Nerds in der Sonne
Der CCC ging zum ersten Mal demonstrieren - und lotete seine Einflussmöglichkeiten aus
Zum ersten Mal in seiner 20jahrigen Geschichte rief der Chaos Computer Club (CCC) zu einer Straßendemonstration auf. Zirka 300 Teilnehmer zogen am Samstag durch die Düsseldorfer Innenstadt, um gegen die Sperrungsverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf zu protestieren. Es war ein Experiment der besonderen Art.
Nerds sieht eher man selten in hellem Sonnenlicht - und sie treten selten in Rudeln auf. Wenn eine ganze Menge von ihnen gleichzeitig am hellen Tage durch die Düsseldorfer Innenstadt ziehen, muss etwas ganz besonderes vorgefallen sein. Die Internetzensur trifft Netzaktivisten bis ins Mark. Für sie ist es ein Angriff auf Bürger- und Menschenrechte. Das Problem: kaum ein anderer sieht das Problem. Die Sperrung von zwei rechtsradikalen Seiten regt niemanden besonders auf - zumindest niemanden, auf den die Politik besonderen Wert legen würde.
Straßendemo und symbolische Politik
Warum wählte der CCC nach so langer Zeit auf einmal das Mittel der Straßendemo? Die anderen Möglichkeiten waren schlichtweg ausgeschöpft. In so ziemlich jedem IT-Ticker und Magazin sind Artikel zu der Sperrungsverfügungen aus Düsseldorf erschienen. Es gab Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden. Nichts davon scheint wirklich zu verfangen.
Mit seiner Initiative Odem.org hat Alvar Freude viel Medienaufmerksamkeit erhalten - und bisher über 6.300 Unterschriften (Unterschriften gegen Zensur). Doch welchen Wert Online-Unterschriftenlisten selbst mit prominenter Beteiligung haben, zeigte die Entscheidung um den Einsatz von Linux im Bundestag. Die Initiative Bundestux hatte im Internet 28.000 Stimmen für das freie Betriebssystem gesammelt. Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss schwärmte daraufhin von einer neuen Kultur: "Politik findet auch im Netz statt". Parlamentskollege Ott hielt die Onlinesammlung nicht für relevant: "Es ist schon witzig, dass jetzt auch Bundestagsabgeordnete Petitionen - sozusagen an sich selbst - richten. Die Entscheidung über ein Betriebssystem innerhalb des deutschen Bundestages müssen die Abgeordneten nach bestem Wissen und Gewissen selbst treffen." Immerhin entschieden die Abgeordneten damals für eine Kompromisslösung (Der Bundestag öffnet sich für Freie Software).
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Auch jetzt beziehen Tauss und andere Medienpolitiker eindeutig Stellung gegen die Sperrungsverfügung. Der Effekt auf die tatsächliche Politik ist jedoch höchst ungewiss.
Einfluss auf die Wirklichkeit
Es stellt sich die Frage, inwieweit Netzaktivisten, Hacker und Fachleute tatsächlich Auswirkungen auf die politische Wirklichkeit nehmen können - auch wenn sich die Politiker als "beratungsresistent" erweisen. Das sachliche Gespräch hatte der Club gesucht. Noch im März waren Vertreter der Bezirksregierung mit den Sprechern des CCC zu einem Gespräch zusammen gekommen. Ergebnisse gab es keine. Der Chef der Medienaufsicht Jürgen Schütte kommentierte das Zusammentreffen so: "Wir haben zwar etwas mehr verstanden, wie sie denken, ihre Argumente verstehen wir jetzt allerdings noch weniger".
Dabei lässt sich der Grundkonflikt in zwei Sätzen zusammenfassen: Nach Meinung der Bezirksregierung ist das Internet insgesamt ein Medium, das mit einem Fernsehsender oder einer Zeitung zu vergleichen ist. Die Hacker argumentieren, Internet sei Kommunikation, der Abruf einer Internetseite gleiche einem Telefongespräch oder einem Faxabruf. Scheinbar eine abstrakte Diskussion, allerdings hängen alle weiteren Fragen von der Definition des Internet ab. Sperrung oder nicht? Staatlicher Regelungsbedarf oder freies Kommunikationsmedium?
PR statt Fakten
Jetzt geht es erst einmal um PR. Bis eine gesicherte Rechtsprechung zum Thema existiert, können Jahre vergehen. Nicht die Fakten spielen bis dahin die Hauptrolle, sondern es kommt darauf an, wie man sie der Öffentlichkeit verkauft. Und die PR-Schlacht beherrscht die Bezirksregierung offenbar gut.
So wäre die Demo fast schon gelaufen gewesen, bevor sich die Demonstranten auch nur versammelt hatten. Schon am Freitag hatte die Bezirksregierung die Pressemitteilung zur Demonstration ins Netz gestellt - mit Sperrfrist Samstag Nachmittag. Darin stand zu lesen, dass der CCC Unterschriften übergeben habe und warum die Kritik der Demonstranten falsch sei. "Es gibt aber keinen allgemeinen Informationsanspruch auf menschenverachtende Inhalte." CCC-Sprecher Andreas Muller-Maguhn ist darüber nicht besonders glücklich: "Wir werden hier zu Statisten in unserer eigenen Inszenierung gemacht".
Gegen Rechts und gegen den Staat
Der ganz breite Konsens, den die Webseite durch die Auflistung der Unterstützer angedeutet hatte, fand nicht statt. Die Redner rekrutierten sich meist aus dem Feld der "üblichen Verdächtigen": CCC-Sprecher Andreas Müller-Maguhn, Alvar Freude von Odem.org und der Initiator des Big-Brother-Awards padeluun. Immerhin ein Vertreter der Antifa-KOK brachte die Sicht der Linken ein, die das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit nicht auf das Internet legt. Er stellte auch direkt klar: "Wir freuen uns über jede Neonazi-Publikation, die nicht erscheint." Allerdings stände zu befürchten, dass sich die Maßnahmen der Bezirksregierung auch gegen Linksextreme richten würden, wenn sie einmal etabliert wären.
Auch Netzaktivist und Künstler padeluun misstraut dem Staat: "Aldous Huxley, Autor des Buches 'Schöne Neue Welt', schrieb: 'Der neue Totalitarismus sieht nicht zwangsläufig so aus wie der alte.' Ich habe die Besorgnis, dass ihr seine Bucher statt als Warnung eher als Anleitung verstanden habt."
Bei der Bezirksregierung angelangt, konnten die Demonstranten einen Achtungserfolg verbuchen. Immerhin wartete Jürgen Büssow samt Vize und Mitarbeitern auf den Demonstrationszug. Noch am Freitag wollte die Behörde die Hacker vor verschlossenen Turen stehen lassen. Erst das große Medieninteresse brachte die Beamten zum Umdenken.
Diskussion oder Scheingefecht
Bei der Übergabe der roten Netzwerkkarte, die der CCC auf der Cebit nicht losgeworden war (Politische Botschaften in einer Zirkusveranstaltung), zeigt sich die Medieninszenierung auf beiden Seiten. Müller-Maguhn drängte Büssow immer wieder, den Negativpreis vor den Kameras entgegenzunehmen. Der weigerte sich standhaft - denn ein Bild in der Presse, wie der Regierungspräsident einen Negativpreis annimmt, käme einer kleinen Niederlage gleich. Schließlich nimmt Büssow die Karte doch an, im Austausch gegen etwas Redezeit.
Und wieder werden altbekannte Standpunkte ausgetauscht. Der Regierungspräsident betont die Notwendigkeit, illegaleInhalte zu sperren, um Minderheiten zu schützen. Die Demonstranten entgegnen, dass die Behörde das Internet nicht verstanden habe. Dazu kommt der Vorwurf, dass der Regierungspräsident kommerziellen Interessen folge. Er hatte nämlich angekündigt, sein weiteres Vorgehen nach einem Gutachten richten zu wollen, das unter anderem von der Firma Bocatel angefertigt wird.
Regierungsvizepräsident Hans-Jürgen Riesenbeck räumt unterdessen unumwunden ein, dass sich die Bezirksregierung auf einem juristisch außerst schmalen Grad bewege. Letztendlich müsse wahrscheinlich ein Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Sperrungsverfügung entscheiden. Eine unrechtmäßige Einschränkung der Grundrechte sei dabei einkalkuliert, da der Minderheitenschutz eine übergeordnete Rolle spiele. Die Sperrung der zwei rechtsextremen Seiten sei relativ willkürlich. "Wenn ich das Milchtrinken verbieten will, muss ich erst mal ein oder zwei Flaschen beschlagnahmen." Alles weitere werde der Rechtsweg ergeben. Erst nach über einer Stunde Diskussion ziehen sich sowohl Politiker wie Hacker zurück. Die Kameraleute sind längst gegangen, man kennt die Standpunkte der Gegenseite zur Genüge.