Noch eine Olympiade für den alten Weltraumveteranen

Hubble - seit genau 20 Jahre im Orbit. Bild: NASA/ESA

Das Weltraumteleskop Hubble treibt seit heute 20 Jahre im Orbit und soll in vier Jahren abgelöst werden

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Hubble driftet seit dem 24. April 1990 ausschließlich im Dienste der Wissenschaft im Orbit. Das praktisch restlos ausgebuchte NASA-ESA-Weltraumobservatorium hat mit seinem 2,4-Meter-Hauptspiegel, der Infrarotkamera NICMOS, dem STIS-Spektrografen und den anderen drei wissenschaftlichen Instrumenten an Bord bereits mehrfach Astronomiegeschichte geschrieben, wird aber in vier Jahren seinem leistungsstärkeren Nachfolger, dem James Webb Telescope (JWST) weichen müssen.

Vor 85 Jahren verkündete die American Astronomical Society (AAS) das Ergebnis einer revolutionären Studie, die das bis dahin geltende kosmologische Weltbild völlig auf den Kopf stellte. Dem vorangegangen war ein Moment der Erkenntnis schlechthin. Einer, den Denker, Forscher, Philosophen, Pioniere und Abenteurer meist dann er- und durchleben, wenn sie - den Alltag weit hinter sich lassend - an abgelegenen Orten scheinbar gedankenverloren ihre Neugierde befrieden, ihren Wissensdurst stillen und ihrer Abenteuerlust freien Lauf lassen.

Aufnahme des Mount Wilson Observatoriums aus dem Jahre 1917 (kurz nach der Einweihung)

Das All expandiert!

Einer, der dies beherzigte, war der 35-jährige, aus Missouri stammende US-Astronom Edwin Powell Hubble (1889-1953), der in Nähe von Los Angeles, wo die städtische Licht- und Luftverschmutzung bereits in den 1920er Jahren astronomische Observationen erschwerte, eine der bedeutsamsten wissenschaftshistorischen Zäsuren markierte. Mit dem 2,5-Meter-Spiegel auf Mount Wilson (1742 Meter über dem Meeresspiegel) gelang ihm 1923 unter tätiger Mithilfe seines Assistenten, Milton L. Humanson (1891-1972), der sich vom Maultiertreiber auf Mount Wilson zum Pförtner der Sternwarte bis zum Mitarbeiter und später wichtigsten Assistenten Hubbles hochgearbeitet hatte, ein wahres Husarenstück. Hubble, der beinahe Anwalt geworden wäre, ja, eine kurze Zeit lang sogar über eine Profikarriere als Boxer sinniert hatte, wurde seiner eigentlichen Berufung gerecht. Mit der Entdeckung der Andromeda-Galaxie gelang ihm der Nachweis, dass neben unserer Galaxis in der Weite des kosmischen Wüstenmeers noch unzählige andere Galaxien driften. Fortan war klar, dass das Universum viel größer war als angenommen.

Blick ins Innere der Andromeda-Galaxie. Was Edwin Hubble einst mit seinem Teleskop nicht aufzulösen vermochte, fotografierte das nach ihm benannte Teleskop zirka 80 Jahre später problemlos. Auf der vorliegenden Aufnahme ist der Kern der 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromeda-Galaxie zu sehen, hinter dem sich ein extrem massereiches Schwarzes Loch verbirgt. Bild: NASA, ESA, T. Lauer (NOAO/AURA/NSF)

Als Hubble 1929 mit seinem leistungsstarken Fernrohr und mithilfe der Spektralanalyse das einfallende Licht weit entfernter Welteninseln sezierte, beobachtete er auch eine Verschiebung der Spektrallinien zum roten Ende des elektromagnetischen Spektrums, also zu den größeren Wellenlängen hin. Diese Rotverschiebung erlaubte nur eine Interpretation: Die von ihm observierten Galaxien bewegen sich von der Erde fort. Das Weltall expandiert. Gleich einem Luftballon bläht sich der Raum auf und sorgt auf diese Weise für ein Auseinanderdriften der "Milchstraßen", wobei sich fraglicher Raum jedoch nicht in einem bereits bestehenden Raum ausdehnt. Neuesten Forschungen zufolge geht diese Expansion als Folge der Dunklen Energie mit zunehmender Geschwindigkeit vonstatten - womöglich bis in alle Ewigkeit.

Albert Einstein und Hubble (Bildmitte) 1931 auf Mount Wilson

Dieser Prozess manifestiert sich am deutlichsten in der Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien. Mit welcher Geschwindigkeit sich die räumliche Ausdehnung vollzieht, beschreibt das Hubble'sche Expansionsgesetz, bei dem die Hubble-Konstante den Wert der Fluchtgeschwindigkeit definiert. Die Formel ist einfach: Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto größer ist ihre Fluchtgeschwindigkeit. Kein Wunder, dass die Hubble-Konstante daher von zentraler Bedeutung ist, erlaubt sie doch Rückschlüsse auf das Alter der Welt. Neuesten Messungen zufolge beträgt ihr aktueller Wert 72 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec (1 Megaparsec = 3,3 Millionen Lichtjahre). Kehren wir - ausgehend von diesem Wert - im Gedankenexperiment die Expansionsbewegung zurück, gelangen wir unweigerlich an einen Punkt, an dem Materie, Raum und Zeit einst in der Urknall-Singularität vereinigt gewesen waren.

Ein galaktisch guter Hubble-Schnappschuss der 100 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 7049, der 2009 veröffentlicht wurde. Bild: NASA, ESA and W. Harris (McMaster University, Ontario, Canada)

Tiefer Blick in die Vergangenheit

13,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall fahndet das bislang erfolgreichste und älteste noch aktiv werkelnde Weltraumteleskop der Menschheit nach den Spuren des Urknalls und nähert sich der Grenze der kosmischen Photosphäre unermüdlich, um Licht in das Dunkle des "dunklen Zeitalters" zu bringen. Seit dem 24. April 1990 umrundet das zu Lebzeiten schon legendäre Weltraumobservatorium Hubble (HST) der NASA und ESA die Erde. Jenseits der störenden Erdatmosphäre flitzt das Weltraumfernrohr in einer Höhe von 575 Kilometern mit 28.000 Kilometern pro Stunde einmal in 97 Minuten um den Globus. Täglich funkt der 11 Tonnen schwere und 13,2 Meter lange Forschungssatellit massenhaft astronomische Daten zur Erde: jeden Tag im Schnitt zwischen 10 bis 15 Gigabyte. Das Fernrohr hat zwei Spiegel, die im optischen und Infrarotlicht operieren, wobei der Hauptspiegel einen Durchmesser von 2,4 Metern aufweist, demnach fast genau so groß ist wie das Teleskop, mit dem Edwin Hubble einstmals das wahre Wesen der Galaxien charakterisierte.

Hubble in Aktion. Bild: NASA/ STScI

Kein Teleskop wurde bislang so oft Augenzeuge ungewöhnlicher kosmischer Ereignisse. Die atemberaubenden, gestochen scharfen Bilder, die seitdem zustande gekommen sind, haben nicht nur die wissenschaftliche Forschung revolutioniert, sondern auch unser Weltbild vom Kosmos nachhaltig geprägt. Inzwischen ist Hubble das wertvollste und erfolgreichste kosmische Observatorium der Postmoderne und ein fester, nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Astronomie.

Der Galaxiencluster Abell 2218 - Deep-Field-Aufnahme vom Weltraumteleskop Hubble. Bild: NASA, ESA and Johan Richard (Caltech, USA)

Anfangs sah es aber nicht danach aus, als könnte Hubble seinem Auftrag gerecht werden, war doch der Hauptspiegel fehlerhaft geschliffen worden. Zum Entsetzen aller beteiligten (und sicherlich auch unbeteiligten) Astronomen, Ingenieure und Wissenschaftler übertrug Hubble ausnahmslos verschwommene Bilder, die kaum konkurrenzfähig waren. Wo die Forscher beider Agenturen eigentlich ein glasklares, scharfes Bild erwarteten, erschien ein schwammiges und unscharfes Zerrbild. Wie sich schnell herausstellte, war der Hauptspiegel fehlerhaft geschliffen worden: Er wies zum Rand hin eine Abweichung von 2,5 µm auf, weshalb es zu sphärischen Aberrationen, also zu optischen Abbildungsfehlern und scheinbaren Ortsveränderungen der Sterne kam. Erst nach einem mühsamen mehrstündigen Außeneinsatz schärfte ein Astronautenteam 1993 das Auge von Hubble.

Der US-Astronaut F. Story Musgrave während der ersten Hubble-"Wartungsmission", die 1993 mit großem Erfolg durchgeführt wurde. Bild: NASA/ STScI

Wie effektiv Hubble heute operiert, beweist die Erfolgsstory der Hubble Deep Field, die das damalige Hubble-Team im Jahr 1993 einleitete, als es eine bis dahin zwar schon angedachte, aber in der Praxis noch nicht realisierte Idee in die Tat umsetzte: Warum soll man nicht das Weltraumteleskop für mehrere Stunden auf einen eng begrenzten Punkt im All fixieren und abwarten, was die empfindlichen Hubble-Kameras dabei zutage fördern? Gedacht - getan. Die Astronomen nutzten die kostbare Beobachtungszeit, um einen scheinbar dunklen Fleck am Nordhimmel für viele Stunden zu observieren. Das Resultat sprach für sich und sorgte 1995 und 1998 in der Forschung und Öffentlichkeit für Aufsehen. Erstmals gelang es, in leer erscheinenden Regionen des Weltalls eine Vielzahl von Galaxien zum Vorschein zu bringen, die zu einer Zeit entstanden waren, als das Universum gerade mal rund ein Zehntel seines jetzigen Alters hatte. Seitdem sind Deep-Field-Aufnahmen en vogue.