Nowhere to hide: Die längerfristigen Auswirkungen eines Atomkriegs

Seite 3: Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion

Veränderungen der Atmosphäre, der Landoberfläche und der Ozeane nach einem Atomkrieg werden massive und langfristige Auswirkungen auf die globale landwirtschaftliche Produktion und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln haben.

Die Landwirtschaft reagiert auf die Länge der Vegetationsperioden, die Temperatur während der Vegetationsperiode, Lichtverhältnisse, Niederschlag und andere Faktoren. Ein Atomkrieg würde all diese Faktoren auf globaler Ebene für Jahre bis Jahrzehnte erheblich verändern.

Mit neuen Klima-, Ernte- und Fischereimodellen haben Forscher nun gezeigt, dass Rußeintrag in die Atmosphäre von mehr als 5 Tg in fast allen Ländern zu einer ausgeprägten Nahrungsmittelknappheit führen würden, obwohl einige Regionen stärker von Hungersnöten bedroht sind als andere.

Weltweit wären die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln und die Fischerei nicht in der Lage, den Rückgang der pflanzlichen Produktion auszugleichen.

Nach einem Atomkrieg, und nachdem die gespeicherten Lebensmittel konsumiert worden sind, würde die Gesamtzahl der verfügbaren Nahrungskalorien in jedem Land dramatisch sinken, wodurch Millionen von Menschen dem Risiko des Hungers oder der Unterernährung ausgesetzt sind.

Maßnahmen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wie etwa Veränderungen bei Produktion und Verbrauch von Tierfutter und Getreide, würden nicht ausreichen, um den globalen Verlust an verfügbaren Kalorien zu kompensieren.

Die oben genannten Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion berücksichtigen nicht die langfristigen direkten Auswirkungen der Radioaktivität auf den Menschen oder die weit verbreitete radioaktive Kontamination von Lebensmitteln, die auf einen Atomkrieg folgen könnte.

Der internationale Handel mit Nahrungsmitteln könnte stark eingeschränkt oder gestoppt werden, da die Länder inländische Lieferungen horten. Aber selbst unter der Annahme eines altruistischen Verhaltens von Ländern, deren Nahrungsmittelsysteme weniger stark betroffen sind, könnte der Handel durch einen anderen Effekt des Krieges gestört werden, nämlich durch Meereis.

Eine Abkühlung der Meeresoberfläche würde in den ersten Jahren nach einem Atomkrieg zu einer Ausdehnung des Meereises führen, wenn die Nahrungsmittelknappheit am höchsten wäre. Diese Vereisung würde sich auf die Schifffahrt in wichtige Häfen in Regionen auswirken, in denen derzeit kein Meereis auftritt, wie zum Beispiel im Gelben Meer.

Nirgendwo ein Ort zum Verstecken

Die Auswirkungen eines Atomkriegs auf die landwirtschaftlichen Nahrungsmittelsysteme werden schlimme Folgen für die Menschen haben, die einen Atomkrieg und seine unmittelbaren Auswirkungen überlebt haben. Die globalen Gesamtfolgen eines Atomkriegs – einschließlich kurz- und langfristiger Auswirkungen – wären noch schrecklicher und würden Hunderte von Millionen – sogar Milliarden – Menschen verhungern lassen.

Es gibt keinen Ort, wo wir Menschen uns vor den Auswirkungen eines Atomkriegs schützen könnten.

Ende der Übersetzung des Artikels von Francois Diaz-Maurin

Einige weitere Hinweise und Schlussgedanken

Der Artikel von Francois Diaz-Maurin basiert auf der Arbeit vieler Forscherinnen und Forscher, die die möglichen Auswirkungen eines Atomkriegs seit den 1980er Jahren bis heute untersucht haben.5

Wie der Autor dieses Artikels hoffe auch ich, dass die Aufklärung über die Folgen eines Atomkriegs mit dazu beitragen kann, dass es niemals zu dieser ultimativen Katastrophe kommt.

Hier sei noch der Hinweis gestattet, dass es weitere wertvolle Materialien gibt, die für die Aufklärung über die Gefahren eines Atomkriegs nützlich sein können und die ich empfehlen kann. Dazu gehört eine im Sommer 2022 von der IPPNW herausgegebene 27-seitige Broschüre in deutscher Sprache mit dem Titel "Nukleare Hungersnot", in der auch anhand von vielen Illustrationen über die möglichen Folgen eines "begrenzten" Atomkriegs allgemeinverständlich berichtet wird, wobei auch auf einen diesbezüglichen Artikel von mir verwiesen sei.

Weiterhin ist hier der britische Zeichentrickfilm Wenn der Wind weht aus dem Jahre 1986 zu nennen, in dem es um ein altes Ehepaar auf dem Lande geht, das einem Atomangriff ausgesetzt ist. Es ist ein berührender Film über den Schrecken der Atombombe, aber auch über die Tatsache, dass es nach einem Atomkrieg für die betroffenen Bevölkerung keine Hilfe gibt.

Dieses in seiner Trickfilm-Darstellung realistisch wirkende Werk zeichnet sich auch durch seine Filmmusik aus. Für den Soundtrack trommelte der weltbekannte britische Musiker Roger Waters, der sich jüngst wieder mit einer Rede vor dem Sicherheitsrat der Uno für eine Beendigung des Krieges in der Ukraine eingesetzt hat6, seine Bleeding Heart Band zusammen und David Bowie schrieb mit When The Wind Blows sein traurigstes Lied, das der Titelsong des Films geworden ist.

Da seit Beginn des Ukraine-Krieges der Einsatz von Atomwaffen in Europa wieder möglich ist7, müsste es eigentlich die vordringlichste Aufgabe unserer Hauptmedien sein, darüber die Bevölkerung sachgemäß zu unterrichten, wie das nach meiner Erinnerung Anfang der 1980er Jahre teilweise auch der Fall gewesen ist.

Das war ein wichtiger Grund dafür, dass damals ein Bewusstsein für die Gefahren eines Atomkriegs in der Öffentlichkeit geherrscht hat und Hunderttausende auf die Straße gegangen sind und gegen die Aufstellung der atomaren Mittelstrecken-Raketen in Deutschland protestiert haben.

Im Gegensatz dazu wird dieses Thema aber heute von den Mainstream-Medienmedien mit wenigen Ausnahmen totgeschwiegen. Die Atomkriegsgefahren sind deshalb in der Öffentlichkeit nicht präsent und werden sogar von einigen Politikern, wenn sie darauf angesprochen werden, bagatellisiert und klein geredet.

Darüber hinaus werden diejenigen, die sich für einen baldigen Waffenstillstand und eine Friedenslösung in der Ukraine einsetzen und gegen immer mehr Waffenlieferungen ihre Stimme erheben, um eine weitere Eskalation dieses Krieges zu verhindern, als "rechts" oder "rechts-offen" diffamiert oder als "Putinversteher" oder gar als "Lumpenpazifisten" verunglimpft.

Da drängt sich natürlich die Frage auf: Seit wann ist das Eintreten für Frieden, Diplomatie und Verhandlungen Ausdruck für eine rechte Gesinnung?

Aber es gibt auch andere deutsche Politiker, wie etwa Oskar Lafontaine, der seit Monaten über die Gefahren der Eskalation des Ukraine-Krieges klare Worte findet und seine Befürchtungen äußert, dass Amerika Europa in einen Atomkrieg hineintreibe und deshalb ein Verhandlungsfrieden mit Russland immer dringlicher werde.

Kürzlich ist von ihm ein Büchlein mit dem Titel "Ami, it's Time to go!" erschienen, in dem er sagt, dass wir uns aus der Vormundschaft der USA befreien müssen, wenn wir einen Nuklearkrieg in Europa verhindern wollen.8

Weiterhin möchte ich meine Leser noch auf einen Beitrag des Schweizer Journalisten Guido Biland aufmerksam machen.9 Es handelt sich um eine düstere Prognose angesichts der drohenden Weltkriegs- und Atomkriegsgefahr, von der man nur hoffen kann, dass sie sich nicht bewahrheitet. Dieser Beitrag hat mich dazu gebracht, mich erneut mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Außerdem möchte ich noch ein aktuelles Interview mit dem weltbekannten Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs verlinken, das am 07.03.2023 zunächst auf Englisch veröffentlicht wurde, aber inzwischen schriftlich und auch vertont ins Deutsche übersetzt vorliegt. (Die Übersetzung kann per Click auf den Button "Untertitel" auf der unteren Leiste der Monitorpräsentation aufgerufen werden).

In diesem aufschlussreichen Interview beschäftigt sich der von mir sehr geschätzte Wissenschaftler mit den derzeit brennendsten politischen Themen rund um die Ukraine wie der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines, den geopolitischen Hintergründen des Ukraine-Kriegs, den jüngsten Entwicklungen dieses Krieges und dem Kalten Krieg mit China, der immer eisiger wird. Er spricht ebenfalls eindringlich über einen uns alle bedrohenden Atomkrieg.

Um diese finale Katastrophe zu verhüten, empfiehlt er auch der deutschen Politik, endlich den Weg der Diplomatie einschlagen, statt immer mehr Waffen zu liefern, und an einer Vision des Friedens, der Friedliche Koexistenz und des Multilateralismus im 21. Jahrhundert mitzuwirken.

Zum Schluss sei noch ein Zitat von Caitlin Johnstone, einer unabhängigen australischen Journalistin, angeführt, dass die bedrohliche Situation, in der wir uns befinden, ebenfalls treffend auf den Punkt bringt10:

Für jüngere Menschen ist es schwer zu verstehen, dass das gleiche nukleare Armageddon-Szenario, über das sich ihre Eltern und Großeltern früher Sorgen gemacht haben, immer noch existiert.

Wenn jedoch eine kritische Masse der Bevölkerung wirklich verstehen würde, dass ihr Leben aus keinem anderen Grund als der Bereitschaft des US-Imperiums, alles zu riskieren, um seine Hegemonie, d. h., seine weltweite Vorherrschaft auf dem Planeten zu sichern, durch einen Atomkrieg bedroht ist, würde es für die Machthaber sofort schwieriger werden, mit ihr so umzugehen, wie sie es wollen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.
E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de