Neugruppierung der politischen Linken in Venezuela

Seite 3: Mit Protest und Solidarität gegen Repression

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Die Nachricht von der Samán-Kandidatur, die unter #UnSamanParaCaracas bei Twitter bereits am 9. November zu den nationalen Top-Themen aufstieg, bedeutet eine neue Hoffnung für große Teile der Bewegung für nationale und soziale Befreiung.

Samán kündigte an, mit Hilfe der chavistischen Basis die Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt gewinnen zu wollen. Er stellte in Tweets und Videobotschaften Versuche der Regierung an den Pranger, das Bündnis zu einem Rückzug der eigenständigen Kandidatenaufstellung zu bewegen, wie im Falle Riveros geschehen: Wegen des wachsenden Drucks sei es nun nicht mehr klar, ob die MEP an seiner Aufstellung als Kandidat festhalte. Ein Sieg Samáns gegen die Regierungskandidatin Erika Farías ist mindestens möglich, wie erste Umfragen auf Twitter nahelegen.

Kurz nach Bekanntwerden seiner Kandidatur, sehen erste Stimmungsbilder Eduardo Samán im Rennen für die Bürgermeisterwahl von Caracas im Dezember weit vor den anderen Kandidaten.

Nach seinen Angriffen auf korrupte Strukturen neokolonialer Ausbeutung u.a. im Pharma- und Transportsektor, die vor allem US-Konzernen und einheimischen Oligarchen die Taschen füllen und zur grassierenden Medikamentenknappheit beitragen, war Samán 2013 zum Ziel eines Mordanschlages geworden. Sein Bruder Ragid wurde bereits im Juni des Vorjahres ermordet. WikiLeaks-Depeschen, in denen sein Name nach Angaben des Nachrichtenportals LaTabla allein von 2004 bis 2011 mindestens 22 Mal auftaucht, zeigen ein großes Interesse der US-Botschaft an den kritischen Aktivitäten Samáns.

Gegen einen Gesetzesentwurf von Samán, der die Einschränkung der Steuer- und Kapitalflucht von Großkonzernen über Patente und Lizenzen unter dem Schlagwort des "geistigen Eigentums" anging, mobilisierte der Verband internationaler Pharmakonzerne in Venezuela (CAVEME) im Jahr 2010 demnach erfolgreich Widerstand: "Alle sind sich einig, dass dieses Gesetzesvorhaben eine Sauerei ist", heißt es in einer geleakten US-Depesche von Seiten CAVEMEs, die weiter schildert, wie daraufhin Samáns Entwurf von Chávez' Regierung stillschweigend durch einen konzernfreundlichen ersetzt wird.

Wie ein US-Diplomat bemerkt, stammte das derart korrigierte Gesetz - weiterhin "in chavistischer Sprache verfasst" - aus der Feder einer Kanzlei der Familie von Rafael Ramírez, Chávez' langjährigem Vertrauten und Ölminister. Kurz darauf war Samán auch aus seinem Regierungsamt entlassen worden; eine Kandidatur bei den Parlamentswahlen musste er 2010 unter Druck aus dem Präsidentenpalast kurz darauf räumen.

Bereits 2002 war Samán als Mitglied der Regierungsdelegation bei der Aushandlung der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA bekannt geworden, deren Zustandekommen später auch an Venezuelas Widerstand scheiterte. Samán kämpfte für eine konsequent kritische Haltung seines Landes gegen das Monopol von nordamerikanischen Konzernen "über 90 Prozent aller Patente des Kontinents". Bei Abkommen wie dem TTIP-Vorbild ALCA gehe es mit dem Konzept des "intellektuellen Eigentums" um die gesetzliche Absicherung einer "für den Kapitalismus zunehmend zentralen Form des Privateigentums", langfristig "um die Etablierung einer Art globaler Verfassung".7 Kämpfe im Inneren der Regierungsparteien hatten damals zu einer Ab- und baldigen Wiedereinsetzung Samáns in seiner Funktion als Leiter der Behörde SAPI geführt, die für geistige Eigentumsrechte in Venezuela zuständig ist.

Neugruppierung mit Perspektiven

Samán kann sicher auch mit Unterstützung aus der Verfassunggebenden Versammlung rechnen, zumal sich die im Mai in der Antifaschistischen und Antiimperialistischen Volksfront (FPAA) zusammengeschlossenen Parteien und Organisationen, zu denen auch PCV und PPT gehören, anders als die rechte Opposition aktiv an den Wahlen zu diesem Parallelparlament beteiligt haben. Sie verfügen nun über Abgeordnete und laute Stimmen im neuen Super-Gremium.

Werbung zum landesweiten Treffen der FPAA vom Mai 2017. Noch ist unklar, ob die FPPA geschlossen hinter Samán steht; PCV und PPT haben ihn aufgestellt.

Sprecher der Plattform "Chavismo Bravío", die zahlreiche links-chavistische Basisorganisationen und VV-Abgeordnete zusammenschließt, geben allerdings zu bedenken, dass Samán für den Bürgermeisterwahlkampf über keine Organisation verfügt, die ihn über die letzten Jahre begleitet hätte. Bislang eher ein Einzelkämpfer, könne er in den vier Wochen bis zur Wahl keine mit dem PSUV vergleichbaren Strukturen aufbauen.

Kräfte wie die im PSUV organisierte "Corriente Marxista Lucha de Clases" rufen öffentlich zur Unterstützung Samáns auf; auch Roland Denis und Teile der "Corriente Revolucionaria Bolívar y Zamora" signalisieren Unterstützung. Und auch außerhalb von Caracas bewegt sich das linke Koordinatensystem, wie z.B. im Bundesstaat Lara: Anhänger des linken eigenständigen Kandidaten Ángel Prado demonstrierten dort zuletzt am 10. November gegen die Verweigerung von dessen Zulassung durch die Wahlbehörde - ein ganz ähnlicher Fall wie der Samáns, scheint es.

Da sich die Versorgungskrise weiter Teile der Bevölkerung jeden Monat weiter verschärft und 2018 die wichtigen Präsidentschaftswahlen anstehen, ist diese Neugruppierung der politischen Linken in Venezuela von besonderer Bedeutung. Die Reorganisierung der venezolanischen Protestbewegung unter den neuen Bedingungen kann mit einer Einigungsfigur, die sogar der regierungsnahe Kommentator Walter Martínez in seiner TV-Sendung DOSSIER jüngst als den "Heiligen Gral" im Kampf gegen Korruption und Medikamentenmafia bezeichnete, möglicherweise gelingen.