Nazis gegen Hitler

Seite 2: Hitler: "Das ist reiner Marxismus!"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 8. Dezember erringt die NSDAP bei den Landtagswahlen in Thüringen 6 Sitze, worauf sie sich mit der „Deutschnationalen Volkspartei“ (DNVP), der DVP und dem Landbund zum ersten Mal an einer Landesregierung beteiligt. Für Otto ist das Verrat an den revolutionären Idealen der Partei.

1929 heiratet Otto Strasser seine Frau Gertrud, mit der er zwei Kinder haben wird.

Die NSDAP und vor allem die Strasser-Presse unterstützt im April 1930 einen Streik der Arbeiter in der Metallindustrie von Sachsen. Industrielle drohen Hitler deshalb mit der Einstellung ihrer finanziellen Zuwendungen an die Partei. Der gibt den Befehl, den Streik zu beenden. Das leitet neben der Frage der Regierungsbeteiligung den endgültigen Bruch zwischen den Fraktionen ein.

Am 21./22. Mai 1930 kommt es zu einer letzten Aussprache zwischen Otto Strasser und Hitler. Der NSDAP-Führer bietet an, das Verlagshaus der Brüder zu kaufen. Otto Strasser kann Abgeordneter werden. Der lehnt ab. Hitler besteht auf der Auflösung des Kampf-Verlages. Sonst werde den Parteimitgliedern die Lektüre von und Mitarbeit an dessen Publikationen verboten und die Strasser-Gruppe aus der Partei ausgeschlossen.

Otto Strasser spricht sich für den deutschen Sozialismus, die Nationalisierung und Sozialisierung der Wirtschaft, aus. „Das ist reiner Marxismus!“, entfährt es Hitler. Er erklärt, nach der Machtübernahme Großbetriebe wie Krupp nicht antasten zu wollen.

Nach dieser Auseinandersetzung wartet der Führer der NSDAP erst einmal ab. Er will vor den Landtagswahlen in Sachsen keine negative Publizität. Am 22. Juni 1930 triumphiert die Partei in Sachsen. Sie hat die Zahl ihrer Wählerstimmen gegenüber 1929 verdreifacht. Jetzt ist es für Hitler Zeit zu handeln.

Am 30. Juni befiehlt er Goebbels, die Partei rücksichtslos zu säubern. Schon vorher, im ganzen Juni, werden verschiedene Strasser-Anhänger, wie der Chefredakteur des Sächsischen Beobachters, Richard Schapke, aus der Partei ausgeschlossen.

Otto Strasser erfährt an diesem Tag auch, dass Gregor alle Ämter beim Kampfverlag niederlegt. Der Bruder entscheidet sich, wie dann viele Andere von der NS-Linken, für Hitler.

Am 4. Juli erscheint der Aufruf Die Sozialisten verlassen die NSDAP. Neben Ottos Unterschrift steht unter diesem Manifest noch die von 25 anderen Parteimitgliedern. Führungskader aus der ersten Reihe der Partei befinden sich darunter fast nicht.

Gregor Strasser distanziert sich öffentlich von Schritt seines Bruders. Er bekundet seine volle Loyalität gegenüber Adolf Hitler.

Am 6. Juli wird offiziell die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“ (KGRNS) gegründet. Gerade einmal 800 Mitglieder der NSDAP laufen über. Ende Mai 1931 wird die KGRNS aber immerhin ungefähr 6000 Mitglieder und 90 Stützpunkte haben.

Der Kampf-Verlag wird zum 1. Oktober geschlossen. Im Dezember werden die Tageszeitung und alle anderen Publikationen eingestellt. Strasser-Organ wird jetzt die Wochenzeitung „Die Deutsche Revolution“.

Die KPD veröffentlicht eine „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“, in der die Kommunisten sich einer betont nationalistischen Rhetorik bedienen und gegen den Versailler Vertrag polemisieren. Stimmen aus der Kampfgemeinschaft halten ein Bündnis mit der KPD für möglich. Strasser ist skeptisch. Es gibt aber viele Überläufer von der KGRNS zur KP, auch Führungskräfte. Insgesamt werden über 40 Prozent der Revolutionären Nationalsozialisten bei den Kommunisten enden.

Attentat auf Strasser und Stennes-Revolte

Die NSDAP legt gegenüber ihren Renegaten eine sehr aggressive Haltung an den Tag. Die Veranstaltungen der KGRNS werden regelmäßig von der SA gesprengt. Es kommt in Bamberg zu einem Attentat auf Strasser. Zeitweise ist es nur möglich, unter dem paramilitärischen Schutz der Kommunisten Treffen abzuhalten. Manche KGRNS-Ortsgruppen treten zu ihrer Sicherheit dem KP-nahen „Kampfbund gegen den Faschismus“ bei.

Die Unzufriedenheit unter NSDAP-Anhängern zeigt sich in der Stennes-Revolte von 1931. Die SA ist unzufrieden angesichts schlechter materieller Ausstattung und des legalistischen Kurses der NS-Führung. Walther Stennes, Oberbefehlshaber der SA in Ostdeutschland, setzt sich an die Spitze der Unzufriedenen. Die Revolte greift auf das ganze Reich über, sodass am Schluss 8000 bis 10000 Parteimilizionäre involviert sind. Zeitweise kommt es zu einer Vereinigung zwischen Strasser- und Stennes-Leuten in der „Nationalsozialistische Kampfgemeinschaft Deutschlands“ (NSKD). Am 12. September 1931 trennen sich die Gruppen aber schon wieder.

Im September gründet Strasser die Zeitschrift „Schwarze Front“. Das wird auch der Name einer Dachorganisation von rechtsorientierten Gruppen, die eine Einheit der ganzen nicht in der NSDAP organisierten Rechten erreichen will. Die Schwarze Front umfasst zum Beispiel die Stennes-Organisation, die soldatischen Wehrbünde „Wehrwolf“ und „Bund Oberland“, den nationalbolschewistischen „Widerstands-Kreis“ des Ernst Niekisch, Gruppen aus der Bündischen Jugend, solche aus der Bauernbewegung des Landvolks oder den Kreis um das konservativ-revolutionäre Theorieorgan „Die Tat“. Mancher ist aber nur Mitstreiter auf Zeit. Später werden die Begriffe KGRNS und Schwarze Front fast synonym gebraucht werden.

Inzwischen verschärft sich die Rivalität zwischen Hitler und Gregor Strasser. Reichskanzler Kurt von Schleicher bietet im Dezember 1932 dem Organisationsleiter der NSDAP die Vizekanzlerschaft und das Amt des preußischen Ministerpräsidenten an, um die NSDAP zu spalten und eine Querfront durch alle politischen Lager unter Einbeziehung des linken Flügels der NS-Partei zu bilden. Dieses Vorhaben scheitert auch daran, dass Gregor Strasser letztlich die Kraft und Entschlossenheit fehlt, sich gegen Hitler zu positionieren. Am 8. Dezember tritt Gregor Strasser von allen Parteiämtern zurück und flüchtet ins Privatleben.

Verfolgung und Exil

Der Sturz General von Schleichers und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler trifft die KGRNS völlig unvorbereitet. Sie begrüßt diese Entwicklung zuerst, weil sie angeblich die sozialistische Revolution näherbringt. Am 15. Februar 1933 wird die Schwarze Front verboten. Es beginnt eine Zeit intensiver Verfolgung. 1935 werden über 500 Aktivisten der KGRNS in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des Hitler-Regimes einsitzen.

Die Hoffnung auf eine „Zweite Revolution“ unter Einbeziehung der SA zerschlägt sich endgültig, als Ende Juni/Anfang Juli 1934 im sogenannten „Röhm-Putsch“ SA-Stabschef Ernst Röhm und andere Führer des NS-Wehrbundes und unter anderem auch Gregor Strasser liquidiert werden.

Otto Strasser organisiert die Widerstandstätigkeit der KGRNS zuerst von Österreich, ab Mitte 1933 von der Tschechoslowakei aus. Es wird eine intensive Propagandatätigkeit ins Reich hinein mit Untergrund-Broschüren und Zeitschriften wie dem „Schwarzen Sender“ betrieben. Strasser gründet in der Tschechoslowakei das „Aktionskomitee der Deutschen“, das in ziemlicher Selbstüberschätzung eine „deutsche Regierung im Exil“ sein will. Er befleißigt sich jetzt eines demonstrativen Philosemitismus.

In der Tschechoslowakei steht Strasser unter Polizeischutz. Es kommt während der Zeit des „Dritten Reiches“ zu mehreren Attentatsversuchen auf ihn durch die Gestapo. Es wird versucht, Strasser zu entführen. Rudolf Formis etabliert in der Tschechoslowakei einen Rundfunksender der Schwarzen Front, der im Reich viele Hörer hat. In der Nacht von 23. auf den 24. Januar 1935 wird er von einem Kommando der Gestapo erschossen.

1938 veröffentlicht Strasser mit Kurt Hiller, dem homosexuellen jüdischen Autor der „Weltbühne“, die nationalrevolutionäre „Prager Erklärung“. Die Schwarze Front zerfällt in diesem Jahr faktisch, nachdem sich ihr Organisationsleiter Friedrich Beer-Grunow von Strasser lossagt. Kurz darauf wird er von der Gestapo ermordet. Im Herbst siedelt Strasser in die Schweiz über.

1939 wird er von der Seite des Deutschen Reiches zu Unrecht beschuldigt, das Attentat von Georg Elser auf Hitler in Auftrag gegeben zu haben. Man setzt eine Belohnung von einer Million Reichsmark auf ihn aus.

Am 30. Januar 1941 gründet er die „Frei-Deutschland-Bewegung“. Das ist ein weiterer Versuch, im Widerstand der Emigranten gegen Hitler eine Rolle zu spielen. Er bekennt sich jetzt zur Demokratie.

Im April 1941 siedelt er nach Kanada über. Vorher hat er sich zeitweise auch kurz in Frankreich und Portugal aufgehalten.

Nach der Befreiung vom Faschismus sammeln sich Strassers politische Freunde 1948 im „Bund für Deutschlands Erneuerung“ (BDE). Die westdeutschen Behörden verweigern ihm die Einreise in die Bundesrepublik. 1952 verklagt er das Bundesinnenministerium vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das gibt ihm schließlich recht, sodass er am 16. März 1955 einreisen kann.

Am 17. Juni 1956 wird die „Deutsch-Soziale Union“ (DSU) gegründet. Seine politische Konzeption bezeichnet Strasser jetzt als „Solidarismus“. 1960 beantragt Otto finanzielle Entschädigung als Verfolgter des Naziregimes. Das Justizministerium von Baden-Württemberg kommt aber zu dem Ergebnis, dass die Schwarze Front die gleichen Ziele wie die NSDAP verfolgt habe. Auch sei Strasser nie im Gefängnis oder KZ gewesen. Deswegen wird der Antrag abgewiesen.

Am 24. und 25. März 1962 beschließt die politisch erfolglose DSU, nachdem sie Strasser zeitweise verlassen hatte, ihre Selbstauflösung.

Am 27. Februar 1971 heiratet er seiner zweite Frau Renate. Ein später Lebenshöhepunkt wird für ihn eine Vortragsreise in den Vereinigten Staaten im März 1971. Er spricht bei großem Medieninteresse vor insgesamt 10000 Menschen.

Am 27. August 1974 stirbt Otto Strasser in München.