"Nach den Panzern ist noch lange nicht Schluss"
Jetzt wird über Kampfjets und Nato-Mitgliedschaft der Ukraine diskutiert. Doch kritische Stimmen werden lauter. Beim Versuch, Brasilien in die Kriegsfront einzubeziehen, holte sich Kanzler Scholz eine Abfuhr.
"Wir liefern keine Waffen. Brasilien ist ein Land des Friedens." Mit diesen klaren Worten wies der brasilianische Präsident Lula die Versuche von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zurück, das größte Land Südamerikas in die Front gegen Russland einzureihen. Das war keine Überraschung, hatte doch nicht nur Lula schon im Wahlkampf klargemacht, dass er im Russland-Ukraine-Konflikt die Verantwortung auf beiden Seiten sieht. Selbst sein rechter Vorgänger Bolsonaro war in dem Konflikt neutral geblieben.
Besonders düpiert dürfte Scholz sein, weil Lula auf der Pressekonferenz anlässlich des Scholz-Besuchs eine Vermittlungsinitiative ankündigte und sogar China mit ins Boot holen will. Dabei sollte doch der Besuch von Scholz wie der anderer Politiker des globalen Westens den Einfluss von China eindämmen.
Doch der globale Westen ist dazu nicht mehr in der Lage – und seine ganze Werterhetorik sorgt in vielen Ländern des globalen Südens, die sich noch an die von diesem Westen unterstützten Diktaturen erinnern können, höchstens für Spott. So zeigte die selbstbewusste Haltung Lulas auf der Pressekonferenz mit Scholz auch den Bedeutungsverlust des globalen Westens.
Was heißt es, wenn die Ukraine siegen soll?
Das ist auch ein Grund, warum dieser den Konflikt zwischen zwei nationalistischen Regierungen nicht etwa einzudämmen versucht, sondern daraus erst einen globalen Konflikt auf dem Territorium der Ukraine macht. Deshalb gibt der aggressivste Teil der westlichen Politik als Kriegsziel aus, was lange Zeit nur die rechtesten Kreise in Kiew propagierten: die Rückeroberung der Krim. Es war auch klar, dass dafür die Panzer nicht ausreichen.
Deshalb begann sofort nach dem Beschluss, diese zu liefern, die Diskussion um Kampfflugzeuge für die Ukraine. "Nach den Panzern ist noch lange nicht Schluss", titelte die pro-ukranische taz-Korrespondentin Barbara Oertel konsequent.
Nun sollte man sich nicht davon täuschen lassen, dass auch manche, die in den letzten Wochen als kalte Kriegerinnen und Krieger im Ukraine-Russland-Konflikt hervorgetreten sind, erst einmal auf die Bremse traten, darunter sogar die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Jetzt hat auch US-Präsident Joe Biden die Lieferung von Kampfjets zunächst abgelehnt, was auch einer sich verändernden Stimmung in den USA Rechnung trägt, die wiederum bei der nächsten Wahl Donald Trump oder einem anderen Kandidaten der Republikaner nützten könnte.
Aber manche US-Medien sehen in diesem "Nein" Bidens nicht das letzte Wort und erinnern daran, dass er auch die Lieferung von Kampfpanzern zunächst ausgeschlossen und diese Position bald revidiert hatte. Genau diese Entwicklung konnte man in Deutschland in den letzten Monaten immer wieder beobachten. Dabei spielte auch eine Rolle, wie man die Fähigkeit Russlands, auf immer mehr Waffen in die Ukraine zu reagieren, einschätzt.
Das wurde am vergangenen Montag in einer Deutschlandfunk-Diskussion zur Fragestellung "Panzer für die Ukraine – wie geht es weiter?" deutlich. Am vehementesten setzte sich Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik für weitere und gefährlichere Waffen ein. Sie schloss sich auch den Kriegszielen der ukrainischen Rechten an, die auf eine Rückeroberung der Krim orientieren.
Dagegen warnte der emeritierte Professor der Hochschule der Bundeswehr, August Prattedo vor einer Eskalation. Einen Angriff auf die Krim, der Russland schließlich vom Schwarzen Meer abschließen würde, dürfte von Russland als rote Linie aufgefasst werden, erklärte er. Eine solche Teilung der Positionen ist in letzter Zeit nicht selten. Grünen-nahe Personen wollen oft von möglichen russischen Gegenstrategien nichts hören und zeihen schon Menschen des Defätismus, die nur an die möglichen Gefahren erinnern.
Wie könnte ein Kompromiss im Ukraine-Konflikt aussehen?
Doch Pradetto wagte es auch, mögliche Kompromisslinien im Konflikt zu skizzieren, die er mit der Überlegung einleitete, dass nicht nur das russische, sondern auch das ukrainische Regime den Krieg nicht gewinnen kann. Beide hätten sich verkalkuliert. Als Lösung schlug er eine Neutralität der Ukraine vor, was den Zustand wiederherstellen würde, der vor dem Maidan-Umsturz schon vorhanden war. Damit ist die Ukraine gut gefahren.
Der Konflikt begann erst 2014, als durch den Maidan-Umsturz gegen eine reaktionäre, aber bürgerlich-demokratische Regierung, die Linie der Neutralität verlassen und mit Unterstützung des Globalen Westens eine aggressiv antirussische Agenda gefahren wurde. Daher ist es auch zumindest irreführend, wenn die Befürworter einer immer größeren Aufrüstung der Ukraine immer wieder darauf verweisen, dass das Putin-Regime die Ukraine als selbstständige Nation zerstören will. Das stimmte zumindest bis 2014 nicht.
Damals wurden sogar in der ukrainischen Politik Szenarien diskutiert, Russland die Ostgebiete um das Donezk-Becken zu überlassen. Der Bevölkerung wurde dort unterstellt, sie würde für Russland optieren. Erst die massive Unterstützung des globalen Westens für die Ukraine gab den Ultrarechten in der Ukraine Auftrieb, die eben auch die Krim wieder eingliedern wollen, obwohl dort eine große Mehrheit durchaus für den Anschluss an Russland war.
Ein Kompromiss, wie ihn Pradetto, aber auf globaler Ebene auch Lula anführt, müsste hier ansetzen. Das würde auch bedeuten, die in der gegenwärtigen Ukraine größtenteils verbotenen Parteien der Vor-Maidan-Ära wieder zu legalisieren. Erst dann würde sich zeigen, wie viel Legitimität die gegenwärtige ukrainische Regierung überhaupt hat.
Denn es wird immer vergessen, dass nach dem Maidan-Umsturz alle Parteien, die dazu in grundsätzlicher Opposition stehen, verboten wurden. Zudem wird die durchaus reaktionäre orthodoxe Kirche in der Ukraine mit Repression überzogen, sofern sie den geforderten Bruch mit Russland nicht mitmacht. Zudem sind auch viele nominal linke Parteien aktuell als prorussisch verboten. Nur Parteien, die sich auf den Boden des Maidan-Umsturzes stellen, sind erlaubt.
Insoweit könnte davon gesprochen wird, dass in der Ukraine die bürgerliche Demokratie ebenso eingeengt ist wie in Russland. Sollte es also zu einem Kompromiss mit Russland kommen, müssten diese Verbote aufgehoben werden. Das würde nicht das Ende der Ukraine bedeuten, aber eine Niederlage des Globalen Westens. Deshalb reagieren dessen Charaktermasken so aggressiv, so bald auch nur von Kompromissen und Verhandlungen geredet wird.
Sie haben auch durchaus die Macht, solche Pläne zu durchkreuzen und die Schraube des Militarismus weiter anzuziehen. So erfahren wir beiläufig, dass Estland die für Menschen besonders gefährliche und daher international eigentlich geächtete Streumunition an die Ukraine liefern will.
Die Begründung lautet, dass auch Russland diese tödliche Munition einsetzt. Noch gefährlicher ist ein Vorschlag des ehemaligen britischen Ministerpräsidenten Boris Johnson, der in der Washington Post eine schnelle Mitgliedsschaft der Ukraine in der Nato fordert
Der Autor hat mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee das Buch "Nie wieder Krieg ohne uns… Deutschland und die Ukraine" herausgegeben.