Ökonomisches Denken und die Überschätzung des unmittelbar Verwertbaren

Stockender Verkehr auf dem Weg zur unternehmerischen Hochschule

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Ihr Ruf hat erheblich gelitten, doch mangels realistischer Alternativen bleiben die deutschen Hochschulen in naher Zukunft begehrte Ausbildungszentren. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht und doppelte Abiturientenjahrgänge werden schon im kommenden Wintersemester rund 500.000 Studienanfänger erwartet.

Nach dem vorläufigen Scheitern des "Dialogorientierten Serviceverfahrens" zur Vergabe von zulassungsbeschränkten Studienplätzen drohen vielen Nachwuchsakademikern chaotische Zustände und undurchschaubare Bewerbungsverfahren.

Doch das ist erst der Anfang, denn die Konstruktionsfehler der Bologna-Reform sind nach wie vor virulent. Noch immer gibt es, innerhalb Deutschlands und quer durch Europa, Probleme mit der Anerkennung von Leistungen. Zahlreichen Studienordnungen fehlt es an Klarheit und Transparenz, das Betreuungsverhältnis ist weiter suboptimal, und im weiterführenden Masterstudium fehlen allerorten Plätze. Auf der Jahresversammlung der Hochschulrektoren-Konferenz (HRK) in Heidelberg traf Präsidentin Margret Wintermantel die vieldeutige Feststellung: "Wir werden zusammenrücken müssen."

Das Geld im System

Für die Studierenden hat dieser Satz angesichts der ausgelasteten Kapazitäten eine ganz praktische, unmittelbar geographische, ja physische Bedeutung. Ob er im übertragenen Sinn auch für die 264 Hochschulen gilt, die aktuell von der HRK vertreten werden, darf allerdings bezweifelt werden. Wintermantels obligatorischer Mahnung – "Wir haben nicht genügend Geld im System" – werden alle 264 geschlossen zustimmen.

Doch die Bildungstempel, die sich im Rahmen der ersten beiden Auswahlrunden der Exzellenzinitiative durchsetzen und zusammen 1,9 Milliarden Euro Fördergelder einsammeln konnten, haben ein kleineres Problem als die weniger exzellente Konkurrenz. Da sich Bundesministerin Annette Schavan (CDU) eine "Verstetigung des Hochschulwettbewerbs" auf die Fahnen geschrieben hat, läuft nun bereits die dritte Runde. Bis 2017 sollen alles in allem 2,7 Milliarden Euro in die sogenannte "Spitzenforschung" ausgewählter Hochschulen investiert werden. Eine Evaluation des seit 2006 laufenden Programms findet 2016 statt. Gerade noch rechtzeitig, um nichts mehr korrigieren zu können.

Bis dahin fließt also Geld durch das System, Millionensummen sickern aber nur in bestimmte Kanäle. Dieser Umstand stört die HRK-Präsidentin allerdings nicht. Ihr fehlt das Geld für die Grundausstattung, und die Abschaffung der Studiengebühren in immer mehr Bundesländern ist für Wintermantel (und zahlreiche Universitäts- oder Fachhochschulleitungen) ebenfalls Anlass zur Sorge. Der Ausfall, so der allgemeine Tenor, muss von den Landesregierungen "wie versprochen kompensiert" werden. Darüber hinaus soll die Politik die besagte Grundausstattung verbessern und sich anschließend "auf ihre Rechtsaufsicht zurückziehen."

Verwalten und gestalten können die Hochschulen nämlich ganz allein, meint Margret Wintermantel. Und noch mehr Autonomie sei die wichtigste Voraussetzung, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit zu steigern.

Das neue Plädoyer liegt in etwa auf der Argumentationslinie der letzten Jahre: Die Uni ist eine Firma, und wenn die Chefetage zu wenig Praxiserfahrung hat, spielt das auch keine wesentliche Rolle. Den Großteil ihres Etas muss sie ja nicht selbst erwirtschaften.

Baden-Württemberg: Weg von der unternehmerischen Hochschule

In der öffentlichen Diskussion konzentrieren sich die hochschulpolitischen Unterschiede zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb fast ausschließlich auf die Befürwortung oder Ablehnung von Studiengebühren. Der jüngst vereinbarte Koalitionsvertrag der nun grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg zeigt allerdings einmal mehr und durchaus anschaulich, dass die Differenzen tiefer liegen. Die neue Regierung setzt auf ein grundlegend anderes Verständnis von Hochschule und Bildung.

Das Leitbild der "Unternehmerischen Hochschule", das dem aktuellen Landeshochschulgesetz zugrunde liegt, hat noch nie zu den Hochschulen gepasst.

Koalitionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD Baden-Württemberg

Das Gesetz soll deshalb ein weiteres Mal novelliert werden. Bei der Gelegenheit werden nicht nur die Studiengebühren entfallen, sondern auch die umstrittenen Hochschulräte wieder in Wirtschaft und Gesellschaft entlassen. Grün-Rot sieht in den Gremien (nicht zu Unrecht) verunglückte Kopien von Aufsichtsräten und will perspektivisch "externe Hochschulbeiräte etablieren, die die Hochschulen mit Blick von außen beratend begleiten."

Darüber hinaus sollen die Mitbestimmungsrechte der Studierenden gestärkt werden. Auch diese Maßnahme konterkariert die Bestrebungen der vergangenen Jahre, die Nachwuchsakademiker als Kunden eines Systems zu betrachten, das von ihnen allenfalls noch marginal beeinflusst werden kann.

Wir wollen den Studierenden wieder eine organisierte Stimme in den Hochschulen geben. Dafür werden wir eine demokratisch legitimierte, autonom handelnde und mit eigener Finanzhoheit ausgestattete Verfasste Studierendenschaft einrichten, die auch über die Belange der Hochschule hinaus mit einem entsprechenden Mandat an der gesellschaftlichen Willensbildung teilnimmt. Überall dort, wo es um Studium und Lehre geht, müssen Studierende mitgestalten können. Künftig sollen Studierende auf Augenhöhe über die Verwendung der vom Land zur Verfügung gestellten Kompensationsmittel für die wegfallenden Studiengebühren mitentscheiden.

Koalitionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD Baden-Württemberg

Da kommt einiges auf die Studierenden zu, die sich mehrheitlich nicht (oder nicht mehr) zu den politischen Aktivisten zählen. Die neue Landesregierung hat sich mit diesen Vorgaben einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt, und noch ist nicht absehbar, ob sie die selbstgesteckten Ziele erreichen kann. Im Erfolgsfall wäre dem Wettbewerbsgedanken freilich Genüge getan. Ein Leistungsvergleich mit dem ideologischen und bildungspolitischen Pendant im benachbarten Bayern könnte in einigen Jahren zu aufschlussreichen Ergebnissen führen.

"Das ist das Gegenteil von Gleichwertigkeit"

Torsten Bultmann, Politischer Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), setzt sich in einem Beitrag für "Forum Wissenschaft", der auch auf dem Portal "Studis Online" nachzulesen ist, mit der interessanten Rolle des Wissenschaftsrats auseinander, der einerseits zu den Initiatoren der Exzellenzinitiative gehört, andererseits vor einer "Ausstattungshierarchisierung" und der "Entwissenschaftlichung" ganzer Fachbereiche und Hochschulen warnt.

Sogar die "Inflation der Exzellenzrhetorik" wird in den Ende 2010 veröffentlichten Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen durchaus kritisch betrachtet.

Wiederum andererseits plädieren die vom Bundespräsidenten (auf gemeinsamen Vorschlag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz) berufenen Wissenschaftler für einen massiven Ausbau der Fachhochschulen, der die Universitäten entlasten und Kapazitäten verschieben soll.

Der empfohlene "überproportionale Ausbau" der Fachhochschulen ließe sich aktuell nur durch wesentlich schärfere Zulassungsbeschränkungen an Universitäten realisieren. Wenn sich dann gleichzeitig – wie bisher – die prestigeträchtigen finanziellen Zuwächse in der Drittmittelforschung zu 95 % (2008) an den Universitäten konzentrieren und Bewerbungen in der symbolträchtigen Exzellenzinitiative durch politische Festlegung ausschließlich diesen vorbehalten sind, festigt eine solche Politik exakt den höherrangigen "elitären" Status des Universitätstyps gegenüber dem restlichen Hochschulsystem. Das ist das Gegenteil von Gleichwertigkeit – und der Wissenschaftsrat erweist sich einmal mehr als die Repräsentanz der Universitätslobby, die er eigentlich immer war.

Torsten Bultmann

Im Verhältnis von Drittmitteln und Grundversorgung sieht Bultmann eines der zentralen Probleme der sogenannten Bildungsreform. Investitionen seien immer seltener "unter dem Aspekt einer flächenbezogenen Absicherung der gesetzlichen Aufgaben" getätigt worden. Stattdessen habe die "wettbewerbliche Erwirtschaftung zusätzlicher Finanzen auf dem Drittmittelmarkt" im Mittelpunkt gestanden.

Staatlicherseits wurde diese Konzentrationspolitik noch durch zusätzliche Anreize gefördert, indem etwa in einzelnen Bundesländern bestimmte Anteile (in der Regel 10–20 %) der vom Landtag bewilligten Grundmittel nach sog. Leistungsindikatoren verteilt werden, wobei das Drittmittelaufkommen einer Hochschule einer der zentral gewichteten Indikatoren ist.

Torsten Bultmann

Die Differenzierung der Hochschulen, die der Wissenschaftsrat gleichzeitig beklagt und einfordert, hat so eine politisch begünstigte, von Funktionären abgesegnete Eigendynamik bekommen, deren praktische Folgen bereits zu besichtigen sind. Die "Aufspaltung des Systems", die der Rat angeblich unterbinden wollte, konnte so allerdings nicht verhindert werden.

Vielmehr hat sich von (gegenwärtig) insgesamt 107 Universitäten und TUs eine Top-Liga von etwa 20 Unis herausgebildet, die regelmäßig 60–70 % aller Drittmittel erhalten und folglich in allen einschlägigen Forschungsrankings an der Spitze stehen. Diese Top-20 wiederum teilten auch 70 % der Finanzen aus der Exzellenzinitiative unter sich auf.

Torsten Bultmann

Um diese Fehlentwicklung zu korrigieren, fordert Bultmann, die Entscheidung über gesonderte Finanzierungsprogramme in Zukunft mit einer deutlichen Erhöhung der Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbinden. Nur dann entfalle für Hochschulleitungen der Zwang, die Grundmittel in bestimmte Fachbereiche zu investieren, denen eine aussichtsreiche Position im Wettbewerb um die genannten Sonderprogramme zugetraut wird. Im Anschluss könne man "ideologisch unaufgeregt" auch wieder über die Förderung von Spitzenforschung diskutieren.

"Kunst und Musik gehören zur Wissensgesellschaft"

Die Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz stand in diesem Jahr unter dem Motto Kunst und Musik gehören zur Wissensgesellschaft. Zu den 264 HRK-Mitgliedern zählen eben auch 46 Musik- und Kunsthochschulen.

Die habilitierte Psychologin Margret Wintermantel fand in ihrer Begrüßungsrede (selbst)kritische Töne zum Verlauf der Bildungsreformen, an denen die Hochschulrektorenkonferenz allerdings maßgeblich beteiligt war.

Alle Hochschulen haben schon einen enormen Differenzierungs- und Modernisierungsprozess hinter sich und dieser geht weiter. Differenzierung, neue Studienstrukturen, Modularisierung, neue Modelle der Steuerung, Lifelong Learning sind nur einige der Begriffe, hinter denen sich tief greifende Veränderungen, langwierige Diskussionen, aber auch Rückschläge und Enttäuschungen verbergen.

Margret Wintermantel

Ob der obligatorischen Fanfarenstoß zum Start in die Wissensgesellschaft ganz einfach vergessen wurde? "Tief greifende Veränderungen, langwierige Diskussionen, Rückschläge und Enttäuschungen" können doch schließlich nicht die einzigen Resultate des jahrelangen Bemühens sein. Doch die Präsidentin gönnte sich noch eine Zugabe, maßgeschneidert für den Adressatenkreis des Tages, aber vielleicht auch Ausdruck eines leichten Unbehagens in der Dauerreform, das im vorangegangenen Kapitel den Wissenschaftsrat plagte:

Wir leben in einer Zeit der Überschätzung des unmittelbar Verwertbaren. Denken wir an die Innovationsdebatte in unserem Land oder auch die Förderpolitik der Europäischen Union. Hier geht es oft, allzu oft um die Frage, welche Erkenntnisse kurzfristig ökonomisch verwertbar sind. Hier stehen immer einseitig die Wissenschaften im Vordergrund, von denen man diese Erkenntnisse erwartet.

Margret Wintermantel

Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß, der übrigens ein erklärter Befürworter von Studiengebühren ist, kommt noch schneller auf den Punkt. "Universitäten sind keine Unternehmen", erklärte er in der vergangenen Woche.