Nastische Materialien für Flugzeuge oder: biomimetisches Unobtainium

Nach dem Willen der Darpa sollen Flugzeuge Pflanzen ähnlicher werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Biologische Systeme sind exzellente Vorbilder für die Entwicklung ingenieurstechnischer Hochleistungs-Plattformen. Das Verständnis von biologischen Bewegungsabläufen stattet Wissenschaftler mit neuen Lösungsansätzen für technische Probleme aus. Die Anwendungen biologischer Prinzipien im Design neuer autonomer Systeme ist revolutionär. Das glaubt auch die Darpa.

Künstlerisch angehauchte NASA-Vorstellung vom morphenden Tragflächen-Flugzeug. Die Gestalt der Tragflächen soll während des Flugs dynamisch veränderbar sein. Vorbild sind unter anderem nastische Bewegungen aus dem Pflanzenreich. Bild: American Institute of Aeronautics and Astronautics

Vergangenes Jahr hat die Darpa Wissenschaftler vom Virginia Tech mit einem vorerst anderthalbjährigen Forschungsprogramm und den damit verbundenen 2,1 Millionen US-Dollar Fördergeldern bedacht. Sie sollen Proteinstrukturen von Pflanzen untersuchen und dabei deren Rolle bei der Erzeugung von Formveränderungen in natürlichen Materialien aufklären. Ziel ist es, die untersuchten Proteinstrukturen anschließend für die Entwicklung neuer Materialien zur steuerbaren Erzeugung gewünschter Formen zu nutzen.

Das Projekt Nastic Materials ist Bestandteil groß angelegter Anstrengungen der Darpa, die Welt der konventionellen Materialien hinter sich zu lassen und Materialien zu schaffen, die sich mehr und mehr wie Lebewesen benehmen. Darpa-intern spricht man - nicht nur in diesem Kontext - auch immer wieder gern von der Suche nach Unobtainium (im SF-Schinken "The core" (2003) wurde es bereits gefunden).

Das Zielmaterial soll "smart" sein und auf der direkten Umwandlung biochemischer in mechanische Energie basieren. Programmbestandteil ist die Zusammenarbeit mit Unternehmen (SRI International, NextGen Aeronautics, Inc.), die in der Entwicklung sich während des Flugs dynamisch verformender Tragflächen gipfeln soll. Dem stark interdisziplinär ausgerichteten Team von Entwicklern (Molekularbiologie, Polymerchemie, Strukturmodellierung, Fertigungstechniken und Systemintegration sind vertreten) unter Leitung von Don Leo, Center for Intelligent Material Systems and Structures (CIMMS) im Virginia Tech, schwebt dabei ein Falke vor dem geistigen Ingenieurs-Auge, der beim Sturzflug auf die erspähte Beute die Flügel anlegt und gleichzeitig instinktiv auf wirkende Kräfte und Luftdruckänderungen reagiert und so eine präzise Flugbahn erreicht.

Die neuartigen Materialien sollen durch Änderung des Innendrucks deutliche Formveränderungen ermöglichen. Für eine Tragfläche benötigen die Ingenieure ein mechanisch flexibles Material, dessen Oberfläche durch Sensoren kontrolliert wird und die mit elektrischen Leitern überzogen ist, die den Kontakt zu Sensoren und Aktuatoren herstellen und die Formveränderung herbeiführen. Voll integrierte und eingebettete "smarte" Materialien sollen die Tragflächen mit einer bisher unerreichten aerodynamischen Effizienz und Steuerbarkeit ausstatten. Andere Forschungsgruppen arbeiten an anderen Erfolg versprechenden Materialien, wie z. B. Materialien mit Formgedächtnis.

Das Flugzeug der Zukunft oder genauer: das Kampfflugzeug für die Schlachtfelder der Zukunft - soll auf die sich ständig ändernden Umgebungseigenschaften reagieren können, in dem es seine Sensoren wie Nervenbahnen in einer Vogelschwinge nutzt, um Druckänderungen festzustellen - über die gesamte Flügeloberfläche. Als Antwort auf diese Messwerte übernehmen die Aktuatoren die Funktion der Muskeln im Vogel-Flügel und ändern entsprechend die Form des Tragflügels - und nicht mehr konventionelle mechanische Teile.

Die Forschergruppe hofft, von den morphenden Tragflächen zu anderen Anwendungen überzugehen, die Strukturen mit dem Potential zu großen Formveränderungen erfordern, wie z.B. kompakte Container, die sich nach örtlicher Stationierung in Antennen verwandeln. Das Darpa-Projekt "Morphing Aircraft Structures" (MAS befindet sich in Phase 2 - Lockheed Martin, Raytheon und Hypercomp/ NextGen werden mit den Tests von adaptiven Tragflächen-Prototypen beginnen. Das "flügelmorphende Flugzeug" könnte nach Meinung der Forscher 2030 Realität sein.

In der Natur erfolgen Bewegungen von Pflanzen als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen, zum Beispiel aufgrund des wandernden Stands der Sonne oder einer Verfestigung bei Wasseraufnahme. Nastische Bewegungen, die nicht von der Richtung des auslösenden Reizes abhängig sind, werden durch Änderungen des Wasserdrucks im Pflanzeninneren (Turgor) hervorgerufen. Sie bewirken das Schließen bzw. Öffnen von Spaltöffnungen und Blüten sowie die Schlafstellung der Blätter und können beträchtliche Formveränderungen zur Folge haben.

Nastische Strukturen sind biomimetische Bauelemente, in denen Materialien zur Erzeugung großer Verformungsspannungen aktiviert werden, währenddessen noch strukturelle Funktionen wahrgenommen werden können. Die erwähnten pflanzlichen Bewegungen gehen auf Strukturen zurück, die man auch als stark verteilte und redundante hydraulische Aktuator-Systeme ansehen kann.

Am Virginia Tech begann man in den 1980er Jahren, an smarten, die Natur imitierenden Materialien und Systemen zu arbeiten. Das Resultat des "Nastic Materials"-Projekts soll ein gut steuerbares und reversibles Materialsystem sein, dass 10 Megapascal erzeugen kann und unter mechanischer Beanspruchung beständig und zuverlässig arbeitet. Als Ergebnis soll ein pflanzeninspiriertes Aktuatorsystem geschaffen werden, dass die Leistungsdichte eines herkömmlichen hydraulischen Systems erreicht - geplante militärische und zivile Anwendungsfelder sind adaptive und morphende Strukturen.

Navy F/A-18A-Testflug. Bild: Nasa

Andere Experimente zur Steuerung von Kontroll-Oberflächen wurden bereits durchgeführt. Im November 2002 erfolgte auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien der Jungfernflug eines Test-Jets mit flexibler Tragflächenarchitektur. Eine modifizierte Navy F/A-18A stieg dabei auf 10000 Meter Höhe. Das Projekt gehört zum Active Aeroelastic Wing-Programm des American Institute of Aeronautics and Astronautics, das leichtere Tragflächen für eine verbesserte Manövrierfähigkeit von Hochleistungs-Militärmaschinen sucht - Projektlaufzeit acht Jahre, geschätzte Gesamtkosten: über 41 Millionen US-Dollar).

Diese Forschung geht auf die Arbeiten der Gebrüder Orville und Wilbur Wright zurück, die 1903 an ihrem ""Flyer" schon eine Art Tragflächen verformendes Steuersystem zur Kontrolle des Rollverhaltens benutzten. Das Querruder wurde erst später eingeführt. Mit Hilfe von Steuerleinen verkrümmten sie die Tragflügel (Tragflächenverwindung) und erreichten so eine bessere Manövrierfähigkeit.

Nastische Strukturen werden seit einiger Zeit auch innerhalb des Konzepts der aufblasbaren Tragflächen angewendet. Eine Reihe zylindrischer, aufblasbarer Röhren kann über die gesamte Flügelspanne auf Ober- und Unterseite angeordnet werden, pneumatisch isoliert vom Pumpvolumen der Tragfläche. Durch unabhängige Druckänderung in den Röhren von Ober- und Unterseite kann die gewünschte Formveränderung der Tragflächen erzielt werden.

Flexible Aktuatoren aus piezokeramischen Folien. Bild: Kompetenznetz Adaptronik

Andere Morph-Aktuatoren sind bekannt, z.B. piezoelektrische Elemente wie das Nasa Macro-Fiber Composite (MFC. Mittlerweile wurden aufblasbare Hochleistungs-Tragflächen entwickelt.

Das GA-33 Goodyear Inflatoplane aus der Frühzeit der aufblasbaren Tragflächen-Ära (1956). Das Flugzeug wurde wie eine Schubkarre in Position gebracht und innerhalb von fünf Minuten aufgeblasen. Der Zwei-Zylinder-Nelson-Motor (40PS) wurde per Hand angelassen. Flügelspanne: fast sieben Meter. Reichweite: 600 Kilometer. Reisegeschwindigkeit: 100 km/h. Das Inflatoplane sollte in Containern zur Rettung von hinter feindlichen Linien abgeschossenen Piloten abgeworfen werden. Bild: American Institute of Aeronautics and Astronautics