Napsters, Macsters und die Beschleunigung der Geschichte

Brauchen wir im Internetzeitalter sich überstürzender Innovationen stärkere Bremsen, um den Zusammenhalt der Menschen zu sichern?

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Gerade habe ich zusammen mit einem Lieblingssong, den ich 30 Jahre lange nicht mehr gehört habe, ein Musikstück, das ich noch nie gehört habe, dank der Software Macster abspielen lassen, die ich mir ein paar Minuten zuvor heruntergeladen habe. Macster.com ist eine Art Napster für Macintosh-Benutzer, und mein eigentliches Interesse an diesem Programm war herauszufinden, wie leicht es für mich sein würde, der ich kein Teenager mehr bin, es zu beherrschen. Obgleich ich vor einer Minute, als ich begonnen habe, Macster herunterzuladen, noch nie etwas von dem Programm gehört habe, funktionierte alles so glatt und schnell, als würde ich eine Zeitung lesen.

Wenn Macster und Napster irgendetwas beweisen, dann zeigen sie, dass wir mit dem Internet jetzt eine mächtige, sehr schnelle Maschine für den kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wandel haben. Napster hat bereits entscheidend verändert, welcher Musik man zuhören und wie man dies machen kann, wie sich die Zuhörer zueinander verhalten, welche Einkünfte die Musiker und Plattenfirmen haben und welche Machtbeziehungen zwischen den Plattenfirmen und dem Rest der Welt bestehen. Das ist schon ganz schön viel für ein Programm, das von einem 19-Jährigen geschrieben wurde und gerade einmal etwas mehr als ein halbes Jahr benutzt wird.

Ein zweischneidiges Schwert

Ich kam auf diese Gedanken durch eine gut besuchte Konferenz über die Folgen der technologischen Fortschritte, die von Douglas R. Hofstadter an der Stanford University, dem Epizentrum des Silicon Valley, organisiert worden war (Werden Maschinen schon in hundert Jahren den Menschen ersetzen?). Der erste Sprecher war der Erfinder Ray Kurzweil, am besten wegen seiner Lesemaschinen für Blinde bekannt. Wie in seinem letzten Buch "Das Zeitalter der geistigen Maschinen" behauptete er, dass neue "Paradigmen" die alten mit zunehmender Geschwindigkeit ersetzen werden. Es hat 500000 Jahre für die ersten Menschen gedauert, um die Vorteile zu erkennen, die das Schärfen der beiden Seiten eines Steinbeils mit sich bringt, aber für einen beachtlichen Teil der Menschen war gerade einmal ein Jahrzehnt nötig, um die Vorteile der Benutzung des Internet zu erkennen. Napster wurde, um bei meinem Beispiel zu bleiben, in weitaus kürzerer Zeit übernommen: in Monaten. Bald werden vergleichbare Veränderungen nur noch einen Monat, dann eine Woche und schließlich einen Tag benötigen. So ähnlich vermutet dies zumindest Kurzweil.

Kurzweil und andere werfen kaum einen Blick auf die letzten Ursachen der Beschleunigung. Man kann leicht erkennen, dass ein Teil des Antriebs vom steigenden Interesse ausgeht, Aufmerksamkeit zu gewinnen, indem man etwas Neues und Originelles macht. Vielleicht aber stehen dabei die Zwänge des zeitgenössischen Kapitalismus noch mehr im Zentrum. Da mehr und mehr Menschen, was mit den Amerikanern begonnen hatte und jetzt auch die Europäer und Ostasiaten erfasst hat, zu glauben beginnen, ihre eigene Zukunft durch Investitionen in Wertpapiere sichern zu können, suchen sie sich natürlich die Aktien aus, von denen sie glauben, dass sie am schnellsten an Wert zulegen. Dies führt unvermeidlich dazu, dass sie am meisten in neue Unternehmen investieren, die auch Neues machen. Die Aktienwerte der Unternehmen in traditionelleren Geschäftsbereichen wachsen eher langsamer, da der Markt für die von ihnen angebotenen Waren oder Dienstleistungen in der Regel bereits fast gesättigt ist.

Dieses neue Investitionsverhalten belohnt nicht nur die Veränderung, sondern fördert sie aktiv: den allerneuesten Trend, die neuen Dot.coms usw. Jeder, der es schafft, Aufsehen zu erregen oder durch den Start eines Dot.com reich zu werden, zieht viele Nachahmer an, was das Spiel, Neues zu entwickeln, noch vorherrschender werden lässt. Noch nicht lange scheinen Investitionen selbst weniger gewinnversprechend zu sein als die Gründung einer eigenen Dot.com, nachdem jeder, der imstande ist, irgendwie eine neue Idee zu entwickeln, sich bestätigt sieht, damit loszulegen.

Seit einigen Jahren gibt es an US-Universitäten einen Wettbewerb für neue Geschäftsideen. Viele der Gewinner und der Zweitplazierten können davon ausgehen, dass Risikokapitalgeber schon gierig warten, sie zu finanzieren. Viele dieser neuen Unternehmen werden kaum wirklich Neues machen, aber eine bestimmte Minderheit wird anders genug sein und neue Formen für das Ausführen von grundlegenden Aktivitäten der Menschen erfinden oder sogar neue Aktivitäten definieren.

Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis ein Unternehmen auf die Idee kommt, den ganzen Prozess der Gründung eines Dot.com zu automatisieren. Man muss nur seine grundlegende Idee aufschreiben, auf die entsprechende Website gehen, einige Fragen beantworten, vielleicht die neuen Verbindungen angeben, die aufzubauen sind, und dann macht die Software weiter, die hilft, einen Namen zu finden, die eine Liste von geeigneten Risikokapitalgeber erstellt, eine Website einrichtet und für einen kleinen Anteil an den Aktien fast alles selbständig ausführt.

Daher wird es nicht nur immer einfacher werden, neue Dot.coms, Dot.orgs oder Dot.nets zu gründen, sondern dies werden auch zunehmend mehr Menschen machen wollen und dabei Zugang zu dem haben, was man dafür benötigt.

Man bewältigt die Innovationen nicht, sondern tastet zwischen ihnen herum

Nehmen wir einmal an, dass nur einer von 6000 Menschen ein neues Dot.com jedes Jahr gründet und dass nur ein Prozent von diesen wirklich Neues anbietet, das für die Durchschnittsperson wichtig ist. Geht man von der gegenwärtigen Weltbevölkerung aus, so gäbe es jedes Jahr an die 10000 Dot.irgendwas, die etwas wichtiges Neues anbieten, oder 300 am Tag oder alle fünf Minuten eine Neugründung. Alle fünf Minuten ein Napster? Wie könnte man das noch bewältigen? Und wie könnte sich die Gesellschaft so schnell ohne furchtbare Probleme verändern?

Auf der persönlichen Ebene ist die erste Frage, in welche dieser Innovationen man investieren oder bei welcher man lernen sollte, sie zu benutzen. Wird man das einfach zufällig machen? Eine Möglichkeit, die vorgeschlagen wurde, ist, sich auf Experten zu verlassen, die einem in der Vergangenheit bereits gute Vorschläge gemacht haben, um auf Sites hinzuweisen, die der Aufmerksamkeit wert sind. Aber Vergangenheit ist Vergangenheit. Die Experten können in einem bestimmten Kontext gut gewesen sein, aber der kontinuierliche Fluss von Dot.com-Veränderungen verändert auch den Kontext und stellt sogar die Fähigkeiten von Experten in Frage, damit mithalten zu können.

Folglich benötigt man neue Experten, die up-to-date sind und noch immer wissen, was man vermutlich wünscht, um einem zu helfen. Doch in Wirklichkeit gibt es keine solchen Experten, da sie keineswegs einen besseren Gesamtüberblick gewinnen können, und es gibt auch keine Mittel, mit denen sich diejenigen erkennen lassen könnten, die durch irgendein Wunder auf der Höhe aller Veränderungen geblieben sind. Das Szenario wird auch nicht anders, wenn man sich auf Freunde oder Mitglieder von Gemeinschaften mit gemeinsamen Interessen verlassen würde, weil Freunde auch nur Freunde in früheren Situationen gewesen sind, die Interessengemeinschaften sich angesichts neuer Situationen auflösen und es unterschiedliche Perspektiven gibt, wen man für jemanden hält, der Bescheid weiß.

Überlassen wir es also einer Maschine?

Auch wenn Kurzweil und seine Anhänger eines "posthumanen" Lebens das nicht genau so sagen, stimmen sie darin überein, dass normale Menschen Schwierigkeiten bei der Entscheidung haben werden, wie sie mit der Situation zurecht kommen sollen. Um solche Situationen bewältigen zu können, werden wir uns nach ihrer Meinung auf intelligente Computer verlassen müssen, die angeblich intelligenter sind, als jeder Mensch oder sogar die gesamte Menschheit.

Doch wie kann man sich wirklich in dieser Hinsicht auf einen Computer verlassen? Man kann den elektronisch gesteuerten Einfüllspritzen vertrauen, wenn es darum geht, wann mehr Benzin benötigt wird, weil sie genau für diese Aufgabe programmiert worden sind, während der Fahrer durch die Betätigung des Gashebels entscheidet, wann das geschehen soll. Wie fest man auf das Pedal drückt, legt fest, wie schnell man fahren will. Der Fahrer bleibt derjenige, der entscheidet, wohin er fahren will. Aber in der Situation eines endlosen Stroms an Neuheiten steht die Frage, wohin man gehen will, selbst zur Debatte. Keine Maschine kann für einen entscheiden, was man will, wenn man es selbst nicht weiß.

Nehmen wir also an, dass der Computer grundsätzlich weiß, wer man ist, was man will und welche Werte man hat. Dann kann er die beste, mit diesem Wissen konsistente Handlungsweise ausrechnen. Aber auch das ist ganz offensichtlich absurd.

Die eigene Identität ist selbst ein Ergebnis der eigenen Handlungen und Reaktionen innerhalb einer gegebenen Umwelt und Kultur. Gehen wir einmal davon aus, Sie wären vor 100000 Jahren geboren worden. Welche Werte und Ziele hätten Sie gehabt? Das kann man nicht sagen, denn in einer solchen unterschiedlichen Lebenswelt wären Sie nicht Sie selbst. Jeder, auch wenn er exakt dieselbe genetische Ausstattung hätte, würde ein ganz anderer Mensch sein.

Wenn sich die Gesellschaft ändert, können die Menschen nicht gleich bleiben, da man in aller Regel nur gegenüber einem bestimmten Hintergrund, der aus den Möglichkeiten und den Handlungen sowie Erwartungen der Mitmenschen besteht, sinnvoll handeln kann. Auch dieser Hintergrund verändert sich kontinuierlich in der Welt, die zu entstehen scheint. Selbst wenn die Maschinen, auf die Sie sich verlassen, versuchen, Ihnen bei der Entscheidung zu helfen, welchen Kurs Sie folgen sollen, werden sie immer für eine Umwelt, die es nicht mehr gibt, programmiert sein, auch wenn sie sich selbst programmiert haben.

Werte selbst können auch nicht weiter helfen, da sie nicht permanenter und unveränderlicher sind als Vorlieben, Abneigungen und kulturelle Normen. Wenn die Gesellschaft sich ändert, ändern sich auch die Werte. Ich habe mich mit einem solchen Wandel, nämlich dem der Privatsphäre, näher beschäftigt, der aber für viele andere Veränderungen typisch ist. Im Feudalismus war eine Privatsphäre weder besonders gut verwirklichbar noch besonders wichtig. Man hatte keine große Möglichkeit, beispielsweise die eigene Religionszugehörigkeit geheim zu halten, weil man mit hoher Wahrscheinlichkeit derselben Religion angehörte wie die Nachbarn. Es machte auch keinen großen Sinn, sein Einkommen geheim zu halten, da die meisten Menschen sowieso kein Bargeldeinkünfte hatten und ihr Reichtum direkt von der Größe ihrer Felder oder den Vorräten in ihren Häusern abzulesen war. In einem kleinen Dorf zu leben, was für die meisten zutraf, bedeutete, dass das eigene Leben ein offenes Buch war, und es dürfte den meisten Menschen wohl nicht eingefallen sein, sich dagegen aufzulehnen.

Einige Jahrhunderte später wurde im Zentrum der Industriegesellschaft die Privatsphäre zu einer wichtigen Angelegenheit. Was sich innerhalb der eigenen Wände und hinter den Vorhängen abspielte, galt als privat, und diese Privatheit war für den Aufbau des ganzen Systems grundlegend. Man ging in einer Fabrik arbeiten, so dass man einen Lohn mit nach Hause bringen konnte, der den Menschen ein privates Leben ermöglichte. Wenn es eine solche Privatheit nicht gab, hatte ein solches Leben nur wenig Sinn. Was man verdiente, wo man sein Geld aufbewahrte oder was man damit kaufte, betraf nur einen selbst und die engere Familie und sonst niemanden.

Doch jetzt verändern sich während der Erschütterungen beim Übergang in die Aufmerksamkeitsökonomie die Normen der Privatheit schnell. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, muss man alles, was man kann, über seine Person benutzen. Eine Privatsphäre in dem Sinn, dass man nicht zu viel von sich offenbart, scheint eine sehr altbackene Vorstellung zu sein, wenn man zu erreichen sucht, dass niemand die eigene Aufmerksamkeit erhält, wenn man sie nicht freiwillig jemand schenken will.

Die heute als Wert geschätzte Privatsphäre ist nicht mehr, sich der Aufmerksamkeit zu entziehen, sondern sie besteht genau darin, keine Aufmerksamkeit hergeben zu müssen. Viele wollen nicht, dass die Dot.coms Informationen über uns sammeln können, weil wir nicht wollen, dass unsere Emails überschwemmt werden von Verkaufsangeboten, die wichtig genug klingen, um sie einmal anzuschauen, da sie auf einer ungefähren Analyse unserer Vorlieben und Abneigungen beruhen. Wenn sie uns wirklich etwas mitteilen würden, was wir wissen wollen, dann hätten wir wohl kaum einen Grund, uns zu ärgern.

Wie das Beispiel der Privatsphäre zeigt, verändern sich Werte zusammen mit den sich verändernden Umweltbedingungen. Wenn die Umweltbedingungen, also der gesamte soziale, kulturelle und wirtschaftliche Kontext, sich sehr schnell verändern, dann werden die Werte sehr ungewiss und müssen zusammen mit allem anderen und so schnell wie alles andere erneuert werden. Auch Maschinen können nicht, egal wie intelligent sie sein mögen, neue Entwicklungen antizipieren, und sind daher kaum tauglich, uns auf die Veränderungen von morgen vorzubereiten. Selbst wenn die Maschinen uns dabei unterstützen, würde sich alles in einem kontinuierlichen Fluss befinden und würden wir uns in der Situation finden, zunehmend nur noch aufgrund einer Zufallsauswahl handeln zu können. Wir könnten uns neuen Gemeinschaften anschließen und genau so schnell andere verlassen, die im Augenblick weniger anziehend wirken. In einer solchen Welt, in der nichts stabil ist, hat auch nichts eine große Bedeutung. Wir können sehr schnell aus dem Blick verlieren, wer wir sind, und es wird nichts mehr geben, um uns erneut Wurzeln zu geben, wenn sich die Geschwindigkeit des Wandels weiterhin beschleunigt.

Ein Teufelsritt

Das führt uns zum zweiten Problem, nämlich dem einer Geschwindigkeit der Veränderung, bei der man sich auf nichts mehr verlassen kann. Alles, was wir wissen und was für uns Sinn macht, was uns individuell oder als einer Gesellschaft Mittel in die Hand gibt, um Bedeutung in unsere Welt zu bringen, was es uns ermöglicht, in etwa unseren Platz in der Welt erkennen, verändert sich so schnell, dass wir es gerade noch feststellen können - und dann noch schneller.

Eine solche Geschwindigkeit der Veränderung muss für jeden, der sie erlebt, die reine Hölle sein, eine Achterbahnfahrt, die immer schneller wird, bei der wir immer wieder einmal nach unten stürzen, ohne jemals nach oben zu kommen. In einer solchen Welt können wir uns auf nichts und niemanden verlassen. Eine solche Veränderungsgeschwindigkeit ist sicherlich nicht zu wünschen. Welche Vorteile sie auch immer im Einzelnen mit sich bringen kann, so brauchen wir doch eine Möglichkeit, sie zu begrenzen. Wie knapp vor einem fürchterlichen gesellschaftlichen Zusammenbruch muss diese Bremse greifen?

Aber vielleicht ist es gar nicht so. Gehen wir noch einmal zurück. Ich habe damit begonnen, dass diese Veränderungen aus Tausenden von individuellen Handlungen entstehen, die das Äquivalent von endlos vielen neuen Dot.coms jeden Tag darstellen. Doch wenn die neuen Dot.coms unsere Kapazitäten so übersteigen, dass wir ihnen keine Bedeutung mehr geben und zwischen ihnen nicht mehr rational auswählen können, würde dann die daraus resultierende Veränderung nicht automatisch selbstbegrenzend werden? Müssen wir uns also nicht beunruhigen, weil wir in Wirklichkeit keine Veränderungen in einer solchen Geschwindigkeit übernehmen werden, egal wieviele Chancen sie uns eröffnen?

An dieser Stelle kommt Napster wieder ins Spiel. Es zeigt, wie das Internet, verknüpft mit hochgradig vernetzten Gemeinschaften wie den Universitäten, die schnelle Übernahme von neuen Handlungsmöglichkeiten eröffnet, wobei über die langfristigen Konsequenzen von allen beteiligten Individuen kaum nachgedacht wird. Erst nachdem die neuen Verfahren und die mit ihnen verbundenen impliziten Werte sich verbreitet haben, entsteht möglicherweise auch eine Diskussion über ihre Folgen. Die Übernahme geschieht eher auf der Ebene der Gesellschaft als auf der der Einzelpersonen, und sie folgt, unabhängig davon, wie intelligent die Individuen in einem sozialen Organismus sein mögen, nicht der Klugheit oder der Intelligenz der Gesamtheit, wenn es für die vorhergehende gesellschaftliche Reflektion und Diskussion keine expliziten Mechanismen gibt. Wie ich in meinem Buch "Reinventing Technology", das in den 80er Jahren erschienen ist, geschrieben habe, ist die technologische Innovation eine Form der Gesetzgebung. Eine gute Gesetzgebung ist normalerweise ein Ergebnis einer weiten öffentlichen Beratung, die in diesem Fall nicht vorhanden ist.

Aber wir können noch mehr aus dem Beispiel von Napster lernen. Es zeigt, warum es doch eine Begrenzung der Geschwindigkeit bei der Übernahme des Neuen gibt. Wie ich selbst erfahren habe, ist nur wenig Aufmerksamkeit nötig, um das Programm herunterzuladen oder zu lernen, es zu benutzen. Da benutzerfreundliche Software und ein leicht zu bedienendes Internet weiterhin perfektioniert werden, können wir davon ausgehen, dass die Menge an Aufmerksamkeit, die man zur Übernahme irgendeiner ähnlichen Transformation benötigt, noch geringer werden wird. Napster und seine Verwandten wie Macster würden kaum einen Einfluss haben können, wenn sie nicht den großen Rummel geschaffen und auf breiter Ebene verändert hätten, wie man etwas seine Aufmerksamkeit schenkt. Wenn die Teens und wir übrigen nicht sowieso schon der Musik viel Aufmerksamkeit schenken würden, dann hätte Napster weder kulturell noch gesellschaftlich, politisch oder wirtschaftlich eine große Bedeutung erlangt, selbst wenn es weit verbreitet gewesen wäre.

Ähnlich ist dies bei anderen kürzlich erfolgten Veränderungen wie bei dem Aktienhandel oder der Internetpornographie. Was Aufsehen erregt, muss schon per Definition eine erhebliche Menge an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit finden, die die Aufmerksamkeit von vielen Menschen verbindet. Da eine totale Aufmerksamkeit nur sehr begrenzt möglich ist, kann die Geschwindigkeit eines bedeutungsvollen Wandels sich nicht endlos beschleunigen, selbst wenn Innovationen mit Nachdenklichkeit übernommen werden. Die Veränderungen können im Verhältnis zur Vergangenheit schnell erfolgen, und Veränderungen können einen größeren Teil unserer Aufmerksamkeit als zuvor beanspruchen, aber wäre unsinnig, eine endlose Beschleunigung bei den Veränderungen zu erwarten, die irgendeinen signifikanten Unterschied machen, wie dies Kurzweil formuliert.

Wir können sogar in etwa einen bedeutungsvollen Wandel quantifizieren. Um etwas zu bewirken, muss eine Veränderung mindestens zwei Prozent (oder fünf oder ein Prozent) der verfügbaren Aufmerksamkeit von mindestens einigen Prozent der Weltbevölkerung für eine gewisse Zeit, wenn nicht für das ganze Leben, gewinnen. Das bedeutet, dass wir niemals zu mehr als durchschnittlich einer wichtigen Veränderung pro Tag kommen werden. Das wäre noch immer eine schnelle Veränderung, aber keineswegs unendlich schnell.

Dennoch brauchen wir Bremsen

Dass die Geschwindigkeit der signifikanten Veränderungen begrenzt ist, wird diejenigen kaum beruhigen, die von vielen der stattfindenden Veränderungen tief betroffen sind. Überdies gibt es keine Garantie, dass der Wandel für den durchschnittlichen Menschen langsam genug sein wird, um einen sinnvollen Platz in der Welt behalten zu können. Die Probleme aber kann man nicht einfach wieder so lösen, dass man sie Computern übergibt - oder dass wir uns selbst in Computer verwandeln. Damit kann man nur durch eine Verbesserung der gesellschaftlichen Reflektionsweisen über Veränderungen, durch neue Formen der "Verankerung" der sozialen Identität sowie möglicherweise durch eine Bewegung zurecht kommen, um die Summe der Veränderungen mit einer vernünftigen Geschwindigkeit zu übernehmen. Letzteres würde eine Art Moratorium nicht über Innovation an sich, sondern über ihre schnelle gesellschaftliche Akzeptanz beinhalten, so dass die Auswirkungen jeder Veränderung aufbereitet und verdaut werden können.

Ironischerweise würde ein solches Moratorium selbst eine ziemlich schnelle Übernahme einer neuen sozialen Norm bedeuten. Aber diese neue Norm ist sicherlich nicht einzigartig. Alle Gesellschaften hatten bislang in sich Faktoren eingebaut, die zur Trägheit führten, wenn Veränderungen anstanden. Jetzt müssen wir gesellschaftliche Mittel erfinden, um eine solche Trägheit in uns selbst zu entwickeln.

Das können wir wahrscheinlich aus. Dieselben Eigenschaften des Internet und der heutigen Gesellschaft, die die von mir diskutierten schnellen Transformationen ermöglichen, können sehr wohl auch dafür geeignet sein, eine gesellschaftliche Abstimmung durchzuführen, die notwendig ist, um sich reflektierter und behutsamer gegenüber Veränderung verhalten zu können. Was wir benötigen, ist eine absichtlich eingeleitete gesellschaftliche Innovation. Sie würde die Entwicklung von neuen Mechanismen für die kritische Diskussion beinhalten, eine große Verbreitung der Gedanken über die Notwendigkeit, Veränderungen vorsichtiger in die bestehenden sozialen Strukturen zu integrieren, und das Anbieten von mehr und nicht weniger Möglichkeiten für die Ausbildung von neuen, gut unterstützten gesellschaftlichen Identitäten.

Es gibt einen wichtigen Bereich, in dem eine solche Entwicklung überstürzt zu einer sowohl unvermeidlichen als auch schwierigen Veränderungen führen würde. Die Tatsache, dass der westliche und insbesondere der amerikanische Kapitalismus jetzt auf einem immer größer werdenden Wachstum beruhen, stellt diesen nicht nur direkt gegen alle Bewegungen, die Veränderungsrate zu verlangsamen, sondern auch gegen die unvermeidlichen Grenzen bei der Aufnahme des Wandels. Investitionen, die zu einem verlangsamten Wandel führen, werden vermutlich nicht profitabel sein.

Doch für die Aufmerksamkeitsökonomie sieht die Sache anders aus. Die Teilnahme an Beratungen oder der Aufbau von guten Strukturen für eine stabile soziale Identität kann als Mittel zur Gewinnung von Aufmerksamkeit genauso effektiv sein wie spektakulärere Arten der HighTech-Innovation, wenn man den Fall überzeugend begründen kann.

Reiner Terror?

Von all den Problemen, die mit unserem Zeitalter des schnellen technologischen Wandels verbunden sind, sind, wie ich glaube, die allgemeinen sozio-kulturellen, auf die ich hier eingegangen bin, die wichtigsten und beunruhigendsten. Doch ein anderer Sprecher des Stanford-Symposiums hob andere Befürchtungen hervor. Bill Joy, einer der Gründer von Sun Microsystems und selbst einer der führenden Erneuerer, glaubt jetzt, dass die neuen Technologien einen Terrorismus auf einer gefährlichen globalen Ebene ermöglichen werden (Angst vor der Zukunft). Er ist der Ansicht, dass bald ein Einzelner unaufhaltbare biologische Pathogene herstellen und auf der ganzen Welt verbreiten und so die Menschheit dezimieren kann.

Joys Angst kann einer langen Liste von Ängsten über terroristische Bedrohungen hinzugefügt werden, egal ob diese nun mit gestohlenen Nuklearwaffen durchgeführt werden oder ob es sich wie bei dem Versuch der japanischen Aum-Sekte um einen Anschlag mit Nervengas auf Menschen in abgeschlossenen Räumen wie in der U-Bahn von Tokyo handelt. Bislang waren diese Sekten aber, wie man einräumen muss, wesentlich weniger tödlich als diejenigen, die wie die Interhamwe-Gruppe in Ruanda Völkermord mit einer Technologie begangen haben, die nicht komplizierter war als die Radiokommunikation. Dasselbe gilt für die Brutalität der Rebellen von Foday Sankoh in Sierra Leone, die Arme und Beine von Zivilisten mit primitiven Waffen abhacken. Daher erscheint mir die Furcht vor einer neuen Generation von HighTech-Terroristen ein wenig paranoid zu sein. Abgesehen von Regierungen hat noch niemand einen großen Schaden mit Waffen begangen, die sehr auf der Wissenschaft basieren.

Wenn wir künftige Terroristen oder auch künftige Nazis fürchten, dann sollten wir uns auf die Bedingungen der sozialen Entfremdung konzentrieren, die solche Gruppen entstehen lassen. Auch wenn der Ursprung des Bösen niemals ganz verstanden werden kann, wissen wir doch sehr gut, dass extremistische Bewegungen immer zu Zeiten und an Orten zu entstehen scheinen, wo sich große Brüche bei lange Zeit bewahrten Lebensstrukturen ereignen und sich keine guten Alternativen zeigen, die die brachliegenden Kräfte mit sich ziehen könnten. Im Fall der Nazis führte die schnelle Industrialisierung und Modernisierung von Deutschland nach seiner Gründung als vereinte Nation im späten 19. Jahrhundert und die Zuspitzung durch das Chaos des Ersten Weltkrieges zu einer umwälzenden und weit verbreiteten Entfremdung und zu einer Suche nach Sündenböcken.

Selbst wenn wir kaum hoffen dürfen, ohne jeden schnellen Wandel zu leben, und wir wahrscheinlich das letzte Ende des schnellen kapitalistischen Wachstums nicht vermeiden können, ist es die Herausforderung für die gesamte Menschheit, Möglichkeiten zu finden, die Brüche nicht zu groß werden zu lassen. Das wird wahrscheinlich das Wichtigste sein, was wir tun können, und nicht Maßnahmen zu ergreifen, um terroristische Anschläge oder Völkermord selbst zu verhindern oder sich dagegen zu schützen.

Man muss es nur machen

Da das Überleben des Kapitalismus vom hyperschnellen Wachstum abhängt, ereignet sich der größte Bruch oder der größte Schmerz an den Orten vorwiegend in der Dritten Welt, wo die Industrialisierung noch immer im Zentrum steht. Die am meisten davon Betroffenen haben keine Elektrizität, geschweige denn das Internet. Doch stellen die Innovationen und Bewegungen, die im Internet entstehen, vermutlich ihre größte Hoffnung dar.

Nichts steht dem im Wege, dass internetbasierte Innovationen die Welt stärker verknüpfen, als sie weiter auseinander zu reißen. das ist nur eine Frage, wie man sie entwickeln kann - und dass man sie macht.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Rötzer