Nazis gegen Hitler

Seite 3: Nationalsozialismus als antiimperialistische und antikapitalistische Bewegung

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Die programmatischen Grundlagen des Revolutionären Nationalsozialismus lassen sich aus den Manifesten "Die Sozialisten verlassen die NSDAP" vom 4. Juli. 1930 und „14 Thesen der Deutschen Revolution“ vom 26./27. Oktober 1930 ermitteln.

Die Strasseristen verstehen den Nationalsozialismus als antiimperialistische Bewegung. Das bedeutet eine klare Parteinahme gegen jeden Interventionskrieg gegen die Sowjetunion sowie die Solidarität mit dem Kampf des indischen Volkes gegen die britische Herrschaft.

Der Strasser'sche Nationalsozialismus ist gegen das Prinzip der Erbmonarchie und für eine deutsche Republik. Er lehnt sowohl einen faschistischen Obrigkeitsstaat wie auch die formale parlamentarische Demokratie zugunsten einer ständischen Verfassung der Gesellschaft ab.

Der Nationalsozialismus Otto Strassers ist „die große Antithese des internationalen Kapitalismus“. Sozialismus im Strasser'schen Sinne ist „Anteilnahme der Gesamtheit der Schaffenden an Besitz, Leitung und Gewinn der ganzen Wirtschaft“ [der] „Nation“. Das bedeutet die „Brechung des Besitzmonopols des heutigen kapitalistischen Systems und vor allem [...] Brechung des Leitungsmonopols, das heute an den Besitztitel gebunden ist.“ Strasser spricht sich auch dafür aus, dass Grund und Boden nationalisiert werden.

Die einseitige Positionierung der NSDAP gegen den Marxismus ist eine „Halbheit“. Es braucht eine Äquidistanz zum Marxismus wie zum Kapitalismus, die beide Kinder des Liberalismus sind.

Auch im Weltbild der Strasser-Anhänger hat der Antisemitismus seinen Platz: Es gilt ihr „Kampf dem Judentum, das im Verein mit den überstaatlichen Mächten der Freimaurerei und des Ultramontanismus teils aus Artzwang, teils aus Willen das Leben der deutschen Seele zerstört.“

Unbehagen verursacht den Revolutionären Nationalsozialisten, dass Hitler die Nähe zur bürgerlichen DNVP sucht, zu „führenden Kreisen der Unternehmer- und Kapitalistenschaft“.

In der Kritik steht der Reformismus und Legalismus der NSDAP-Führung. Die Revolutionären Nationalsozialisten beklagen die „Verbürgerlichung der Bewegung“ und „eine Verbonzung der Partei“, die sich auch in Haltung und Lebensführung der hohen Parteifunktionäre zeigt. Die materielle Abhängigkeit der Führer von der Partei führt zu einer „Atmosphäre byzantinischer Würdelosigkeit“.

Aus all dem ziehen sie, auch weil sich eine Säuberungswelle in der NSDAP gegen sie ankündigt, die Konsequenz einer organisatorischen Trennung.

Otto Strassers Nachwirkung im heutigen Rechtsradikalismus ist enorm. Antikapitalismus ist unter Rechten sehr en vogue. Die NPD, die immer starke strasseristische Strömungen beherbergte, punktet vor allem im Osten Deutschlands mit Sozialkritik und sozialistischer Rhetorik. Weiterhin spielen sowohl in der Theorie als auch gerade in der ästhetischen Selbstinszenierung der „Freien Kamerad-schaften“ und der „Autonomen Nationalisten“ Elemente des Revolutionären Nationalsozialismus eine große Rolle.

In England war der Strasserismus in der „National Front“ (NF) der frühen 70iger und frühen 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts eine prominente Position. Ehemalige Aktivisten der NF wie der „Nationalanarchist“ Troy Southgate, der ein Buch mit dem Titel „Otto Strasser: The Life and Times of a German Socialist“ geschrieben hat, führen heute diese Tendenz weiter.

Auch in vielen anderen Ländern, wie in Frankreich, den USA oder Russland, ist eine solche Orientierung unter Rechtsextremen zu beobachten. Die Frage, ob sich die Gebrüder Strasser oder Hitler im Bewusstsein der radikalen Rechten durchsetzen, ist also noch lange nicht entschieden.