Never Ending Story Al Qaida
Nach Hamburg, wo das Verfahren sich dahin zieht, beginnt nun auch in Madrid ein Aufsehen erregender Terror-Prozess gegen drei Angeklagte, die für die Mithilfe an den Anschlägen vom 11.9. jeweils 62.512 Jahre Haft erhalten sollen
Während im Hamburger Al-Qaida-Prozess alle auf die Erleuchtung aus den USA warten, sieht die spanische Justiz einem der spektakulärsten Prozesse ihrer Geschichte entgegen: Generalbundesstaatsanwalt Pedro Rubira forderte für drei Angeklagte jeweils 62.512 Jahre Haft - 25 Jahre für jeden Toten vom 11. September 2001. Die drei Männer werden wie der Angeklagte im Hamburger Prozess, Mounir El-Motassadeq, beschuldigt, an den Vorbereitungen der Attentate beteiligt gewesen zu sein.
Vor etwa drei Wochen sprach Innenminister Otto Schily bei Porter Goss vor, dem neuen Direktor des US-Geheimdienstes CIA, und forderte ihn auf, dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG) Berichte über die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem 11.9.2001 zur Verfügung zu stellen. Vor dem OLG wird seit dem 10. August 2004 zum zweiten Mal gegen Motassadeq erneut wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 verhandelt (Motassadeq zum Zweiten). Am 19. Februar 2003 wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil am 4. März 2004 jedoch wieder auf und verwies das Verfahren erneut an das Hanseatische OLG (Grenzen der Wahrheitsfindung).
Der BGH folgte der Ansicht der Verteidiger Motassadeqs, das ihm das Recht auf ein faires Verfahren verwehrt worden sei, da wichtige Zeugen nicht hätten vernommen werden können. Dabei handelt es sich um die vermeintlichen Drahtzieher des 11.9.2001, Ramzi Binalshibh und Khaled Scheich Mohammed, die sich laut Angaben amerikanischer Geheimdienste in deren Gewahrsam befinden und von ihnen vernommen wurden. Zu Beginn des zweiten Prozesses wurde demzufolge alles unternommen, die Genehmigung zu erhalten, die beiden Gefangenen entweder verhören zu dürfen oder zumindest die Verhörprotokolle zur Verfügung gestellt zu bekommen. Doch die US-Behörden stellten sich bisher stur, so dass Schily sich genötigt sah, persönlich zu intervenieren. Goss signalisierte in dem Gespräch mit Schily, "neues Material" zur Verfügung zu stellen, das bis jetzt in Hamburg aber noch nicht angekommen ist.
Dabei soll es sich um eine Zusammenfassung der Aussagen Binalshibhs und Mohammeds handeln. Doch die würde dem Gericht nichts nützen, darüber sind sich ausnahmsweise alle Prozessbeteiligten einig. Die US-Behörden und das Bundeskriminalamt (BKA) gehen davon aus, dass die beiden vermutlichen Top-Terroristen darauf trainiert sind, keine lebenden Personen zu belasten - und die Aussagen deswegen wertlos seien. Die Verteidigung geht davon aus, dass die Verhöre unter Methoden zustande gekommen sind, die vor bundesdeutschen Gerichten keinen Bestand haben würden. Dieser zwischen den Zeilen ausgesprochene Foltervorwurf blieb bisher sowohl vom Gericht als auch von der Bundesanwaltschaft unwidersprochen. Bei näherer Betrachtung ist die großzügige Zusage von Goss eine klare Absage an die Forderung des Hamburger Gerichts, Binalshibh und Mohammed selbst verhören zu können. So droht der Prozess zu einer Never-Ending-Story werden: Irgendwann einmal muss die Kammer ein Urteil fällen, dagegen wird eine Seite in Revision gehen und der BGH wird erneut an das OLG Hamburg verweisen.
25 Jahre Haft für jedes Opfer beantragt
Unterdessen sieht die spanische Justiz einem wahrlich spektakulären Prozess entgegen, der vermutlich noch im März beginnen wird: Die beiden Syrer Imad Eddin Barakat Yarkas und Ghasoub Al Abrash Ghalyoun sowie der Marokkaner Driss Chebli werden wie Motassadeq der Beihilfe zum Mord im Zusammenhang mit dem 11.9.2001 beschuldigt. Sie sollen al-Qaida von Spanien aus finanziert sowie Atta und Co. bei einem konspirativen Treffen zur Absprache bezüglich des 11. September Unterschlupf gewährt haben.
Generalbundesstaatsanwalt Rubira fordert für jeden von ihnen 62.512 Jahre Haft. Bei seinen Berechnungen legt Rubira 2.500 Tote zugrunde und verlangte 25 Jahre Knast für jedes Opfer. Presseberichten zufolge ist das die längste Haftstrafe, die jemals in der spanischen Justizgeschichte von der Staatsanwaltschaft gefordert wurde. Laut spanischem Gesetz sei das Strafmaß jedoch auf ein Maximum von 30 Jahren begrenzt.
Für weitere 21 Angeklagte strebt Rubira Haftstrafen zwischen 9 und 27 Jahren an. Unter den Angeklagten befindet sich u.a. der Al-Dschasira-Reporter Taisir Aluni, der nach dem 11.9.2001 ein Interview mit Osama bin Laden machte, das weltweit für Aufsehen sorgte (Reporter unter Verdacht). Es bleibt abzuwarten, ob die spanischen Behörden stichhaltigere Beweise für ihre Anschuldigungen haben als die deutsche Justiz.
Derweil kämpft die Hamburger Anwältin Gül Pinar gegen die Auslieferung ihres Mandanten Marmoun Darkazanli an Spanien. Der in Hamburg lebende Kaufmann wird von dem spanischen Richter Baltasar Garzón beschuldigt, für die logistische und finanzielle Unterstützung von al-Qaida in Spanien, der BRD und Großbritannien verantwortlich gewesen zu sein. Die spanische Justiz hatte bereits vor längerer Zeit einen Haftbefehl gegen Darkazanli erlassen, der am 8. Oktober 2004 vollstreckt wurde ("Schlüsselfigur" von al-Qaida in Europa). Aufgrund eines in Madrid ausgestellten Haftbefehls sollte Darkazanli an Spanien ausgeliefert werden. Dort würde ihn vermutlich ein ähnliches Strafmaß erwarten, wie die beiden Syrer und den Marokkaner in dem jetzt anstehenden Prozess. Pinar war es gelungen, die Auslieferung ihres Mandanten vorläufig zu stoppen, allerdings befindet er sich seit dem 8. Oktober 2004 in Hamburg in Untersuchungshaft (Präzedenzfall vereitelt).
Darkazanli ist der erste Gefangene, bei dem die deutschen Behörden den neuen EU-Haftbefehl zur Anwendung bringen wollen. Um einen Präzedenzfall zu verhindern, legte Pinar Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein: Sie will prüfen lassen, ob die EU-Bestimmung überhaupt verfassungskonform ist. Das Hohe Gericht wird sich am 13. und 14. April 2005 mit dieser Frage befassen.