Nacktheit als Bedürfnis

Ein großer Teil menschlicher Kommunikation bezieht sich auf das eigene Ego - eine Angewohnheit, die Tiere nicht kennen. Forscher zeigen nun, was uns dazu bringt

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Tiere sind echte Meister der Kommunikation. Sie führen Tänze auf, die ihren Artgenossen den Weg zum Nektar beschreiben. Sie hinterlassen Hormonproben mit Signalen. Sie verständigen sich über riesige Entfernungen von bis zu 4500 Kilometern unter Wasser mit Ultraschall-Technik. Tiere sind, was die Wahl ihrer Kommunikationswege betrifft, eindeutig flexibler als der Mensch, der nur der Sprache und des körperlichen Ausdrucks fähig ist. Allerdings fehlen der tierischen Unterhaltung auch einige Merkmale. Sie ist zum Beispiel stets situationsgebunden. Was ein Bienentanz bedeutet, hängt unter anderem vom Sonnenstand ab.

Zum zweiten fehlt ihr auch die, wie Linguisten es nennen, zweifache Gliederung. Oder, leicht vereinfacht ausgedrückt: Tiere geben sich keine Namen. Jede ihrer Ausdruckseinheiten besitzt einen eindeutigen Sinn - und wenn er nicht eindeutig ist, dann stellen äußere Umstände die Eindeutigkeit her, nicht andere Elemente der Kommunikation. Aus der Situationsgebundenheit ergibt sich, dass Tiere im Grunde keinen gepflegten Kaffeeklatsch kennen.

Primaten etwa versuchen ihren Mitbewohnern nur dann etwas aus ihrem Wissensfundus mitzuteilen, wenn es dafür einen konkreten Zweck gibt. Menschliche Babys hingegen beginnen schon mit neun Monaten, andere auf etwas hinzuweisen, das sie interessant finden. Unter Erwachsenen, das haben Untersuchungen ergeben, besteht ein gutes Drittel des Kommunikationsinhalts aus Mitteilungen über das Selbst. Sogar bis zu 80 Prozent der Postings in sozialen Medien bestehen aus solchen Inhalten.

Was bringt den Menschen dazu, sein Ego vor anderen so erfolgreich zu entkleiden?

In einem Beitrag in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) haben Diana Tamir and Jason Mitchell von der Harvard University jetzt die Gehirnstruktur des Menschen auf diese Frage hin untersucht. Sie befassten sich dabei speziell mit dem Belohnungssystem, das mit Dopaminausschüttung auf so verschiedene Belohnungen wie Nahrung, Geld, soziale Anerkennung oder auch nur einen flüchtigen Blick auf einen attraktiven Angehörigen des anderen Geschlechts reagiert (in einem Versuch hatten Forscher 2007 ermittelt, dass zumindest Männer im Versuch finanzielle Belohnungen sausen lassen, wenn sie dafür Fotos hübscher Frauen ansehen durften - konkret: ein Bild war ihnen im Mittel 0,45 Cent wert).

Dazu ließen die Psychologen zunächst eine Reihe Probanden Selbstauskünfte erteilen (oder in der Kontrollgruppe über andere Menschen spekulieren), während die Forscher unter dem fMRT die Aktivierung des Belohnungszentrums überprüften. Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen zum einen ein Areal nutzen, das mit selbstreferentiellem Denken verbunden wird. Parallel zeigten sich aber auch deutliche Unterschiede in der Aktivität des Belohnungszentrums - je nachdem, ob die Probanden etwas über sich erzählen durften oder nicht. Was ist uns das Erzählen über uns selbst wert? Das ermittelten die Forscher in einem zweiten Versuch.

195 Fragen über sich selbst, über andere Personen oder über Faktenwissen

Hierbei hatten die Probanden die Wahl, 195 Fragen über sich selbst, über andere Personen oder über Faktenwissen zu beantworten. Für die Antworten gab es unterschiedlich hohe finanzielle Anreize. Das Ergebnis war eindeutig: Die Versuchspersonen verzichteten im Mittel auf 0,63 Cent, um von sich selbst zu berichten.

Doch welcher Teil des Prozesses schafft den Wert? Genügt es, nur über das im allgemeinen positiv besetzte Selbst nachzudenken, oder muss die so gewonnene Erkenntnis auch kommuniziert werden? Das untersuchten die Psychologen im dritten Experiment. Hier verglichen sie den Grad der Aktivierung des Belohnungssystems für diese beiden Fälle - und, wie die Existenz von Facebook und Twitter schon ahnen lassen, befriedigte es die Probanden stärker, wenn sie von sich selbst auch kommunizieren durften.