Norwegens Erdöl: Der Anfang vom Ende einer Ära

Seite 3: Ölplattform Goliat: Riese mit Kinderkrankheiten

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2017 war die Ölproduktion in Norwegen leicht hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das lag vor allem an Produktionsausfällen bei Goliat, dem ersten norwegischen Feld in der Barentssee, das 85 Kilometer nordwestlich von Hammerfest gelegen in Betrieb ist.

Goliat wurde im September 2017 für Wartungsarbeiten stillgelegt. Im Oktober folgte eine ungeplante Betriebspause, als die norwegischen Behörden den Betreiber ENI zur Abstellung ernsthafter Mängel in den Stromkreisen der Plattform aufforderten. Grund war eine Massierung von Fehlalarmen und Stromausfällen sowie verbaute Komponenten, die für den Explosionsschutz ungeeignet waren - Pannen, die gar den weiteren Betrieb der Plattform vor Ort in Frage stellten. Nach einigen Wochen wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Es war bereits die achte Unterbrechung seit Aufnahme der Förderung 2016.

Goliat FPSO, Norwegens bisher am weitesten nördlich operierende ozeanische Ölplattform. (FPSO - Floating Production Storage and Offloading Unit, oder schwimmende Produktions- und Lagereinheit). Bild: T3n60, CC BY-SA 4.0.

Kampf um Lofoten illustriert zwiespältiges Verhältnis der Norweger zum Öl

Behauptungen von Umweltschutzorganisationen, dass Offshore-Bohrungen in der Arktis die norwegische Verfassung verletzten, sind für Norwegen heikel. Tausende Arbeitsplätze würden auf dem Spiel stehen, wenn die dafür zuständigen Gerichte die Rechtmäßigkeit der Forderungen der Umweltschützer auch nur teilweise anerkennen würden - umso mehr, weil viele der aussichtsreichsten neuen Ölprojekte jenseits des Polarkreises liegen.

Bedeutende Ölvorkommen werden auch vor den Lofoten erwartet. Die norwegische Regierung geht von 1.3 Milliarden Barrel aus, die hier zu holen sind. Nordland VI und VII sowie Troms II sind die Namen der Blöcke, die das Ministerium für Erdöl und Energie vor der Inselgruppe der Lofoten, Vesterålen und Senja abgezirkelt hat. Nordland VI war bereits 1994 für Erkundungsbohrungen freigegeben, wurde jedoch 2001 aus politischen Gründen wieder geschlossen.

Ob hier tatsächlich gefördert werden soll oder nicht, ist seit Jahren umstritten. Denn die Gewässer vor Lofoten sind die Kinderstube vieler Fischarten: nach WWF-Angaben laichen hier 70% aller Fische, die im Europäischen Nordmeer und in der Barentssee gefangen werden. Fisch ist die Grundlage eines anderen wichtigen Industriezweigs in Norwegen - der Fischerei, die hier auf Fangfahrt geht: auf Kabeljau und Schellfisch, Seeteufel und Hering, bis hin zu Lumb und Leng, Schwarzen Heilbutt oder Rotbarsch. Die Inselgruppe ist die größte Seevogelkolonie Kontinentaleuropas und mit dem Røst-Riff Heimstatt der weltgrößten Kaltwasserkorallenbank. Die spröde Schönheit der Lofoten wirkt als Touristenmagnet, der vor Ort für Jobs sorgt und Geld in die Kassen spült. Doch bei Statoil verweist man auf das große Ganze: die angezapften Vorkommen in der Nordsee gehen zur Neige, neue Projekte müssen her, will das Land auch weiterhin ein Global Player im Ölgeschäft bleiben.

Die Meinungen darüber gehen in der Region auseinander: regionale und lokale Interessen sowie Umweltorganisationen und vor Ort agierende Unternehmen liegen im Clinch miteinander, selbst die Parteien können je nach Ortsgruppe eine andere Auffassung vertreten. So zählen Lofoten und Vesterålen zur Provinz Nordland, während Senja zu Troms gehört. Das Parlament von Nordland hatte sich 2016 für eine neue Folgenabschätzung einer Ölförderung im Archipel ausgesprochen, während man in Troms dagegen stimmte. In der nördlich anschließenden Provinz Finnmark ist die Ölindustrie bereits ansässig, doch auch hier wird ein Ausbau der bisher gesperrten Blöcke abgelehnt. Die Arbeiterpartei, die in allen drei Provinzparlamenten an der Regierung beteiligt und die größte Oppositionspartei des Landes ist, nahm in den jeweiligen Abstimmungen unterschiedliche Positionen ein - hier geht der Riss mitten durch die Partei.

Der Kampf um die Lofoten illustriert das mittlerweile zwiespältige Verhältnis der Norweger zu ihren fossilen Rohstoffen: Zum einen sieht man sich als Vorreiter beim Umweltschutz und im Kampf gegen den Klimawandel. Nach einer von der norwegischen Tageszeitung Dagbladet 2017 in Auftrag gegebenen Umfrage würden 44% der Norweger das Ölgeschäft begrenzen, wenn sich dadurch die Kohlendioxid-Emissionen drosseln ließen.

Norwegen macht sich auf globalem Parkett für Klimagerechtigkeit stark und hat radikale Initiativen zur Reduzierung der heimischen Emissionen verabschiedet. Das Land hat sich 2016 verpflichtet, bis 2030 vollständig CO2-neutral zu sein. Im selben Jahr beschloss das Parlament, Benzin- und Diesel-Autos bis 2025 zu verbieten, außerdem wollen die Norweger nicht länger zur Abholzung der Regenwälder beitragen. Sie finanzieren auch Klimainitiativen in anderen Ländern: Seit 2008 beispielsweise flossen mehr als eine Milliarde US-Dollar nach Brasilien, um Alternativen zu Rodungen von Regenwäldern im Amazonasgebiet zu fördern. Ähnliche Projekte laufen in Liberia und der Demokratischen Republik Kongo. Sie sind in letzter Zeit in die Kritik geraten.

Doch in der Dagbladet-Umfrage ziehen weitere 42% der Norweger das Öl dem Klima vor, und das hat handfeste wirtschaftliche Gründe. Der Bodenschatz ist mit einem Anteil von 39% an den Gesamtausfuhren ein Exportschlager. Die norwegische Ölförderung trägt mit 14% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Vor dem Preiseinbruch 2014 waren es noch 20%. Rund 200.000 Menschen sind in der Industrie beschäftigt, doch in der Krise wurden Arbeitsplätze abgebaut. Synonym für den Reichtum Norwegens ist der Ölfonds beziehungsweise Staatliche Pensionsfonds, in den ein großer Teil der Öleinnahmen fließen. Der größte Staatsfonds der Welt hatte im September 2017 die Rekordmarke von einer Billion US-Dollar geknackt - Norwegens Vorsorge für die Zeit nach dem Erdöl. In den Fonds wird der Überschuss des norwegischen Erdöleinkommens eingezahlt. Sein Zweck besteht darin, Teile des erzielten Überschusses zu investieren. Der Ölfonds wurde 1990 ins Leben gerufen, um den Auswirkungen des erwarteten Einkommensrückgangs entgegenzuwirken. Außerdem werden mit seiner Hilfe die Effekte stark schwankender Ölpreise ausgeglichen.

Aufgrund der Größe des Fonds im Verhältnis zur Einwohnerzahl von 5.2 Millionen Norwegern ist der Ölfonds längst Gegenstand hitziger Debatten. Sollten die Einnahmen gleich vermehrt in den Staatshaushalt fließen, anstatt sie für die Zukunft anzusparen? Bieten Diversifizierung und Langfristigkeit der Anlagen genügend Sicherheit vor den Risiken des Aktienmarktes? Verliert der Staat aufgrund des von einigen Beteiligten als zu gering empfundenen Anlageanteils am Aktienmarkt gar beträchtliche Geldbeträge?

Im September 2017 wurde die Regierung aus konservativer Høyre und rechtspopulistischer Fortschrittspartei für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Ministerpräsidentin Erna Solberg hatte im Wahlkampf unter anderem eine Belebung der Wirtschaft thematisiert, sie steht für Stabilität und Kontinuität in der Ölindustrie, während kleinere Parteien für ein Ende des weiteren Ausbaus der Ölförderung sind.

Solbergs Minderheitsregierung hatte die Duldung durch ihre Stützparteien - der christlichen KRF und der liberalen Venstre - durch das Versprechen erkauft, auch in den kommenden vier Jahren nach der Wahl keine Öl- und Gasförderaktivitäten vor den Lofoten zu genehmigen.