Niederlande im "Abend-Lockdown"
Seite 2: Erste Gefängnisstrafen nach Krawallen
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Diese von der Hausärztevereinigung berichteten Beispiele mögen nicht repräsentativ für das ganze Land sein - doch die Ausschreitungen in Rotterdam am 19. November haben deutlich gemacht, wie stark die Gewalt als Reaktion auf Corona-Maßnahmen eskalieren kann. Die anfangs zahlenmäßig stark unterlegene Polizei schoss dabei einigen Randalierern sogar in die Beine.
Das Rotterdamer Gericht verurteilte in einem Schnellverfahren am Mittwoch die ersten beiden Beteiligten zu Gefängnisstrafen. Eine 26-jährige Frau und ein 29-jähriger Mann bekamen jeweils fünf Monate Haft, davon zwei auf Bewährung. Beide waren zuvor schon wegen Gewaltdelikten verurteilt worden.
Laut dem Lokalsender Rijnmond haben beide Angeklagten die Taten vor Gericht bereut und zur Verteidigung vorgebracht, selbst von der Eskalation überrascht worden zu sein. Dem hielt die Staatsanwaltschaft Videoaufnahmen entgegen, die die aktive Beteiligung der Angeklagten zeigten.
Die Frau, die zurzeit eine Ausbildung zur Lkw-Fahrerin macht, gab auch an, gegen die Coronamaßnahmen zu sein. Ihr konnte unter anderem nachgewiesen werden, Steine auf einen Polizeibus geworfen zu haben, in dem Beamte saßen.
Die Polizei forderte dann auch Schadenersatz in Höhe von fast 10.000 Euro für die Zerstörung eines Wagens. Dies reduzierte das Gericht jedoch auf 1.000 Euro und erklärte, man könne der Frau alleine nicht den gesamten Schaden zurechnen.
Dem Mann, einem Schweißer, wurde ebenfalls nachgewiesen, mit Steinen auf Polizeiwagen geworfen zu haben. Ihm wurde laut der Pressemitteilung zusätzlich zur Gefängnisstrafe zwar kein Schadenersatz, dafür aber ein einjähriges Aufenthaltsverbot für das Stadtzentrum von Rotterdam auferlegt.
Das Gericht konfrontierte die Angeklagten mit den Folgen der Ausschreitungen für die Polizeibeamten. Einige hätten in der Krawallnacht Todesangst gehabt. Bei manchen sei zurzeit noch unklar, ob sie in den Dienst zurückkehren könnten.
Nach diesen ersten beiden Schnellverfahren bereitet das Rotterdamer Gericht nun eine sogenannte Themensitzung vor, in der sich weitere Angeklagte für ihre mutmaßliche Beteiligung an den Krawallen verantworten müssen. Hierbei geht es um weniger komplexe Straftaten von Erwachsenen, für die maximal einjährige Gefängnisstrafen verhängt werden können.
Die zurzeit noch vier in Untersuchungshaft sitzenden Personen werden sich vor einer größeren Strafrechtskammer gegen schwerere Tatvorwürfe verteidigen müssen. Allerdings waren unter den Randalierern auch viele Minderjährige, für die andere rechtliche Regeln gelten. Derweil fahndet die Polizei nach weiteren Verdächtigten und rief diese bereits dazu auf, sich zu stellen, bevor man ihre Fotos veröffentliche.
Viele Minderjährige an Randale beteiligt
Seit der Rotterdamer Krawallnacht gab es auch in anderen niederländischen Städten Randale und Festnahmen, wenn auch in geringerem Ausmaß. Die Polizei zeigt sich insbesondere darüber besorgt, dass viele der Randalierer minderjährig sind, zum Teil erst 13 bis 14 Jahre alt. Sie würden sich durch Aufrufe im Internet oder in Chatgruppen mitreißen lassen.
Am Freitag wurde ein 17-Jähriger aus Zeist bei Utrecht festgenommen, nachdem er auf WhatsApp zu Krawallen aufgerufen haben soll. Ihm wurde von der Utrechter Bürgermeisterin nun ein "Online-Aufenthaltsverbot" auferlegt: Bei Wiederholung des Aufrufs muss er eine Strafe in Höhe von 2.500 Euro bezahlen. Die Polizei berichtete am selben Tag von der Festnahme eines 15-Jährigen und dreier erwachsener Männer aus und um Utrecht aus denselben Gründen.
In Reaktion auf die Krawallnacht war die Rolle der sogenannten sozialen (oder vielleicht doch eher asozialen?) Medien diskutiert worden. Der Rechtssoziologe Willem Bantema vom Cyber Science Center im niederländischen Leeuwarden hat sich nach einem ähnlichen Fall im Jahr 2012 darauf spezialisiert, wie Ausschreitungen dieser Art durch das Internet beeinflusst werden.
Der Forscher sieht bei den Behörden noch ein großes Defizit, das Risikopotenzial bestimmter Online-Vorgänge im Vorfeld richtig einzuschätzen. Ein anonymer Meldepunkt für Bürger, die zufällig Gewaltaufrufe im Internet sehen, könne helfen.
Der Sicherheitsforscher Arnout de Vries vom TNO-Institut für angewandte Forschung verwies in diesem Zusammenhang auf ein Ereignis in England, bei dem ganze Teile des Internets lahmgelegt wurden. Das habe hinterher aber zu so viel Kritik geführt und außerdem die Notrufnummern derart überlastet, dass man dieses Verfahren nicht mehr eingesetzt habe. Autoritäre Regimes würden auf diese Weise aber regierungskritische Proteste unterdrücken.
Wie die Niederländer auf den neuen "Abend-Lockdown" reagieren, muss sich noch zeigen. Bei der Einführung der Sperrstunde im Januar war es tagelang zu schweren Protesten gekommen.
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