Nato instrumentalisiert Ukraine
Nato-Generalsekretär Rasmussen erhöht vor der Nato-Tagung den Druck, während die Kämpfe um die Großstädte Donezk und Lugansk heftiger werden
Nicht offiziell, sondern über ein Exklusiv-Interview mit der kleineren französischen Zeitung Midi Libre sucht Nato-Generalsekretär Rasmussen in mittlerweile schon gewohnter Weise den Ukraine-Konflikt zu instrumentalisieren, um im Vorblick auf die heute beginnende Nato-Tagung in Wales die Nato-Präsenz an der Grenze zu Russland zu verstärken und weiteren Druck auf die Nato-Mitglieder auszuüben. Dazu kam der Ukraine-Konflikt gerade recht, denn schon länger fordert vor allem die US-Regierung eine Erhöhung der Militärausgaben und mehr Engagement von den Nato-Mitgliedern, weil sich die USA mehr nach Asien ausrichten und das Pentagon sparen muss.
Bei beiden Forderungen steht Deutschland im Zentrum des Drucks. Schon bei der Münchener Sicherheitskonferenz, zwar bereits im Blick auf den Ukraine-Konflikt, aber noch lange vor dem Sturz der Janukowitsch-Regierung und dem Bürgerkrieg, hatte man bemerken können, wie vereint transatlantische Journalisten und Wissenschaftler ein Konzept ausgearbeitet hatten, das dann Verteidigungsministerin von der Leyen, Außenminister Steinmeier und der deutsche Präsident Gauck (Gauck predigt gegen "Drückebergerei") in ihre Reden einfließen ließen (Wir sind die Guten). Im Hintergrund stand eine Studie, die die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik gemeinsam mit dem German Marshall Fund of the United States erstellt hatte.
Mitgeholfen hatten auch Journalisten wie Jochen Bittner von der Zeit. Über die Verflechtung von Journalisten wie Bittner mit transatlantischen Interessengruppen gab es vor allem erst nach der Satiresendung "Der Anstalt", die das aufgegriffen hatte, eine gewisse Aufmerksamkeit. Josef Joffe und Jochen Bittner gingen juristisch gegen die Satiresendung vor und erreichten, dass die inkriminierten Passagen aus der Mediathek entfernt werden mussten (Journalisten-Kritik muss aus dem Netz). Die Begründung ist zweifelhaft: Journalisten als politische Lobbyisten?.
Nato-Generalsekretär Rasmussen betont nun in dem Interview erneut, dass die "russische Aggression" eine neue "Sicherheitssituation" geschaffen habe, es also notwendig werden lasse, dass die Nato den alten Feind aus dem Kalten Krieg wieder ins Visier nimmt und sich aufrüstet. Deswegen müssten nicht nur vermehrt Militärübungen an der Grenze stattfinden, während man gleichzeitig die Stationierung von russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine rügt, sondern man müsse die Verteidigung auch wieder auf Russland ausrichten (Wiederkehr der Geopolitik des Kalten Kriegs).
Da ist man wenigstens auf vertrautem Gebiet. Und das Risiko steigt damit auch. So wurde bekannt, dass am 18. Juli, einen Tag nach dem Absturz der MH17, ein US-Aufklärungsflugzeug - nach Pentagon-Angaben im internationalen Luftraum - von einem russischen Abfangjäger bedrängt ungenehmigt in den schwedischen Luftraum eingedrungen war. Wie CNN berichtet, kam es deswegen zu Gesprächen mit dem Nicht-Nato-Mitglied Schweden, der Vorfall zeigt aber vor allem, dass sich schnell gefährliche Situationen ergeben können.
Und ganz wichtig ist Rasmussen, der regelmäßig als Sprecher der US-Regierung auftritt, dass die Militärausgaben in den Nato-Mitgliedsländern erhöht werden müssen. Das habe Russland gemacht, deswegen müssen die Militärausgaben auch in der Nato angehoben werden. Das hätte nicht nur den Effekt, der europäischen Rüstungsindustrie einen Schub zu geben, sondern auch der US-amerikanischen.
Die USA wollen schon seit Bush das Raketenabwehrsystem möglichst nahe an der russischen Grenze stationieren und möglichst alle "befreundeten" Länder unter ihn bringen. Obama hatte erst einmal eingelenkt, dann aber erneut die Strategie im Rahmen eines Nato-Raketenabwehrsystems durchgesetzt. Das würde nicht nur deren vermeintlicher Sicherheit dienen, sondern auch den Einfluss der USA verstärken.
Rasmussen will es dabei aber nicht belassen, er erklärt im Interview auch, man habe "zahlreiche Informationen", dass MH17 von den Separatisten, die von Moskau unterstützt werden, abgeschossen worden sei. Das sei ein Kriegsverbrechen, fügte er hinzu. Über welche Informationen wer verfügt, ließ er aber lieber im Dunklen und bleibt damit beim Spiel der Anschuldigungen, wie man das auch beim Irak-Krieg mit angeblichen Beweisen der Geheimdienste über Husseins Massenvernichtungswaffen gemacht hat.
Immerhin konnte die Untersuchung der Absturzstelle nun aufgenommen werden, nachdem die ukrainischen Truppen und die Milizen der Separatisten einen sicheren Zugang über einen Korridor versprochen hatten, der durch Gebiete führt, die wechselnd von ukrainischen Kräften und Separatisten kontrolliert werden. In der Nähe gehen die Kämpfe jedoch weiter. Aus nachvollziehbaren Gründen haben die Separatisten es abgelehnt, dass die Unglücksstelle mit einer Drohne erkundet wird. Das internationale Expertenteam hat nun in Soledar, 100 km nordöstlich von Donezk und damit näher an der Unglücksstelle Quartier bezogen.
Nach dem Sprecher des ukrainischen Sicherheits-und Verteidigungsrats Lysenko sind ukrainische Streitkräfte nicht an den Kämpfen bei der Absturzstelle beteiligt. Machen das also die Separatisten untereinander aus? Nach Lysenko feuern die Separatisten auch regelmäßig über die Grenze nach Russland, um das russische Militär dazu zu provozieren, ukrainische Stellungen zu beschießen.
Im Gegensatz zu den Verlautbarungen von Rasmussen gibt es noch keine neuen Hinweise auf die Absturzursache. Vermutet wird weiterhin in erster Linie, dass die Maschine von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde, worauf Schrapnell-Beschädigungen hinweisen. Aber es gibt auch angesichts von zahlreichen Löchern im Cockpit Annahmen, dass es sich nicht um Schrapnel, sondern um Schusslöcher handeln könnte. Dabei käme das vom russischen Verteidigungsministerium angeblich entdeckte ukrainische Kampfflugzeug ins Spiel.
In den Außenbezirken von Donetzk wird weiterhin gekämpft. Die OSZE berichtet, dass reine Wohngebiete unter Artilleriebeschuss standen. Schlimmer steht es in Lugansk. Die eingeschlossene Stadt wird beschossen, es gibt keinen Strom und kein Wasser mehr, es gibt keinen Zugang zum Internet, die Lebensmittel gehen aus, die meisten Geschäfte haben geschlossen, die öffentlichen Verkehrsmittel fahren nicht mehr.
Die ukrainischen Streitkräfte versuchen, Donezk einzukesseln, dort wurde angeblich erneut ein Kampfflugzeug abgeschossen. Während die ukrainischen Truppen immer weiter vordringen und die Separatisten erneut auf eine Intervention Russlands hoffen, finden derzeit Verhandlungen zwischen Kiew und den Separatisten über die im Süden von Donezk seit Wochen eingekesselten ukrainischen Truppen statt, denen Munition, Trinkwasser und Lebensmittel ausgehen. Davon hört man auf ukrainischer Seite nichts.
Der ukrainische Innenminister Arsen Avakov ist deutlicher. Er sieht die Gefahr eines Dritten Weltkriegs und fordert, dass die USA und EU der Ukraine nicht nur Waffen liefern, sondern auch Nato-Truppen stellen.
BTW: In dem eingangs erwähnten Bericht, der zu einem erhöhten militärischen Engagement Deutschlands ermuntert, heißt es:
Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen; wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot oder das Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen; wo sie Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und imstande sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig damit drohen zu können.
Da könnte man sich auf fragen, wie dies auf den Angriff der israelischen Streitkräfte zur Anwendung kommen sollte. Gerade erst hat die Israelische Armee eine UN-Schule beschossen, was UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon als Verletzung des internationalen Rechts geißelte.