gesichert anzusehen sind, bestritt er. Der Ausschuss ließ es geschehen.

Markus Fr. hatte auch Kontakt zu Florian H., einem Jugendlichen, der etwa ein Jahr in der Neonazi-Szene von Heilbronn mitmachte, dann aber aussteigen wollte. Schon vor dem Auffliegen des NSU im November 2011 hatte Florian H. gegenüber mehreren Personen gesagt, er wüsste, wer in Heilbronn die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter erschossen habe.

Und als 2013 in München der Prozess gegen fünf Angeklagte begann, meinte Florian H., es müssten noch andere Personen auf der Anklagebank sitzen. Am 16. September 2013 wollte ihn das LKA erneut zum Heilbronn-Mord und zum NSU befragen. Am Morgen verbrannte er in Stuttgart unweit des LKA-Sitzes in seinem Auto. Ob es sich um Selbstmord handelte oder um Mord, ist bis heute nicht geklärt.

Mehrere Zeugen haben bestätigt, dass Markus Fr. Florian H. gut kannte. Die Aussagen liegen dem Ausschuss vor. Als Fr. bei seinem Auftritt im Landtag danach gefragt wurde, verneinte er. Der Name Florian H. sage ihm nichts. Der Ausschuss konfrontierte ihn nicht mit den anderslautenden Bezeugungen. Er ließ ihn sehenden Auges entkommen. Die Zeugenvernehmung erschien wie eine Pro-Forma-Veranstaltung. Dabei stellen sich grundlegende Fragen: Was weiß Fr., was Florian möglicherweise wusste? Weiß Fr. etwas über die Hintergründe von dessen Tod? Und wenn Fr. tatsächlich als Informant einer Behörde unterwegs war, gibt es dann Akten, in denen sich entsprechende Erkenntnisse finden?

Lange hatte sich der Ausschuss um den Zeugen Fr. gedrückt, schließlich musste er ihn laden. Doch die "Nicht-Befragung" dieser zentralen Neonazi-Figur in Baden-Württemberg stellte einen Tiefpunkt der Ausschusstätigkeit dar. Das Gremium camouflierte seine Verweigerung nicht einmal mehr notdürftig. Es wollte offenbar nur noch raus und die Arbeit so schnell wie möglich beenden. Eigentlich bestünde dazu keine Notwendigkeit, die nächste Landtagswahl steht erst 2021 an.

Tiefe Enttäuschung

Rechtsanwalt Walter Martinek, der den Polizeibeamten Martin A. vertritt, der in Heilbronn lebensgefährlich verletzt wurde, als seine Kollegin Kiesewetter starb, ist von der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses tief enttäuscht. Unter anderem wegen des Umganges mit dem Todesfall Florian H.

Er versteht nicht, warum sich die Abgeordneten mit der Erklärung des zuständigen Staatsanwaltes zufrieden gaben, er habe die Ermittlungen einstellen müssen wegen eines "fehlenden Anfangsverdachtes". Nach Meinung des Anwaltes geschah das in ungesetzlicher Weise. Immerhin sollte Florian ja am Tag seines Todes noch einmal polizeilich vernommen werden.