Nach dem Attentat: Tunesiens Krieg gegen den Terrorismus

Sousse, Mittelmeerküste. Bild: Orientalist/gemeinfrei

Touristen verlassen zu Tausenden das Land; der Attentäter war über Facebook als Dschihadist bekannt, aber nicht dem Geheimdienst

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Der Name des Attentäters fand sich nirgendwo in den Geheimdienstakten, erklärte der tunesische Ministerpräsident Habib Essid. Nichts habe darauf schließen lassen, dass er irgendeiner Bewegung angehöre. Außer sein Facebook-Auftritt, hält das tunesische Internetmagazin Kapitalis der Presse-Erklärung des Regierungschefs entgegen. Der hätte doch den Geheimdiensten auffallen müssen.

Seiffedine R. präsentierte sich auf Facebook als Dschihadist mit dazugehörigen Bekenntnissen gegen die Kuffar, die Demokratie etc. und als Fan des IS. Laut Kapitalis, dessen Journalisten die Facebook-Seite noch einsehen konnten, bevor sie geschlossen wurde, hat der Attentäter von Sousse dort erklärt, dass er bereit sei zu sterben, damit der "Islamische Staat" errichtet werden kann.

Am Freitag tötete er 38 Menschen und verletzte 39 an einem Hotelstrand und am Pool mit einer Kalaschnikow, die er zuvor unter einem Sonnenschirm versteckt hatte. Der IS rühmt sich auf Twitter mit dem Attentäter, dem der Namen Abu Jahia al-Kairouani beigegeben wurde - nach der der Stadt Kairuan, 50km Kilometer westlich von Sousse, früher ein Zentrum arabischer Kultur, seit 2011 eine Hochburg der Salafisten.

"Der größte Terroranschlag auf Briten seit dem 7.Juli 2005"

Die Touristen verlassen nun zu Tausenden Tunesien, wie britische und französische Medien berichten.

Sousse, Mittelmeerküste. Bild: Orientalist/gemeinfrei

Unter den Opfern befanden sich nach Angaben des Guardian 15 Briten, ein Belgier und ein Deutscher. Es sei der größte Terroranschlag auf Briten seit dem 7.Juli 2005, wird dort das britische Außenministerium zitiert.

Die Sicherheitsexpertise von Merkel ist gefragt

Das Sicherheitsinteresse europäischer Staaten an der nordafrikanischen Peripherie ist damit auf eine nächste Stufe gehoben. Bundeskanzlerin Merkel hat dem tunesischen Präsidenten Essebsii am Telephon "deutsche Expertise" in Sachen Sicherheit versprochen.

Innenminister de Maizière soll sich morgen in Tunis mit seinem tunesischen Amtskollegen über eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus verständigen.

Indessen hat der tunesische Regierungschef Habib Essid seine Kriegserklärung gegen den Terrorismus erneuert, es gab sie schon nach dem Anschlag auf das Museum Bardo, Ende März. Nur: Wie beim Anschlag in der Hauptstadt (Tunesien: "Nur zwei Kalaschnikows, 4 Handgranaten und einige Kugeln nötig"), zeigte sich auch am Freitag, wie unheimlich dieser seltsame Krieg ist, bei dem eine Waffe genügen kann, um ein ganzes Land ins Taumeln zu bringen. Diesmal ist es auch Schlag mit unabsehbaren wirtschaftlichen Auswirkungen.

Bewaffnetes Sicherheitspersonal für Touristen

Die Erstmaßnahmen, die die tunesische Regierung in einer Krisensitzung beschlossen hat, so z.B. die Entsendung von 1.000 bewaffneten Sicherheitskräften für den Schutz der Touristen wird angesichts der IS-Propaganda kaum Eindruck auf Touristen machen. Unzählige Videos führen vor, dass Sicherheitskräfte für Selbstmord-Attentäter kein Hindernis sind.

Waffen und Kämpfer - Versorgungsreservoir für den Dschihad in Syrien

Das Problem in Tunesien sei, worauf mehrere Journalisten und Landeskenner in den vergangenen Tagen hinwiesen, dass sich viele Waffen im Land befinden.

Tunesien ist ein Versorgungsreservoir für den Dschihad in Syrien, für Kämpfer und Waffen; der Staat sei zu lax gewesen, um die Milieus genauer unter die Lupe zu nehmen. In jeder Stadt könnten sich IS-Anhänger aufhalten, die terroristische Gefahr gehe nicht nur von den Gruppen in den bekannten gefährlichen Zonen im Gebirge und an der Grenze zu Algerien aus.

Zwar hätten die Sicherheitskräfte seit dem Bardo-Anschlag energischer gearbeitet, wird ihnen bescheinigt, aber sie würden noch nicht tief genug in bestimmte Milieus vordringen. Dass in diesem Zusammenhang auch Gewerkschaften erwähnt werden, bestätigt erneut das politisch Heikle, die double-use-Möglichkeiten des Kriegs gegen den Terror.

Schließung von Moscheen

Ministerpräsident Habib Essid kündigte an, dass sofort alle Moscheen geschlossen würden, die nicht unter der Kontrolle des Ministeriums für Angelegenheit der Religion stehen. Auch sollen sämtliche Parteien und Vereinigungen aufgelöst werden, die die tunesische Verfassung nicht respektieren.

Die Dschihadisten sollen 2013 nach der Ennahda-Regierung, die gegenüber Salafisten einen weichen Kurs eingeschlagen hatte, etwa zehn Prozent, c.a 500 von 5.000 Moscheen in Tunesien kontrolliert haben, berichtet der französische Journalist David Thomson. Noch immer stünden hunderte unter Kontrolle der Dschihadisten. An deren Aufkommen habe auch der jetztige Präsident mit seiner Freilassung alter al-Qaida-Kader beigetragen. Viele Kämpfer in Syrien stammen aus Tunesien. Das Land sehe einer beunruhigenden Zeit entgegen.