Neues und Unbekanntes

Parteien zur Europawahl

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Das Europaparlament hat - anders als der Rat und die Kommission - wenig wirkliche Macht. Das wissen auch die großen deutschen Parteien, weshalb sie ihren Wahlkampf eher auf Sparflamme führen und die Ressourcen für die Bundestagswahl im Herbst schonen. Größere Aufmerksamkeit erregte bisher eigentlich nur eine Aktion der Regionalpartei CSU, die aufgrund der Pfingstferien in Bayern und der erwarteten geringen Wahlbeteiligung ganz aus dem Parlament verschwinden könnte.

Deshalb bezahlte die bayerische Staatsregierung den Fernsehkomiker Oliver Pocher als "Straßencobra" aus Steuergeldern für ein öffentliches Ranpöbeln zur Europawahlwerbung. Das allerdings ließ - um es in Pochers Duktus zu formulieren - auch "Hardcore-CSU-Wähler" diesmal öffentlich von einer Wahlbeteiligung abschwören, weshalb abzuwarten bleibt, wie sich die Aktion wirklich auswirken wird. Ebenfalls eher nach hinten los gingen möglicherweise auch die Plakate des CSU-Kandidaten Bernd Posselt, der ein bisschen aussieht wie Oliver Hardy. Sie wurden massenhaft mit dem Zusatzslogan "Für eine schlanke EU" beklebt.

Mehr Mühe als die Großen geben sich einige der kleinen Parteien, von denen diesmal 32 antreten. Einer Studie der Domainhandelsbörse Sedo zufolge betreiben sie speziell im Netz teilweise einen intensiveren Europawahlkampf als die Großen.

Am weitesten ist dabei - wenig überraschend - die Piratenpartei. Sie nutzt nicht nur diverse Domains und YouTube, was auch alle fünf großen Parteien machen, sondern zusätzlich Blogs, Twitter, RSS-Feeds und Wikis. Sympathien hat die Partei, die zehn Listenplätze mit zehn Männern besetzt hat, derzeit sogar bei ehemaligen Wählern der Union. Nicht nur wegen ihrer größeren Technologiefreundlichkeit, sondern teilweise auch aus anderen Gründen. Zitat: "Andreas, Jens, Arne, Thorsten, Knut, Angelo, Richard, Ralph, Fridtjof, Jürgen - eine Frauenquote, die mir gefällt."

Screenshot aus dem Wahlspot der Frauenpartei

Allerdings ist die Piratenpartei bei weitem nicht die einzige, die 2009 erstmals bei einer Europawahl antritt: Neben etablierten und hinlänglich bekannten Wahlversagern wie der Frauenpartei, der Partei Bibeltreuer Christen, der Christlichen Mitte, den Violetten, der Tierschutzpartei oder der DKP finden sich auf den deutschen Stimmzetteln auch relativ unbekannte Gruppierungen mit so rätselhaften Namen wie EDE, FBI, Newropeans, RRP, AUF oder Aufbruch.

Screenshot aus dem Wahlspot der CM (Christlichen Mitte)

Die letzte davon, die mit vollständigem Namen "Aufbruch für Bürgerrechte, Freiheit und Gesundheit" heißt, dürfte vor allem den Violetten Konkurrenz machen. Sie will mehr Geld für Naturheilverfahren, eine "stärkere Beachtung der Selbstheilungskräfte im Menschen", die Einrichtung "holistischer Therapiezentren" und eine Beendigung des Ausbaus von Mobilfunknetzen.

EDE steht für "Europa Demokratie Esperanto". Das Programm der Gruppierung entspricht in ungefähr dem der großen Parteien, allerdings mit Esperanto. Ähnlich eigen sind die Newropeans. Sie sehen sich ihrer Website zufolge als "die politische Antwort auf das fehlende politische Leadership in der Europäischen Union" [sic]. Bei der Partei, die ganz offenbar Konsequenzen aus den Ergebnissen der Pisa-Studien gezogen hat, steht zwar in den FAQs noch nichts von Denglisch als Amtssprache, trotzdem gilt hier möglicherweise: action speaks louder than words.

Offenbar auf ähnliche Wählergruppen zielt die Freie Bürger Initiative (FBI ). Sie fordert - wie zahlreiche andere Kleinparteien - im Grunde mehr Volksabstimmungen, aber in schlechterem Deutsch als die Konkurrenz ("bürgernahe Beteiligung aller Bürger"). Auf ihrer Kandidatenliste findet sich unter anderem ein Sportlehrer.

Zwei Zusammenschlüsse präsentieren Volksentscheide gleich als Hauptanliegen: Die vom Schüler und Case-Modder Norbert Hense angeführte Liste Für Volksentscheide und die vom 1938 geborenen Bau- und Wirtschaftsingenieur Helmut Fleck gegründete Bewegung Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland. Grund für die Präsenz des Themas ist möglicherweise auch der ohne eine entsprechende Legitimation verabschiedete Vertrag von Lissabon, der erheblich in die verfassungsmäßige Ordnung eingreift, was auch ein Grund für die Aufmerksamkeit war, die der Libertas-Bewegung des Iren Declan Ganley seit der Volksabstimmung in seiner Heimat zuteil wurde.

Während er Libertas in deren Vorfeld noch relativ glaubwürdig als lagerübergreifend präsentieren konnte, scheiterte Ganley mit diesem Anliegen bei der Gründung von Dependancen in den einzelnen europäischen Ländern. Dort nahmen die Libertas-Ableger teilweise eine relativ eindeutige traditionspolitische Färbung an. In Deutschland war die Parteineugründung mit dem RTL-Gerichtsshow-Anwalt Carlos Alexander Gebauer als Europawahl-Spitzenkandidaten stark von Marktreligionisten geprägt und wurde teilweise als deren "Trojanisches Pferd" gesehen, was möglicherweise auch Einfluss darauf hatte, dass die 4.000 für eine Kandidatur notwendigen Unterschriften nicht zustande kamen.

Screenshot aus dem Wahlspot der PBC (Partei Bibeltreuer Christen)

Danach gab Libertas bekannt, in Deutschland mit der Partei für Arbeit, Umwelt und Familie, Christen für Deutschland (AUF) zu paktieren. Die hat im Grunde trotz verbaler Abgrenzung ein recht ähnliches Programm wie das der großen Parteien (Eigenverantwortung, Flexibilität, Horst Köhler), aber mit Eva Herrmann, einer anderen Fernsehprominenten.

Gleich mehrere Rentnerparteien (RRP, 50 Plus, die Grauen und die RENTNER) scheinen sich um das Erbe der 2008 in Folge eines Spendenskandals aufgelösten Grauen Panther zu prügeln, wobei möglicherweise eine Rolle spielt, dass man in dieser Bevölkerungsgruppe besonders viel Zeit hat, worauf auch die Präsenz in anderen Kleinparteien hinweist.

Screenshot aus dem Wahlspot der RRP

Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Seniorenparteien durchaus in ihrer Programmatik: Während die Rentnerinnen- und Rentner-Partei (RRP) "die gesetzlichen Altersbezüge für abhängig Beschäftigte der gesetzlichen Rentenversicherung [...] systemgleich denen der Beamten" anpassen und dafür "falls nötig" Steuermittel einsetzen will, möchte die Rentner-Partei-Deutschland (RENTNER) den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen. Zudem soll die Praxisgebühr ebenso wie andere Zuzahlungen abgeschafft und eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt werden, in die jeder ohne Ausnahme einzahlt. Die Kosten im Gesundheitswesen will man laut Parteiprogramm senken, indem man den Lobbyismus eindämmt.

50 Plus will die "erworbenen und verdienten Renten und Pensionen" dagegen unter anderem dadurch sichern, dass dem "lebenslangen Bezug von Sozialhilfe" ein Ende gesetzt wird. Direkteste Nachfolgepartei der Grauen Panther sind die Grauen (Generationspartei). Sie wollen 1.250 Euro Mindestrente nach 45 Berufsjahren, aber trotzdem weniger Staatsverschuldung. Ihr Chef Norbert Raeder könnte aufgrund der Verwechslungsgefahr mit Florian Silbereisen ein Zugpferd bei der Zielgruppe werden, steht aber nicht auf der Europaliste.

Telepolis hat zu diesem Thema eine Umfrage gestartet: Welche ist die unwählbarste Partei?