Ölindustrie lässt sich nicht aufhalten

Die Energie- und Klimawochenschau: Von aktuellen und künftigen Ölkatastrophen und von geplanten Tricksereien mit den AKW-Laufzeiten

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Das Desaster der BP-Ölplattfrom "Deepwater Horizont" entwickelt sich Schritt für Schritt nicht nur zu einer Katastrophe für die Umwelt im Golf von Mexiko und die Wirtschaftszweige, die von dieser Leben, sondern langsam wird auch klar, dass die Ölbranche ein Problem bekommt.

Der steigende Ölpreis hat es in den letzten Jahren mit sich gebracht, dass Exploration und Förderung in immer riskantere Zonen vordringt - sei es in die Tiefsee, sei es in arktische Regionen -, doch das sprudelnde Bohrloch am Grunde des Golfs hat der Öffentlichkeit nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Ländern deutlich gemacht, wie wenig die Unternehmen trotz aller anders lautenden Propaganda auf derartige Unfälle vorbereitet sind, und dass eben auch bei vermeintlich grünen Unternehmen wie "Beyond Petrol", wenn der Profit nur hoch genug ist, unverantwortliche Risiken auf Kosten der Natur eingegangen werden.

Die Frage ist, wie lange das noch akzeptiert wird. Umfragen in den USA (siehe: Sind Umweltschützer schuld an der Ölkatastrophe?) zeigen zwar, dass dort die öffentliche Meinung nur sehr träge auf die Katastrophe reagiert, doch das könnte mit dem Mangel an Informationen und vor allem an Bildern zusammenhängen. Die taz-Korrespondentin Dorothea Hahn berichtete letzte Woche, dass BP nur sehr zögerlich, wenn überhaupt die Hilfe von Freiwilligen annimmt, die die Küste schützen wollen. In Louisiana seien viele Küstenabschnitte von BP-Mitarbeitern und Militärs gesperrt worden. Ein Meeresbiologe wird zitiert, der aus dem Vogelschutzgebiet Breton Island vertrieben wurde, als er dort Wasserproben nehmen wollte.

Auch an das schadhafte Bohrloch lässt BP keine unabhängigen Wissenschaftler heran. US-Präsident Obama lässt zwar inzwischen in markigen Worten wissen, dass er die Geduld mit BP und den anderen beteiligten Unternehmen verliere, aber seine Behörden scheinen die fortlaufende Vertuschung nicht nur zu dulden, sondern sich auch weiter dran zu beteiligen. In der Vergangenheit haben bei ähnlichen Katastrophen vor allem die Bilder von ölverschmutzten Vögeln und Wasserbewohnern die Öffentlichkeit alarmiert. Mag sein, dass man das diesmal gerne vermeiden würde, wie der von der taz befragte Meeresbiologe mutmaßt.

Ob sich in den Zeiten von Internet und angesichts von Zehntausenden, die an den Stränden helfen wollen, unvorteilhafte Bilder zurückhalten lassen, ist jedoch eher fraglich. Die ersten ölverschmierten Tiere zieren bereits die Titel der Zeitungen und US-Politiker beginnen zurückzurudern. Noch vor kurzem hatte Präsident Barack Obama sehr zum Unwillen der Umweltschützer die Vergabe von Bohrlizenzen für die Küstengewässer in Atlantik und Pazifik versprochen, doch nun fordert er ein Moratorium und an der US-Westküste hat sich ein überparteiliches Bündnis aus Senatoren zusammengefunden, die die dortige Ölsuche gemeinsam verhindern wollen.

Nur vor den Küsten Alaskas, unter der Tschuktschischen- und der Beaufortsee, darf zur Zeit gebohrt werden. Im Juli will Shell loslegen, erst Anfang April hatte es aus Washington die Erlaubnis gegeben. Vor Gericht hatte der Konzern gegen klagende Umweltschützer und Eskimogemeinden Recht bekommen. Verantwortlich für die Umweltverträglichkeitsprüfungen war der Minerals Management Service, die gleiche Behörde, die noch nach der Explosion auf der BP-Plattform am 20. April reihenweise Ausnahmegenehmigungen erteilte, mit der andere Bohrplattformen im Golf von Umweltauflagen befreit wurden, darunter auch eine von BP betriebene.

Die Gewässer vor den Küsten Alaskas sind zwar erheblich flacher, als die fast 2000 Meter tiefe Stelle, an der "Deepwater Horizont" versank. Insofern erscheint Shells arktisches Vorhaben weniger heikel. Allerdings ist dort das Meer im Winter von Eis bedeckt, das mit Sicherheit für erhebliche Gefahren sorgen wird. Für gewöhnlich liegt das Eis nämlich nicht nur auf einfach ruhig auf dem Wasser, sondern wird in gewaltigen Wirbeln von den arktischen Winden über das Polarmeer geschoben. Robert McClure von der Seattle Post weist darauf hin, dass die Gewässer zu den reichsten Fischgründen der USA gehören. Eine Ölkatastrophe würde also unter anderem auch erhebliche ökonomische Schäden anrichten.

Außerdem, so McClure, sei der Minerals Management Service (MMS) in einen unglaublichen Korruptionsskandal verwickelt. Offensichtlich haben sich die Behördenmitarbeiter von der Industrie mit sexuellen Dienstleistungen und Drogen für gefällige Gutachten revanchiert. Anfang des Monats hatte die Regierung in Washington bekannt gegeben, dass der MMS aufgeteilt werden solle, um die Kontrolle der Konzerne unabhängiger zu gestalten. Anfang dieser Woche hieß es nun, dass MMS-Chef Chris Oynes schon zum Monatsende seinen Hut nimmt. Bevor er seinen Posten 2007 antrat, war er 13 Jahre lang Chef der Aufsicht im Golf von Mexiko gewesen.

Derweil sind inzwischen Link auf http://www.firstcoastnews.com/news/local/news-article.aspx?storyid=156210&catid=3 worden. Das gibt Befürchtungen neue Nahrung, das Öl könnte mit der Meeresströmung auch in den Atlantik herausgetragen werden und dort die Strände verschmutzen. Das wäre nicht nur für die dortige Flora und Fauna verheerend, sondern auch für die örtliche Tourismus-Industrie. BP spricht am Dienstag davon, dass man einen Teil des austretenden Öls direkt abpumpen könne. Allerdings schafft das dafür eingesetzte Schiff nur 2000 Barrel pro Tag, das sind maximal acht Prozent der von unabhängigen Wissenschaftlern auf 25.000 bis 80.000 Barrel pro Tag geschätzten Menge.

BP-Chef Tony Hayward meint zwar, dass das jüngste Unglück die Ölindustrie nicht aufhalten, wohl aber verändern wird, selbst in Schottland fürchtet inzwischen das dort ansässige Unternehmen Cairne Energy um geplante Explorationen, wie der Scotsman schreibt. Eigentlich will das Unternehmen noch diesen Sommer in den Gewässern zwischen dem westlichen Grönland und dem Arktischen Archipel bohren. Die Gewässer seien dort flach, kein Vergleich zum Golf von Mexiko, versichert man in Edinburgh. Was Umweltschützer allerdings alarmiert ist die Tatsache, dass die Bohrung sozusagen auf einer Eisberg-Autobahn stattfinden wird. Die gefrorenen Kolosse driften durch die Davisstraße südlich in den Nordatlantik und stellen ein erhebliches Risiko für Plattformen dar.

Tricksen bei der Laufzeitverlängerung?

Bei all dem sollte man meinen, dass der Ausbau der sauberen Alternativen mit besonderem Nachdruck vorangetrieben wird. Doch hierzulande ist das Gegenteil der Fall: Erst beschließen die Koalitionsparteien im Bundestag die drastische zusätzliche Kürzung der Vergütung für Strom aus Fotovoltaikanlagen, dann fiel das Marktanreizprogramm für Solarthermie, Pelletsheizungen, Wärmepumpen sowie kleinen Blockheizkraftwerken dem Rotstift zum Opfer (Solare Wärme verliert Unterstützung) und schließlich wird die Verlängerung der AKW-Laufzeiten in Angriff genommen, die nachweislich den Ausbau von Wind & Co. massiv behindern werden. Alles in allem eine reife Leistung. Soviel regressive Energiepolitik innerhalb von nur zwei Wochen soll den Tigerenten erst mal jemand nachmachen.

40, 50 oder gar noch mehr Jahre laufende Strahlenmeiler sind in der Öffentlichkeit besonders unbeliebt, und daher hatte sich die Bundesregierung alle Mühe gegeben, das Thema vor der NRW-Wahl aus den Medien zu halten. Doch genutzt hatte es ihr wenig. Die Bürger hatten längst den Braten gerochen, hatten allerdings sicherlich noch eine ganze Reihe weiterer Gründe, um CDU und FDP abzuwatschen.

Dafür wird nun endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Da die konservativ-liberale Koalition im Bundesrat nach dem Desaster an Rhein und Ruhr ihre Mehrheit einbüßt, soll die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ohne diesen beschlossen werden. So stellt es sich zumindest Kanzleramtsminister Ronald Profalla (CDU) vor, wie der Branchen-Informationsdienst IWR berichtet. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte allerdings noch im April in einem Gutachten festgestellt, dass das kaum möglich sein wird: "Für Laufzeitverlängerungen bzw. die Wiederzulassung der dauerhaften Nutzung der Atomenergie ist eine Gesetzesänderung erforderlich, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf."

Der IWR meint, dass mit den Äußerungen Profallas zumindest klar ist, dass für die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung eine beschlossene Sache ist. In dem für den Herbst angekündigten Energiekonzept werde es wohl nur noch über die Länge der zusätzlichen Laufzeiten gehen. Wenn man dieser Einschätzung folgt, dann wäre das CDU-interne Gezänk, das dieser Tage zwischen dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Steffan Mappus und dem Bundesumweltminister Norbert Röttgen ausgebrochen ist, wohl eher als Ablenkung zu werten.

Wie dem auch sei, die Energiepolitik wird in den nächsten Monaten mit Sicherheit nicht langweilig werden. Zum einen haben verschiedene Bundesländer ihren Widerstand gegen die Fotovoltaik-Kürzungen noch nicht aufgegeben, sodass sich demnächst der Vermittlungsausschuss damit beschäftigen muss. Und wenn Union und FDP ihre Ankündigung wahr machen sollten, tatsächlich die Länderkammer in der Frage des Atomausstieggesetzes zu umgehen, dann wird sich wohl das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigen müssen.