Neuer Volkssport für Diktatoren: Jagt den Blog!
Abmahnung, Bloggen und Rechtradikalismus auf griechisch
Dass Blogger teilweise gefährlich leben, ist bekannt. Wenn irgendwo in der Welt ein Blogger verhört, verklagt oder verhaftet wird, fällt es kaum mehr auf; selbst bei hauptberuflichen Journalisten führt derartiges ja außerhalb der eigenen Kreise nicht mehr zur Empörung, sondern wird achselzuckend als „Berufsrisiko“ angesehen („selbst Schuld“). Im Zeitalter von Guantanamo, Yahoo-Zensur, Google-Filtern und organisierten Massenabmahnungen würde normalerweise niemand mehr Notiz von einem unglücklichen Griechen nehmen, der wegen einer Weblogverlinkung vor den Kadi gezerrt wurde.
In den meisten internationalen Medien taucht hin und wieder eine Randnotiz auf, dass in China oder im Iran ein regimekritischer Blogger zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Es wird erwähnt, dass Chinesen sich mittlerweile registrieren lassen müssen, wenn sie im Internet aktiv sein wollen.
Wen interessiert das?
Wer aber kümmert sich um so etwas Unprickelndes wie europäische Abmahnungen, wo doch schon die in Deutschland mittlerweile kein journalistisches Thema mehr sind? Wer, außer einen kleinen Gruppe von Unbeugsamen, die meist netzintern gegen oft unberechtigte Netzzensur oder netzbedingten Machtmissbrauch kämpfen, stört sich noch am täglichen Griff in die Taschen und Privatsphäre der kleinen Leute?
Artikel, die im Internet kursierende Bewerbungsversuche von Möchtegern-Bill Gates-Imitatoren behandeln, stoßen bei der Leserschaft mittlerweile ebenfalls nur noch auf geteiltes Interesse und das gleiche Schicksal hat auch Endzeitpropheten, Verschwörungsreporter, Pseudowissenschaftler und Rassentheoretiker ereilt. Zwar taucht hier und da noch ein Buch des ewig auf der Suche nach reisenden Göttern befindlichen Erich von Däniken auf, aber wer interessiert sich heute noch für ihn und seine Plagiatoren?
Obwohl der Rechtsradikalismus in der ganzen Welt eine zunehmende Gefahr darstellt, werden die rechtsextremen Theoretiker mittlerweile kaum mehr beachtet. Selbst in den USA, in denen rechtes Gedankengut gefahrloser als in Deutschland verbreitet werden kann, ist ein Fred A. Leuchter allenfalls ein Google Video wert.
Ebenso gering wie am Internet und der stetig wachsenden Menge an Spinnern ist das Interesse der übrigen Welt an Griechenland. Die Griechen müssen sich schon selbst belauschen, um eine Erwähnung in der internationalen Presse zu finden.
Woher das Interesse?
Umso seltsamer erscheint es, dass die durch einen rechtsradikalen Fernsehprediger veranlasste Verhaftung eines griechischen Blog-Beobachters als Meldung um die Welt ging. Sowohl die englischsprachige als auch die deutschsprachige Presse fanden den Vorfall erwähnenswert. Bereits am 30.10.2006 erschienen entsprechende Veröffentlichungen. Komisch, dass die griechische Presse selbst erst nach Tagen reagierte.
Was ist geschehen?
Der für seine abstrusen Ansichten bekannte Fernsehmoderator Dimosthenis Liakopoulos hatte eine Klage gegen jede greifbare Person eingereicht, die ihn als Person kritisierte. Anlass war ein satirischer Angriff auf Liakopoulos auf der Bloggerseite funEL. Die funEL-Autoren haben es geschafft, einen Menschen, der trotz eines Studienabschlusses in Physik die Erde als innen bewohnte Hohlkugel beschreibt und dazu die Existenz der Zentauren auch heute noch propagiert, lächerlicher zu machen, als er es selbst je konnte.
Liakopoulos, der seinen gesammelten Unsinn im eigenen Verlag in Büchern publiziert und in eigenen Fernsehverkaufsshows die Bücher mehr oder minder erfolgreich verbreitet, ist darüber hinaus bekennender Antisemit und Rassentheoretiker. Liakopoulos ist einer der Wenigen, die im Mord an Anna Politkovskaya eine positive Demonstration der Regierungskraft von Vladimir Putin sehen. Fast jede seiner Veröffentlichungen oder Fernsehansprachen würden ihm in anderen Staaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit arge juristische Probleme bereiten. Doch Griechenland ist dafür bekannt, dass man alles sagen kann, was man möchte, es sei denn, man begegnet einem Journalisten.
Da funEL in den USA registriert ist und die dortigen Netzbetreiber Userdaten nur bei einem offensichtlichen kriminellen Missbrauch heraus geben, konnte Liakopoulos seine Kritiker nicht direkt bestrafen. Da aber jemand für die „Majestätsbeleidigung“ des Propheten des neuen Byzantinischen Weltreichs bestraft werden musste, traf es den Betreiber einer griechischen Blogseite, Herrn Tsiropoulos. Tsiropoulos hatte dummerweise einen RSS-Newsfeader, der griechischsprachige Seiten mit seinem Log verlinkt. funEl war dort als griechischsprachige Webseite eingetragen.
Demnach hat er nach Auffassung der griechischen Strafverfolgungsbehörden die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Liakopoulos unterstützt. Grund genug, ihn festzunehmen, über Nacht einzusperren und am nächsten Tag in Handschellen vor ein Schnellgericht zu zerren. Das Gericht selbst beschloss, den Vorfall weiter zu verweisen.
Wer steckt hinter den Veröffentlichungen?
Griechenland rühmt sich dafür, die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit zu verteidigen. Dies betonte der Ministerpräsident Griechenlands, Kostas Karamanlis just in seiner Eröffnungsrede zum Internet Governance Forum (IGF, das unter der Schirmherrschaft der UN gerade dann in Athen stattfand, als Tsiropoulos die Meinungsfreiheit auf andere Art und Weise genießen durfte. Karamanlis betonte:
Ladies and gentlemen, openness, simplicity, freedom in accessing and receiving information, along with its distributed nature, are among the main principles the Internet's success has been based on.
Das griechische Internetportal www.in.gr hatte pünktlich zur Verhaftung des Bloggers einen Artikel platziert, der die Verhaftungen von Bloggern in China anprangerte. Offensichtlich wurde diese Bigotterie einigen Bloggern zu viel. Sie sorgten nicht nur für Proteste während des IGF gegen die Verhaftung, sondern auch für die Verbreitung der Nachricht über die Verhaftung innerhalb der Blogszene. Fragt sich, ob die Verlinkung des vorliegenden Artikels in Griechenland einen weiteren Blogger ins Gefängnis bringt.
Es ist anzumerken, dass die Verhaftung und die Vorführung vor ein Schnellgericht dem griechischen Recht entsprechen. Die griechische Exekutive ist nominell unabhängig von Weisungen der griechischen Regierung. Es steckt also kein Skandal dahinter, für den ein Regierungsmitglied seinen Kopf hinhalten müsste. Es ist halt nur peinlich.
Nachzutragen bleibt, dass während der Tagung des IGF die Schließung des einzigen unabhängigen, staatlich finanzierten kulturpolitischen Webportals ohne großes Medieninteresse durch die griechische Regierung beschlossen und verkündet wurde. Im Ausland nimmt bestimmt niemand Notiz davon. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.