Neuronale Stammzellen aus Toten

Was die ethischen Probleme mit embryonalen Zellen umgehen könnte, dürfte nur neue mit sich bringen

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Amerikanische Wissenschaftler haben eine neue Quelle für die Gewinnung von Stammzellen erschlossen, auf die man wohl kaum kommen würde. Werden Stammzellen normalerweise eher aus embryonalem Gewebe genommen, so ist es den Forschern gelungen, neuronale Stammzellen aus dem Gewebe von Toten zu gewinnen, die sich womöglich wieder in Gehirne lebender Menschen verpflanzen ließen.

Bei Nagetieren ist, so berichten die Wissenschaftler von der Stanford University, dem Salk Institute und der Brain and Tissue Bank for Develeopment Disorders des Children's Hospital of Orange County in der neuesten Ausgabe von Nature (411, 3. Mai, 42-43), die Gewinnung von Stammzellen aus dem Gehirn von erwachsenen Tieren bereits eine Routinesache. Zeigen konnte man auch, dass die aus Embryonen oder erwachsenen Tieren entnommenen neuronalen Stammzellen dazu dienen, Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu behandeln.

Die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen oder aus erwachsenen Menschen stößt jedoch auf moralische Widerstände, weswegen die Wissenschaftler auf die Idee kamen, sie aus den Leichen von kürzlich Verstorbenen zu holen, um weitere Experimente durchführen zu können.

Benutzt wurde neuronales Zellgewebe eines im Alter von 11 Woche gestorbenen Kindes und eines 27jährigen Mannes. Das Gewebe wurde zwei Stunden nach dem Tod entfernt, in einer Lösung, die Antibiotike enthielt, aufbewahrt und schließlich drei Stunden später weiter gezüchtet. Zellgewebe wurde u.a. aus dem Hippocampus, dem motorischen Kortex und dem Corpus callosum entnommen, der temporale Kortex hingegen als ganzes.

In einem Medium, das angereichert war mit genetisch veränderten Stammzellen von Ratten, die eine Überproduktion an dem Stammzellen-kofaktor Cystatin C aufwiesen, konnten aus allen Gewebearten Stammzellen gewonnen werden. Als besonders gut erwiesen sich Zellen vom Hippocampus. Die Zellen des Kindes teilten sich bis zu 70 Mal, bevor sie Zeichen von Alterungsprozessen erkennen ließen, die des jungen Mannes bereits nach dem 30. Mal.

Insgesamt haben die Wissenschaftler bereits Versuche mit 23 Gewebeproben von Menschen unterschiedlichen Alters gemacht, aus denen sich in aller Regel Stammzellen gewinnen ließen. Die Ausbeute bei den jungen Toten war nicht nur sehr viel höher, sondern sie teilten sich auch öfter, lebten also länger. Welche Rolle dabei die Telomerase oder die DNA-Mythylisierug spielt ist noch unbekannt, aber das Ergebnis weist natürlich darauf hin, dass sich zwar Stammzellen aus dem Gewebe von erwachsenen und toten Menschen - die längste Spanne nach dem Tod für die Entnahme betrug 20 Stunden - für eine in Zukunft vielleicht mögliche Transplantation gewinnen lassen, aber dass embryonale Zellen die besten Kandidaten wären. Die Wissenschaftler sprechen daher davon, dass die "relativen Vorteile von Zellen aus Toten oder aus Erwachsenen und von embryonalen Stammzellen" sorgfältig beurteilt werden müssen.

Ob freilich die Entnahme von Zellen aus den Körpern von toten Menschen die ethischen Bedenken beiseite lassen würde, scheint doch fraglich. Vielleicht könnten Menschen ja ebenso wie sie sich als Organspender nach ihrem Tod zur Verfügung stellen, dies auch als Zellspender tun. Doch Tote auszuweiden und sie als Quelle von Stammzellen zu benutzen, dürfte nur auf andere Widerstände stoßen als die Verwendung von Zellen von Embryonen. Auf der anderen Seite dürften auch die Widerstände wesentlich größer sein, sich Zellen von Toten als Zellen einpflanzen zu lassen, die aus embryonalem Gewebe gewonnen wurden, zumal auch die makabre Situation auftreten würde, dass die Zellen desto begehrter würden, je jünger die Toten wären. Aber es könnten auch Ängste mit hereinspielen, dass Zellen von älteren Menschen auf irgendeine Weise bereits "formatiert" sein könnten.

Das ist, auf ganz andere Weise, bei einem anderen Versuch deutlich geworden. Kiminobu Sugaya von der University of Illinois hat, wie er und seine Kollegen in NeuroReport schreiben, menschliche neuronale Stammzellen, die im Laboratorium gezüchtet wurden, in die Gehirne von älteren Ratten implantiert. Dort integrierten sie sich nicht nur, sondern sorgten auch dafür, dass die älteren Ratten bei einem Gedächtnisexperiment ebenso gut wie junge Ratten abschnitten. Trainiert wurden junge, ältere und ältere mit den implantierten Stammzellen, zu in einem Labyrinth unter Wasser zu einer versteckten Plattform zu schwimmen. Nach vier Monaten wurden die Ratten noch einmal getestet, wobei die mit menschlichen Stammzellen versehenen Ratten besser als ihre gleichartigen Rattenkollegen abschnitten, teilweise sogar auch besser als jungen.

In den Gehirnen der Ratten sind die menschlichen Stammzellen nicht nur gut integriert worden, sondern haben auch dazu geführt, dass Rattenneuronen besonders in den Arealen stark gewachsen sind, die für räumliche Orientierung zuständig sind. Bislang ist die Verpflanzung von neuronalen Stammzellen noch nicht gelungen. Sugaya führt das darauf zurück, dass man dies mit fötalen neuronalen Zellen versucht hatte, die schon ausdifferenziert gewesen seien, während er im Labor gezüchtete, verschiedenartige Stammzellen verwendet habe.