Old Atze und der Schatz im Silbersee

Seite 2: Realismus verkauft sich nicht: Das Schnulzenkartell entsteht

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"Erschüttert und gerührt", schreibt Gustav Fröhlich, der Hauptdarsteller von Sag die Wahrheit, in seinen Memoiren (Waren das Zeiten, 1983), "vernahm man Brauners Schicksal. Er war glücklich, den ersten Schritt in das Medium Film tun zu können, das ihn von Kindertagen an leidenschaftlich begeistert hatte." Wie echt diese Filmleidenschaft auch gewesen sein mag: der Verdacht drängt sich auf, dass sie irgendwann zur Masche wurde. Brauner scheint viele, die anfangs widerstrebten, zur Zusammenarbeit überredet zu haben, weil er so beharrlich war und unermüdlich die gemeinsame Liebe zum Film beschwor. Wer jedoch in seiner Produzententätigkeit nach konkreten Beweisen für diese Liebe sucht, wird sich schwer tun (die "jüdischen Filme" sind ein Sonderfall). Und wer einen Vertrag mit ihm unterschrieb, ohne vorher das Kleingedruckte ganz genau studiert zu haben, war selber schuld. Brauner vertraute nur zwei Menschen: seiner Frau und seinem juristischen Berater.

Die erste CCC-Eigenproduktion hieß Herzkönig (1947) und war ein "entzückendes Lustspiel um eine königliche Liebe" (Werbetext) oder, anders gesagt, eine Kopie des Erfolgsrezepts von Sag die Wahrheit. Damit ist bereits ein Muster etabliert: Brauner hat immer gern das nachgemacht, womit andere Erfolg hatten, am besten mit identischem Personal. Für Herzkönig engagierte er den Regisseur, den Produktionsleiter, den Architekten und einige der Schauspieler von Sag die Wahrheit. Das zahlte sich aus. Brauner verdiente viel Geld mit Herzkönig. Dabei ist ihm der Hinweis sehr wichtig, dass er diesen auf Nummer Sicher gehenden Operettenfilm nur machte, um mit den Erlösen Morituri finanzieren zu können, sein eigentliches Herzensprojekt. Im Laufe seiner Karriere hat er das immer wieder betont: an rein kaufmännischen Gesichtspunkten ausgerichtete Unterhaltungsfilme stellt er deshalb her, weil das Publikum keinen Geschmack hat und er so die anspruchsvolleren Produktionen subventionieren kann. Im Fall von Morituri ist das insofern problematisch, als Herzkönig erst wenige Tage vor Beginn der Dreharbeiten Premiere hatte, die Gewinne demnach noch nicht zur Verfügung standen. Man ist gut beraten, bei Brauner-Aussagen die Chronologie im Blick zu behalten.

Bitte keine Opfer: Ein Film wird abgesetzt

Als Morituri (1947/48) fertig war, wurde Brauner mit der hässlichen Realität im Nachkriegsdeutschland konfrontiert. Der Film (einige Überlebende fliehen aus einem KZ in Polen in die Wälder und finden Zuflucht in einem Erdversteck) war eher versöhnlich, enthielt sich politischer Analysen, wies die These einer deutschen Kollektivschuld zurück und plädierte für die Völkerverständigung. Nach gutem Start häuften sich die Proteste eines Publikums, das vom Schicksal der Nazi-Opfer nichts wissen wollte. In manchen Städten erzwangen Randalierer die Absetzung des Films, in anderen wurde er gar nicht erst aufgeführt. Der Verleih sah sich gezwungen, Morituri aus dem Programm zu nehmen. Für Artur Brauner müssen solche Publikumsreaktionen, aus denen oft der blanke Hass gegenüber den Verfolgten sprach, ein Schock gewesen sein. "Ich habe es trotzdem nie bereut, diesen Film gemacht zu haben", sagt er. "Gelernt allerdings habe ich - leider, leider -, dass ein Kino in erster Linie eine Stätte der Unterhaltung sein sollte und keine Stätte der Vergangenheitsbewältigung."

An der Stabliste kann man ablesen, dass Brauner an Qualität interessiert war. Trotzdem ist Morituri kein guter Film geworden, eher eine Ansammlung von nicht zueinander passenden Stilelementen (von der deutschen Stummfilmästhetik bis zum italienischen Neorealismus) und guten Absichten, die sich selbst im Weg stehen, weil die Dramaturgie nicht stimmt. Was nüchtern und mit dokumentarischem Anspruch beginnt, endet leider mit Klischees und pathetischen Dialogen. Eine Stärke ist die Lichtsetzung. Brauner war sehr darum bemüht, für seine Prestigeprojekte hervorragende Kameramänner zu engagieren. Was möglich war, wenn man ein ästhetisches Konzept hatte und bis zum Ende durchhielt, zeigte der Regisseur Kurt Hoffmann mit dem Kriminalfilm Fünf unter Verdacht (1949). Bei den CCC-Produktionen der ersten Jahre blieb das leider eine Ausnahme.

Nach dem finanziellen Desaster mit Morituri, sagt Brauner, habe er fünf Jahre lang den Schuldenberg abtragen und deshalb viele Unterhaltungsfilme produzieren müssen. Einerseits wollte er gegen das Vergessen angehen; andererseits belieferte er das Publikum mit Heile-Welt-Geschichten wie Man spielt nicht mit der Liebe (1949), Maharadscha wider Willen (1950) oder Das Mädel aus der Konfektion (1951), die eben dieses Vergessen beförderten. Das ist zumindest widersprüchlich. Wer in der nur oberflächlich "entnazifizierten" westdeutschen Filmindustrie der Nachkriegszeit tätig war, konnte sich dieser Widersprüchlichkeit kaum entziehen. Für einen Produzenten jüdischer Herkunft, dessen Verwandte umgebracht worden waren, muss das besonders schwierig gewesen sein.

Die Welt steht Kopf

Mit Sag die Wahrheit investierte Brauner sein Geld in die Neufassung eines bis Kriegsende zu drei Vierteln fertig gestellten Lustspiels der Terra. Die Terra hatte für Goebbels neben vielen, scheinbar harmlosen Unterhaltungs- und einigen Propagandafilmen auch den antimsemitischen Hetzfilm Jud Süß hergestellt. Günter Regenberg, der in der Anfangszeit der der CCC neben Brauner als zweiter Geschäftsführer fungierte, war bei der Terra Produktionsleiter gewesen. Am deutlichsten wird die Kontinuität zwischen Vor- und Nachkriegsfilm durch Wolfgang Zeller, der für Jud Süß ebenso die Musik komponiert hat wie für Brauners Morituri. Andererseits blieb Brauner demonstrativ dem Gloria-Filmball in München fern, weil auch Veit Harlan eingeladen war. Das war mutig, denn die Gloria war mächtig und die CCC von ihr abhängig.

Hier eine aufschlussreiche Anekdote. In seinem Erinnerungsbuch Der Apfel fiel vom Stamm erzählt Gottfried Reinhardt, Regisseur von Vor Sonnenuntergang (1956), dass er für Hans Albers als Hauptdarsteller sehr kämpfen musste. Brauner wollte Albers eigentlich nicht haben, weil der in Goebbels’ Unterhaltungsfilmen mitgewirkt hatte. Es gab auch Stars wie Maria Schell, die deshalb nicht mit Albers vor der Kamera stehen wollten. Als aber während der Dreharbeiten der Berliner Filmball anstand (neben der Repräsentations- auch eine Verkaufsveranstaltung), sollte Reinhardt Albers überreden, sich an den Tisch von Brauners Studio zu setzen. Albers lehnte das mit der Begründung ab, dass er nicht daran denke, mit all den Stars und Starlets, die mit Goebbels geschlafen hatten, Feste zu feiern. Reinhardt: "Das verlangten der Jude Artur Brauner und der Halbjude Gottfried Reinhardt vom Nichtjuden Hans Albers zwar nicht, aber sie legten es ihm nahe. So kann sich die Welt auf den Kopf stellen."

Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Brauner ehrlich bemüht war, mit bestimmen Leuten nicht zusammenzuarbeiten. Er kann auch nichts dafür, dass man in Deutschland mehr als zögerlich war, die von Hitler vertriebenen Filmkünstler zurückzuholen, ein Produzent also notgedrungen auf Fachleute angewiesen war, die ihr Handwerk im "Dritten Reich" ausgeübt hatten und deren Weste nicht immer so weiß war, wie man gern glauben wollte. Aber seine häufig aufgestellte Behauptung, die Gewähr dafür bieten zu können, dass seine Mitarbeiter und seine Partner unbelastet seien, muss man relativieren. Wahrscheinlich war das gar nicht möglich.