Nukleare Ramjets auf kosmischen Startbahnen

Gregory Matloffs Visionen zukünftiger Raumfahrt

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Wenn in den nächsten Jahren tatsächlich eine Mission zum Pluto realisiert werden sollte, wäre das der bislang weiteste, gezielte Schuss, den Menschen jemals abgefeuert haben. Aber dort hört das Sonnensystem noch nicht auf und das Weltall schon gar nicht. Welche Ziele gibt es jenseits des Pluto und wie kommen wir dort hin? Vor allem mit letzterer Frage beschäftigt sich der New Yorker Astronom Gregory Matloff in seinem Buch "Deep Space Probes".

Pluto

Die für das Jahr 2006 geplante Pluto-Sonde wird noch mit einem konventionellen chemischen Antrieb ausgestattet sein. Zusätzlich beschleunigt durch ein Schwerkraftmanöver beim Jupiter, wird sie etwa zehn bis zwölf Jahre unterwegs sein, ehe sie in einer Entfernung von 9600 Kilometern am sonnenfernsten Planeten vorbei fliegt. Zwar steht mit dem solarelektrisch betriebenen Ionen-Triebwerk bereits ein effektiveres Antriebssystem zur Verfügung. Doch das ist noch nicht ausreichend erprobt, um ihm eine so lang andauernde Mission anzuvertrauen.

Gleichwohl behandelt Matloff den Ionen-Antrieb im Kapitel über gegenwärtige Raumschiffantriebe, ebenso Schwerkraftmanöver mit und ohne Triebwerksunterstützung sowie Sonnensegel. Insbesondere letztere befinden sich noch in einer sehr frühen Erprobungsphase. Matloff konzentriert sich auf die Berechnung zentraler Größen - wie Segelgröße, Gewicht, erforderliche Kabelstärke - , um die mit Sonnensegeln erreichbaren Geschwindigkeiten zu kalkulieren. Er kommt auf fantastische 500 Kilometer pro Sekunde beim Verlassen des Sonnensystems. Eine solche Sonde könnte das benachbarte Sternsystem Alpha Centauri in 2500 Jahren erreichen.

Wem das zu lange dauert, der muss auf weniger politisch korrekte Technologien zurückgreifen. Mit einem nuklear betriebenen Ionen-Antrieb etwa ließe sich die Reisezeit einer 5000 Kilogramm schweren Sonde nach Alpha Centauri laut Matloff auf 389 Jahre verkürzen. Wie beim solar betriebenen Gegenstück werden auch hier die Atome des Treibstoffs (Zäsium, Argon oder Quecksilber) zunächst ionisiert und die Ionen dann elektrisch auf hohe Austrittsgeschwindigkeiten beschleunigt. Während der solare Ionenantrieb aber mit zunehmender Entfernung von der Sonne immer weniger Energie produziert, kann der nukleare Antrieb über mehrere Jahrzehnte vollen Schub liefern.

Solarsegel, DLR

Matloff erörtert noch andere nukleare Antriebskonzepte. Verschiedene Varianten eines nuklearen Ramjets sehen vor, interstellare Materie während des Flugs aufzusaugen und als Brennstoff für einen Fusionsreaktor zu verwenden. Es gibt sogar die Idee einer "kosmischen Startbahn" für solche Ramjets: Dabei wird der Fusionstreibstoff in Gestalt kleiner Kügelchen von langsamen Tankerraumschiffen Jahre oder Jahrzehnte vor dem Start des eigentlichen Sternenschiffs deponiert. In einer Beispielrechnung geht Matloff von einer 0,2 Lichtjahre langen Startbahn aus, angelegt 50 Jahre vor dem Start. Das Sternenschiff beschleunigt zunächst mit Hilfe eines Sonnensegels auf 0,004 c (c = Lichtgeschwindigkeit: 300.000 km/s), also etwa 1200 Kilometer pro Sekunde. Der Fusionsantrieb beschleunigt weiter auf 0,0346 c. Wenn das Sternenschiff nach drei Jahren die gesamte Startbahn durchquert hat, könnte es seine Geschwindigkeit bis auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit gesteigert haben.

Matloff ist sich darüber im Klaren, dass solche Konzepte politisch kaum durchsetzbar sein werden. Auch die technische Realisierung zeichnet sich erst in einer ferneren Zukunft ab. Etwas optimistischer ist Matloff bei den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Sonnensegeln. Die könnten statt durch Sonnenlicht auch durch gezielt ausgestrahlte Laserimpulse angetrieben werden. Abenteuerlich wird es allerdings, wenn Fresnel-Linsen mit Durchmessern von 500 Kilometern ins Spiel kommen, die in einer Entfernung von 2,25 Milliarden Kilometern stationiert werden sollen, um das Laserlicht zu bündeln.

Ramjet Hyper X

Abgesehen von exotischen Antriebssystemen, die Matloff in einem eigenen Kapitel erörtert und die äußerst spekulativer Natur sind, scheint es demnach keine Möglichkeiten für interstellare Hin-und-Rückflüge innerhalb eines Menschenlebens zu geben. Expeditionen in andere Sternensysteme werden nur mit "Weltschiffen" möglich sein, die große, vielfältige Gemeinschaften mehrere Generationen lang beherbergen können.

Wie groß eine solche Besatzung sein muss, ist eine völlig offene Frage. Der bescheidenste Vorschlag sieht eine etwa 20-köpfige Besatzung in einem Raumschiff ohne künstliche Schwerkraft vor. Das andere Extrem stellen die von Gerard K. O'Neill entworfenen Weltraumstädte dar, die von 100.000 Menschen bewohnt werden sollen und die ebenso als interstellare Raumschiffe dienen könnten.

"Wird die Bevölkerung am Ende ihrer langen Reise in ihrem komfortablen Weltschiff noch darauf aus sein, hinunter zu fliegen und die Unsicherheiten des Lebens auf der Oberfläche eines fremden Planeten zu erfahren?", fragt Matloff. "Werden sie sich stattdessen entscheiden, ihre Heimat in den weniger bedrohlichen Bereichen der Asteroidengürtel oder Kometenwolken des neuen Sterns einzurichten? Oder werden sie in dem neuen Sternsystem lediglich die Vorratskammern ihres Weltschiffs auffüllen und als ewige Nomaden weiter in den interstellaren Raum vordringen?"

Gregory Matloff: Deep-Space Probes. Springer Verlag: Berlin, Heidelberg, New York. XXIV, 184 Seiten. 89,95 US-Dollar.