Ohne Endlager kein Atomausstieg

Fast allein beim Protest. Bild: S. Duwe

Die Jahrestagung Kerntechnik des Deutschen Atomforums steht ganz im Zeichen der drohenden Energiewende

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Mitten in der Debatte um die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland und rund zwei Monate nach dem Reaktorunglück von Fukushima ist, so sollte man meinen, die Protestbewegung gegen die Kernkraft stark wie selten zuvor. Doch gestern versammelten sich nur etwa 100 Demonstranten auf dem Alexanderplatz, um gegen die Jahrestagung Kerntechnik, die vom Deutschen Atomforum auf der anderen Seite der Straße veranstaltet wird, zu protestieren. Verloren stehen die Demonstranten auf dem Platz - und noch bevor Ralf Güldner, der Präsident des Atomforums, seine Eröffnungsrede hält, ist fast keiner mehr da. Nur noch die Polizei schaut dem Treiben auf der Bühne zu, die die Kernkraftgegner aufgebaut haben - anders als die Demonstranten kann sie nicht einfach nach Hause gehen (Und wo ist die Anti-AKW-Bewegung?).

Mit dem Druck von der Straße hat es also gewiss nichts zu tun, dass die Jahrestagung dieses Mal mit einem kurzfristig geänderten Programm an den Start geht. Zwar enthielt das ursprüngliche Programm bereits aktuelle Programmpunkte zu Fukushima. Doch traditionell ist der erste Tag der dreitägigen Veranstaltung politischen Vorträgen und Diskussionsrunden gewidmet. Da es derzeit aber einen "sehr dynamischen Veränderungsprozess" der politischen Rahmenbedingungen gebe und das Atomforum "das Primat der Politik" achten wolle, wurde der politische Teil kurzerhand gestrichen.

Es darf bezweifelt werden, ob das Atomforum die Podiumsdiskussion mit dem ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn zum Thema "Die Nutzung der Kernenergie in Deutschland - Bedeutung für die Volkswirtschaft" wirklich abgesagt hat, um jeglichen Einfluss auf die Politik zu vermeiden. Das widerspricht zum einen dem Selbstverständnis einer Lobbyorganisation, deren Zweck es ja gerade ist, politische Prozesse zu beeinflussen. Andererseits nimmt sich Güldner in seiner Eröffnungsrede die Freiheit, den volkswirtschaftlichen Nutzen der Atomkraft ausgiebig zu betonen.

Wahrscheinlicher ist wohl, dass das Bild, welches der politische Tag der Jahrestagung abgegeben hätte, all zu selbstherrlich und dem eigenen Image abträglich gewesen wäre. So war geplant, unter der Moderation des stellvertretenden Chefredakteurs der atomkraftfreundlichen Wirtschaftswoche, Henning Krumrey, eine Diskussion zu Risikoempfinden und Risikobewertung der Atomkraft nach Fukushima durchzuführen. Als Hauptdiskutant angekündigt war Ortwin Renn, der als Risikoforscher in der Ethikkommission zur Atomkraft sitzt und bereits in der Vergangenheit in Diskussionsrunden des Atomforums für die Kernkraft teilgenommen hat.

Mode nach Fukushima. Bild: S. Duwe

Höhepunkt des ursprünglichen Programms wäre wohl das Presseforum "German Atomangst - ein Medienphänomen?" geworden, für den das Atomforum den Spiegel-Autor Jan Fleischhauer eingeladen hatte. Fleischhauer war wenige Tage nach dem Unglück in Fukushima mit der Behauptung aufgefallen, dass sich Kernkraftgegner die Katastrophe sogar gewünscht hätten, denn "der Apokalyptiker, der stets mit dem Schlimmsten rechnet, braucht hin und wieder den Beweis, dass er mit seiner Weltsicht richtig liegt." Außerdem sei Kernkraft derzeit nicht ersetzbar, sodass man das Risiko eingehen müsse - und tödliche Autounfälle passierten ja schließlich auch immer wieder. Mit diesen Thesen sprang Fleischhauer auch Güldner bei, wenn es darum ging, in Talkshows die öffentliche Meinung wieder auf die eigene Seite zu ziehen.

Doch auch wenn der Medienwissenschaftler Norbert Bolz nicht darüber referierte, wer denn das Land regiert - zur Auswahl stehen "die Konzerne, die Medien, die Politik oder der Bürger" - und er daher nicht seine These, die "grüne Bewusstseinsindustrie" würde "konkrete Formen der Apokalypse" wie die Klimaerwärmung oder die Kernschmelze verkaufen wiederholen konnte, politisch ist die Jahrestagung Kerntechnik dennoch. Dafür sorgt Ralf Güldner mit seiner Eröffnungsrede.

Deutsche Atomkraftwerke sollen sicherer als japanische sein

Der Präsident des Atomforums schwelgt in alten, für die Branche guten Zeiten. Erst ein Jahr ist es her, da konnte nach der Bundestagswahl mit "nennenswerten Laufzeitverlängerungen" gerechnet werden, erinnert er sich. Dann kommt Güldner auf Fukushima zu sprechen, zeichnet crplastisch die Bilder vom havarierten Kraftwerk, die um die Welt gingen, um dann die Konsequenzen in Deutschland anzusprechen. "Kraftwerke, die gerade erst mit guten Gründen Laufzeitverlängerungen" bekommen hätten, seien "plötzlich zum Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft erklärt" worden - das Wettrennen um die kürzesten Laufzeiten hatte eingesetzt.

Einzig, dass Umweltminister Norbert Röttgen bei der Vorstellung des Berichts der Reaktorsicherheitskommission angekündigt hatte, nicht Hals über Kopf aus der Kernenergie aussteigen zu wollen, stimmt Güldner ein wenig optimistisch. Wenn überhaupt noch ein Ansatz besteht, einige Kernkraftwerke zu retten, dann ist das für ihn der Bericht der RSK. Dass sich der Bericht der Kommission ganz im Sinne der Atomindustrie lesen lässt, bestätigt auch Uwe Stoll, der selbst Mitglied der RSK ist und für Areva NP arbeitet. Der Bericht zeige, dass die deutschen Atomkraftwerke in der Summe robust ausgelegt seien, sagt er später auf der Jahrestagung.

Der Präsident des Atomforums Ralf Güldner machte auf die angebliche Bedeutung der Atomenergie aufmerksam. Bild: S. Duwe

Dass deutsche Atomkraftwerke sicherer seien als japanische ist auch ein zentrales Motiv in der Rede Güldners. Tsunamis mit einer Wellenhöhe von über zehn Metern hätten bei der Auslegung der Anlagen berücksichtigt werden müssen. In Deutschland wären die Kraftwerke so nicht genehmigungsfähig gewesen. Trotz der Schäden, die in Fukushima aufgetreten seien, habe die Anlagentechnik "die Begrenzung der Freisetzung von Radioaktivität auch in einer Extremsituation unterstützt." Die gesellschaftliche und politische Stimmung lasse eine sachliche und ausgewogene Bewertung allerdings gar nicht mehr zu. Ausdrücklich lobte er den Auftritt von E.on-Vorstand Johannes Teyssen vor der Ethikkommission. Er hatte die Kernenergie als Brückentechnologie bezeichnet und angemerkt, dass eine zu kurze Brücke eine sinnlose Brücke sei.

Güldner betonte auch die wirtschaftliche Bedeutung der Kernenergie, sprach von Stromimporten, Blackouts und steigenden Energiepreisen. Bei einem Atomausstieg bis 2017 müsse im Jahr 2018 ein durchschnittlicher Haushalt um etwa 140 Euro höhere Ausgaben für Strom verkraften. Zudem würde der schnelle Ausstieg auch die Bedeutung der Erneuerbaren Energien senken, da "neue Kohle- und Gaskraftwerke die Lücken in der Stromproduktion füllen" müssen.

Zuletzt nannte Güldner auch ethische Gründe für einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Dazu gehöre die Generationengerechtigkeit in der Endlagerfrage. Diese gebiete es, dass das Endlager von der Generation gefunden werden müsse, die auch die Kernkraft nutzt. Ohne Endlager soll es also keinen Ausstieg geben. Entsprechend hält er auch an der Erkundung des aufgrund von Gaseinschlüssen erwiesenermaßen untauglichen Endlagers Gorleben fest. Güldner sprach sich auch gegen eine langfristige Rückholbarkeit der Abfälle aus, wie von der Ethikkommission gefordert. Dies laufe dem Konzept eines nachsorgefreien Endlagers zuwider. Außerdem sei eine Rückholung "mit entsprechendem Aufwand immer möglich" - auf die Probleme, die dabei in der absaufenden Asse auftreten, geht Güldner bei dieser Gelegenheit jedoch nicht ein.

Letztlich muss die Jahrestagung Kerntechnik also auch im Jahr 2011 nicht ohne politischen Teil auskommen. Doch statt mit Protagonisten wie Fleischhauer und Bolz zu polarisieren, übernimmt der Präsident des Atomforums selbst die Präsentation der Diskussionsrunden, die aufgrund ihrer Besetzung ohnehin zu vorhersagbaren Ergebnissen gekommen wären. Eines ist klar: ihre profitablen Kernkraftwerke wird die Branche nicht kampflos aufgeben.