Öl ins Konfessionsfeuer

Ägyptens Kopten schlagen immer härtere Töne an - vor allem im Internet

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Zur Erinnerung: Am Abend des 6. Januar schossen Muslime in der ägyptischen Ortschaft Nag Hammadi auf Kopten, die gerade die Kirche verlassen hatten. Sechs Kopten und ein muslimischer Wachmann starben. Das Massaker gilt als Vergeltungsschlag für die Vergewaltigung einer 12-jährigen Muslimin im vergangenen November durch einen Christen. Die Aufregung über die Bluttat war auch hierzulande groß, die Solidarität immens und der Hauptverantwortliche schnell gefunden: die muslimischen Hassprediger.

So einfach gestaltet sich die Lage aber nicht. Tatsächlich tun die Kopten ihr Möglichstes, um das Konfessionsfeuer anzuheizen. Aus voller Kehle schreit der koptische Pfarrer „Malnash gheirak“. Immer und immer wieder: „Malnash gheirak“ - „Wir haben niemanden aus der Dich (mein Gott)“. Die Gemeinde in der berstend vollen Kirche wiederholt es, schreit es, aufgelöst, wie in Trance. Ort des Schauer-Spiels ist eine ägyptische Kirche, in der später der Ereignisse von Nag Hammadi gedacht wurde.

Ein beängstigender Anblick – und einer, der dem dazugehörigen Youtube-Clip über weit über 100.000 Aufrufe bescherte, sowie über 800 hasserfüllte Postings – von beiden Seiten. So schreibt ein Muslim: „Die Minderheit muss marginalisiert werden und dürfte eigentlich gar nicht existieren.“ Das nicht minder gefährliche Rückgeschoss eines Kopten folgt prompt: „Ihr Muslime seid die Irregeleiteten. Ihr tötet unsere Kinder und wollt, dass wir stumm bleiben. Seht euch nur die Aufstachelungen durch eure Scheichs in den Freitagspredigten an, während die (ägyptischen) Sicherheitskräfte zuhören und schweigen.“

Kopten seit jeher diskriminiert

Über die Situation der Kopten, die - je nach Quelle - sechs bis zwölf Millionen stellen, besteht kein Zweifel: Sie werden in dem 80-Millionen-Einwohner-Staat, der der Verfassung nach ein islamischer ist, diskriminiert. Zwar verfügen sie über gewisse Autonomien – etwa in der Verwaltung ihres Personenstatus‘, ihrer Erbangelegenheiten und in der Ausübung ihrer Religion. Doch schon beim Bau oder der Reparatur ihrer Gotteshäuser stossen sie auf Restriktionen.

Im Vergleich zu den Sunniten sind sie durchaus Bürger zweiter Klasse – ein Zustand, der mit der Eroberung Ägyptens durch die Muslime im 7. Jahrhundert einsetzte. Zumindest, was ihr Verhältnis zu diesen betrifft: Zuvor hatten sie unter den christlichen Byzantinern zu leiden und begrüssten die Muslime anfänglich gar als Befreier. Das aber ist 1400 Jahre her und seitdem führen sie, je nach ideologischer Windrichtung, ein mal mehr, mal minder unterdrücktes Dasein. Seit der Zunahme fundamentalistisch-salafitischer Strömungen in Ägypten hat sich ihre Situation wieder verschärft – wobei George Sabra, Dekan der Near East School of Theology in Beirut, betont, dass die Salafiten sie keineswegs nur wegen ihrer Andersgläubigkeit anfeinden:

Sie sehen in ihnen auch ein willkommenes Instrument zur Destablisierung der verhassten Diktatur Husni Mubaraks sehen. Jede Möglichkeit, dieser Ärger zu bereiten, ist ihnen recht.

Fatale Politik Husni Mubaraks

Um dies zu verstehen, gilt es sich die von Mubarak betriebene anti-palästinensische und pro-israelische Politik zu vergegenwärtigen, mit der er die gefährlichsten aller Lunten gegenüber den sunnitischen Fundamentalisten legt. Gerade vor ihnen aber muss sich der Diktator laufend ausweisen – denn Mubarak gehört selbst der sunnitischen Konfession an. Somit verläuft sein Fall völlig konträr zu dem seines syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad, der politisch die anti-israelische Karte und konfessionell die Minoritäten-Karte spielt – einfach weil er sich als Alawit die Loyalität anderer Minderheiten sichern muss, um seine Herrschaft über die sunnitische Majorität zu rechtfertigen.

Auf der Strecke bleiben im ägyptischen Fall eindeutig die Kopten, zumal sie unbewaffnet und isoliert sind. „Kurz: sie können Mubarak völlig egal sein – zumindest solange, als Vorfälle wie in Nag Hammadi, die mit internem Aufruhr und externer Berichterstattung einhergehen, ausbleiben.“

Europa und die USA zum „Kreuzzug gegen die Muslime“ aufgefordert

Das Wissen um ihre Isolation treibt die Minderheit indes zu immer gefährlicheren Anfeindungen. So zeigen Bilder auf Facebook Mubarak und seine beiden Söhne mit bluttriefenden Messern in den Händen, zum Verweis auf ihre indirekte Mitschuld. Den Gipfel des Konfrontationskurses aber bilden jene Aufrufe wie sie der Verfasser des Blogs "Jesus Christus ist der Weg" oder die Gruppierung "Stoppt die Verfolgung der Kopten" auf Facebook formulieren: Ersterer ruft den US-Kongress dazu auf, von der ägyptischen Regierung einen Stop der Koptenverfolgung (die so ja gar nicht stattfindet) einzufordern. Letztere geht gar soweit, die USA und Europa zu einem „Kreuzzug gegen die Muslime“ aufzurufen.

„Ägypten gehört den Kopten“

Verschärfend kommt hinzu, dass sich die Kopten nicht als Araber, sondern als die eigentlichen Bewohner Ägyptens und demgegenüber die Araber als muslimische Invasoren wahrnehmen. Auch dies wird nun, zumindest im Internet, immer freimütiger ausgesprochen. So heisst es auf der Facebook-Seite der Gruppierung „Das Blut unserer Märtyrer, der Opfer von Konfessionalismus und Intoleranz, ist nicht vergeblich geflossen“: „Wer sagt, dass die Religion Gott und die Nation allen gehört, ist ein Idiot. Tatsächlich ist Gott ein Araber und seine Religion der Islam.“

Versöhnung gerät so mehr denn je zum Fremdwort, bemerkt der Blogger Ahmad Samir, eine der wenigen verbliebenen reflektierten Stimmen:

Es ist eine Weile her, dass sich der koptische Papst Shenouda III. und der Scheich der Al-Azhar-Universität im staatlichen Fernsehen offiziell umarmten. Heute befinden wir uns am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts und jeder Anblick von Versöhnlichkeit gibt nurmehr Anlass zu Gelächter. Die Ägypter glauben heute nicht mehr an moderate Stimmen, sondern verlassen sich auf wahhabitische Quellen aus den Golfstaaten und TV-Sender wie ‚Al-Nas‘ und ‚Al-Hikma‘ – während sich vice versa die Christen ihre Informationen von extremistischen Sendern wie dem koptischen ‚Al-Hayat‘ holen“.

Koptischer Hassprediger

Auf letzterem tritt denn auch häufig der in den USA lebende koptische Prediger Zacharia Boutros auf, unter anderem um die „perversen sexuellen Gepflogenheiten“ des Propheten Mohammad zu debattieren. Seine Hetzereien, die denen extremistischer Freitagsprediger um nichts nachstehen, will Past Shenouda III. solange dulden, wie das Christentum seitens der Muslime erniedrigt werde.

Feuer mit Feuer bekämpfen, nennt man wohl diese Strategie, die sicherlich vor allem dazu dient, die Flammen immer höher schlagen zu lassen – und zwar vor allem zum Schaden seiner politisch und zahlenmässig unterlegenen Gemeinde selbst. Ganz abgesehen von der Frage nach dem Bild, das die koptische Kirche so vom Christentum vermittelt - eine Religion, die doch recht eigentlich Liebe und Nächstenliebe predigen wollte?

Freuen hingegen dürfen sich ganz gewiss die Betreiber von Youtube: das geschmacklose Video von der angeblichen Heilung einer Muslima durch einen koptischen Pfarrer bescherte ihnen bislang über 200.000 Aufrufe (weiterführende Literatur - in Arabisch- hier).