Old Atze und der Schatz im Silbersee

Seite 3: "Little Hollywood" in der Giftgasfabrik: Brauner wird Studioboss

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein Fünftel der Herstellungskosten eines Films entfiel auf die Ateliermiete. Brauner wollte lieber selbst Studiobesitzer werden. 1950 mietete er vom Bund ein verwahrlostes Industriegelände mit ein paar verfallenen Gebäuden in Berlin-Haselhorst (bei Spandau), die er kostengünstig umbaute. Auch die Miete war sehr moderat, denn es handelte sich um eine ehemalige Giftgasfabrik. Das Gelände war verseucht. Es gibt sehr unterschiedliche Angaben darüber, wie umfangreich die Sanierungsmaßnahmen waren. Brauners Angestellte klagten jedenfalls schon bald über Augenbrennen, Kopfschmerzen und Übelkeit. In den ehemaligen Unterkünften der Zwangsarbeiter wurden die Dramaturgie und die Presseabteilung untergebracht. Die Arbeitszeiten richteten sich ganz nach den Erfordernissen der jeweiligen Produktion. Es gab Schichtbetrieb, Nacht- und Sonntagsarbeit, die Überstunden wurden pauschal vergütet. Einen Urlaubsanspruch oder Kündigungsschutz gab es nicht. Wenn man ihm das vorhielt, konterte Brauner mit dem Hinweis auf die Konkurrenzfähigkeit. In anderen Ateliers war es auch nicht besser.

Die Eröffnung der CCC-Studios war von einer PR-Kampagne begleitet, in der Brauner als der Garant für die Entwicklung der Filmstadt Berlin und als Sicherer von Arbeitsplätzen gepriesen wurde. Claudia Dillmann schreibt, dass in den 50er Jahren die Einnahmen aus einer Fremdproduktion ausreichten, um die Jahresmiete zu begleichen. Brauner konnte bald das angrenzende Freigelände erwerben. 1954 baute er neue Hallen, die in der Presse als die modernsten Filmateliers Europas gefeiert wurden. Das sollte man wieder relativieren, weil der Chef gern billig kaufte - wenn möglich: gebraucht. Es gibt einen Brief von Robert Siodmak an Brauner, in dem er ganz undiplomatisch die Punkte auflistet, die dem Regisseur einer CCC-Produktion die Arbeit schwer machen: "1.) ist es schwer, bei der CCC zu arbeiten, weil die technischen Einrichtungen, die ein Regisseur braucht, weit unter dem Durchschnitt sind." Brauner sträubte sich auch dagegen, in Schallschutzmaßnahmen zu investieren. Mit zunehmendem Luftverkehr wurde das immer mehr zum Problem. Die Ateliers standen in der Einflugschneise des Flughafens Tegel.

Atze Brauners Geschäftsgebaren war nicht, wie viele insgeheim dachten, "typisch jüdisch" (was immer das sein soll). In ihm sah sich die bundesrepublikanische Gesellschaft selbst. Er war ein für die Adenauerzeit nicht untypischer Geschäftsmann - mit Methoden, die heute wieder sehr aktuell sind. Als Produzent und Studiobesitzer verdiente Brauner doppelt. Obwohl er immer klagte, kurz vor dem Ruin zu stehen, blieb noch etwas Geld, das er in Immobilien steckte, vom steuerbegünstigten sozialen Wohnungsbau bis zu Luxusobjekten am Kurfürstendamm (in den 90ern wurde sein Vermögen auf eine Dreiviertel Milliarde Euro geschätzt). Er überzeugte die Berliner Banken von den Vorteilen einer langfristigen Zusammenarbeit, was ihm günstige Kredite verschaffte. Ein großes Plus war seine Schnelligkeit. Während bei Konkurrenten wie der Bavaria Entscheidungen erst vom Aufsichtsrat abgesegnet werden mussten, bestimmte er spontan und nach Möglichkeit allein. Wenn er rasch Geld brauchte, hatte er die Immobilien als Sicherheit. Bundesbürgschaften nahm er nur zögerlich in Anspruch, weil damit Abhängigkeiten verbunden waren. Weniger zögerlich war er im Umgang mit dem Berliner Senat. Er drohte in regelmäßigen Abständen damit, sein Studio zu schließen und die Angestellten zu entlassen, wenn ihm keine neuen Abschreibungsmöglichkeiten, Steuernachlässe, eine Senkung des Selbstbehalts des Produzenten von 15 auf 10% (das ist der Teil der Herstellungskosten, den er selbst aufbringen muss) und sonstige finanzielle Vorteile gewährt wurden. Damit kam er sehr oft durch.

Der erfolgreichste Produzent der 50er

Die 50er sind kein Ruhmesblatt des (west)deutschen Kinos, aber ganz so schlimm, wie sie in den Filmgeschichten meistens gemacht werden, waren sie auch wieder nicht. Rosen blühen auf dem Heidegrab und Der Cornet (zwei Geheimtipps), Die letzte Brücke, Die Halbstarken, Das Mädchen Rosemarie, Wir Wunderkinder oder Die Brücke sind heute noch sehenswert. An CCC-Produktionen fällt einem wenig ein. Oft genannt wird Der brave Soldat Schwejk (1960). Selbstverständlich lief der Film auch in der Retrospektive, die das Berliner Zeughaus-Kino Brauner zum 90. gewidmet hat. Dieses Werk, heißt es im Programmtext, habe Heinz Rühmann "die Rolle seines Lebens" beschert. Das grenzt an Rufschädigung. Ein viel zu alter Rühmann böhmakelt sich durch eine Militärklamotte, die nichts von der Qualität der Romanvorlage erahnen lässt.

Zum Glück gibt es noch Rühmanns Kommissar Matthäi in Es geschah am helllichten Tag (1958). Diese noch immer sehr eindrucksvolle Verfilmung eines Drehbuchs von Friedrich Dürrenmatt entstand allerdings zu großen Teilen in der Schweiz, unter der Federführung eines anderen Produzenten und einer anderen Firma. Robert Siodmaks Gerhart-Hauptmann-Adaption Die Ratten gewann für die CCC den Goldenen Bären und ist "ein Leuchtturm im deutschen Film der 50er Jahre" (Programmtext). Man kann auch sagen: Der Film ist ein technisches Bravourstück, entschlossen am fehlbesetzten Star Maria Schell vorbeiinszeniert. Viel besser ist Nachts, wenn der Teufel kam. Siodmak hat ihn für eine andere Firma gemacht, als Regisseur und Produzent in Personalunion.

Ein Studio bedeutete fixe Kosten. Die Auslastung seiner Ateliers stand für Brauner daher an erster Stelle. Im November 1957, als der Spiegel seine Titelgeschichte über ihn brachte, produzierte die CCC mehr Filme als jede andere deutsche Firma. Ein guter Studioboss, schreibt Siodmak in seinen Memoiren (Zwischen Berlin und Hollywood), sei einer, der sich seine Mitarbeiter sorgfältig aussucht und die Arbeit delegiert. Atze Brauner war das nicht gegeben. Er machte am liebsten alles selbst. Brauner rechnete die Kostenpläne durch, suchte nach Einsparmöglichkeiten, schrieb eigene Drehbücher (unter Pseudonym) und änderte die von anderen Autoren. Weil er das mit mehreren Büchern gleichzeitig tat, waren sie selten richtig durchgearbeitet. CCC-Produktionen waren unterkalkuliert, die Drehpläne zu knapp bemessen. Da die Filme aber doch irgendwie fertig wurden, sparte Brauner Geld. Dazu eine Anekdote: Bei Dreharbeiten wurde von einem Bauern eine Kuh gemietet. Am Abend sollte sie zurückgebracht werden. Brauner kam vorbei, sah das volle Euter und befahl: "Erst melken!" Der Regisseur Gottfried Reinhardt: "Brauner versteht mehr vom Melken als vom Filmemachen."

Brauners Autobiographie endet mit einem Geständnis: einmal im Leben, schreibt er, würde er gern selbst Regie führen - und tut so, als habe er sich stets vornehm zurückgehalten. Da ist er wieder ganz der Fan und der Freund der Filmkunst. Andererseits spricht er immer davon, dass er "filmt" - und nicht davon, dass er einen Film produziert. Sprache ist verräterisch. Seine Regisseure mussten darauf gefasst sein, dass er plötzlich im Atelier auftauchte. Die Muster kontrollierte er sowieso. Wenn die Dinge nicht so liefen, wie Brauner es sich vorstellte, griff er ein. Künstlerische Freiheit gestand er keinem zu. Dazu ein Telegramm von Robert Siodmak an die CCC (17.9.1956): "Habe soeben erfahren, dass Sie Nachaufnahmen ohne mein Wissen gemacht haben, Doktor Joseph wird einstweilige Verfügung beantragen. Siodmak." Seine Eingriffe rechtfertigte Brauner damit, dass schließlich er es sei, der sein Vermögen aufs Spiel setze. Darum ist es wichtig, wie die Filme finanziert wurden. Diese Finanzierung ist vor allem eins: undurchsichtig.

Wer zahlt schafft an

Es gab Verleihfirmen wie die Gloria, die schnell und ohne Risiko viel Geld mit amerikanischen Kassenschlagern verdient hatten. Diese Firmen gaben den Produzenten eine Verleihgarantie: garantierte Einspielergebnisse bis zu 80% der kalkulierten Herstellungskosten. Mit dieser Garantie erhielt man Bankkredite. Produzenten waren bemüht, nicht mehr als 20% der Kosten aus eigenen Mitteln beizusteuern; wenn man geschickt war, konnten es auch weniger sein. 40% des Einspielergebnisses (brutto) gingen an den Verleih. Davon wurden Steuern, Unkosten und "Spesen" abgezogen. In diesen Spesen, rund 30%, steckte der eigentliche Verdienst für den Verleih (Brauner hat sich immer über die vielen Toilettenfrauen beklagt, die in den Abrechnungen erschienen). Das restliche Geld erhielt der Produzent. Was nach der Begleichung von Rechnungen und Krediten übrig blieb, war der Gewinn. Der Produzent musste ihn sich mit dem Verleih teilen.

Klingt kompliziert? Ist es auch. Rechenkünstlern bot das System viel Raum für Tricksereien. Einfacher war die Berechnung der "Handlungsunkosten". Das war die Summe, die der Produzent unabhängig davon verdiente, wie viele Kinokarten verkauft wurden: 7,5% der Herstellungskosten. Stoffwahl, Mittelzuteilung und Besetzung wurden also von Faktoren dominiert, die mit künstlerischen Überlegungen wenig zu tun hatten. Wenn der Produzent auch Studiobesitzer war, ging die Rechnerei gleich wieder los. So wie Brauner nicht an die Toilettenfrauen glaubte, zweifelte mancher Geschäftspartner an der Korrektheit der CCC-Abrechnungen; Brauners stetig wachsender Immobilienbesitz nährte den Verdacht, dass er dort einen Teil der Gewinne versteckte.

Im Mai 1956 vereinbarte Robert Siodmak mit Brauner eine Erfolgsprämie für den Fall, dass der Film Mein Vater, der Schauspieler die Produktionskosten von 1,1 Millionen DM nicht übersteigen würde. Siodmak war der Meinung, das geschafft zu haben. Im Mai 1958 erhielt Otto Joseph, sein Anwalt, von der CCC die Mitteilung, dass der Film insgesamt 1.353.000 DM gekostet habe. Statt sich auf Gewinnbeteiligungen einzulassen, verlangte Siodmak von da an eine deutlich höhere Gage. Das wiederum dürfte Brauner erbost haben, der sich ohnehin von Leuten umgeben sah, die immer nur sein Geld wollten oder sein Geld verschleuderten, weil es nicht das ihre war. In seiner Autobiographie ärgert er sich über Angestellte, die den Bindfaden zerschneiden, mit dem Pakete verschnürt sind ("eine Vergeudung wertvollen Materials"). Das klingt nach Bodenhaftung und nach dem Stoff, aus dem die Wirtschaftswunderkarrieren gemacht sind, war aber sicher nicht so lustig, wenn man persönlich betroffen war.

Das Kürzel CCC, meinte Siodmak, stehe für Cahlt Ciemlich Cögerlich. Die Künstlerkammer des Berliner Arbeitsgerichts konnte davon ein Lied singen. Brauner war dort Dauerkunde. Er prozessierte gegen die Schauspieler Pola Negri, Barbara Rütting, Nadja Tiller, Curd Jürgens, Sonja Ziemann, Sabine Sinjen, Paul Hubschmid und Bernhard Wicki, die Regisseure Max Nosseck, Gottfried Reinhardt und Paul Martin sowie viele andere. Dabei scheint es mehr um ein Prinzip als um die Höhe des Betrags gegangen zu sein. Lex Barker erstritt 100.000 DM, als Brauner aus einem Film zwei machte, aber nur eine Gage bezahlen wollte. Der Choreograph von Stern von Rio musste klagen, um - wie vertraglich vereinbart - seine Hotelrechnung erstattet zu bekommen (1.987,85 DM). "Trotz seines mit Konferenzen, Diktaten und Telephonaten überladenen Arbeitstages", schrieb 1957 der Spiegel über Brauner, "nimmt er sich stets Zeit, seine Klagen und Plädoyers selbst dem Gericht vorzutragen und die Richter zu beschwören, nicht seinen Ruin zu verschulden und ihm doch um Firma, Frau und Kindes willen seine Gelder zu belassen." Daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben.

Immer Ärger mit den anderen: Die Abhängigkeiten eines "Unabhängigen"

Der Unternehmer Artur Brauner bewies Weitsicht, als er schon sehr früh die Kooperation mit der Gloria suchte. In den 50ern wurde diese Firma zum mächtigsten Filmverleih in Deutschland. Eine Verleihgarantie - der wichtigste Faktor bei der Finanzierung eines Kommerzfilms - gab es jedoch nicht umsonst. Die Gegenleistung war ein Mitspracherecht bei Titel und Musik, bei Besetzung, Schnitt und Ton. Ein Produzent musste Abweichungen vom Drehbuch vom Verleih genehmigen lassen, und wenn ein Film fertig war, konnte der Verleih die Abnahme verweigern. Das ist der wahre Grund, warum Brauner konsterniert war, als Ilse Kubaschewski seinen Film Via Mala, obwohl "original nach dem Buch gedreht", nicht mochte - und nicht, wie er in seiner Autobiographie schreibt, weil die "liebe Ilse … eine untrügliche Nase für das hatte, was man den Publikumsgeschmack nennt". Die liebe Ilse war die Chefin der Gloria und bestimmte entscheidend mit, was dem Publikum zu gefallen hatte (= was im Kino lief und was nicht). Entsprechend war Brauners Reaktion: "Was sollten wir machen? Etwas nachdrehen? Etwas schneiden? Die Musik verstärken? Die Musik zurücknehmen?" Vor Ilse Kubaschewski zitterten die Produzenten.

Für Die Ratten fand Brauner erst einen Verleih, als Maria Schell bereit war, die Hauptrolle zu übernehmen (eine der vielen Fehlbesetzungen in Brauners Oeuvre). Üblich war das Blind- und Blockbuchen. Wenn ein Verleih seine Garantie für einen Film gegeben hatte, vermietete er ihn an die Kinobetreiber. Da der Film noch nicht gedreht war, orientierten diese sich an den Stars. Maria Schell war ein großer Star. Wer ihr neuestes Werk buchen wollte, musste ein ganzes Paket von anderen Filmen mit dazu mieten. Das half wiederum dem Produzenten und den Stars, die - anders als in Hollywood bis zum Zusammenbruch des klassischen Studiosystems Ende der 1950er - nicht durch langfristige Verträge an eine bestimmte Firma gebunden waren. Ihre für einzelne Filme geschlossenen Verträge enthielten zahlreiche, oft unklar formulierte Zusatzvereinbarungen, mit denen sich dann der Regisseur herumschlagen musste. Die Stars redeten beim Drehbuch mit, bei der Auswahl von Filmtitel, Regisseur, Masken- und Kostümbildner, Standphotograph, Schnitt, Beleuchtung, der Zahl der Großaufnahmen usw. Wenn ein Star der Meinung war, dass er in einer Einstellung unvorteilhaft aussah, konnte er darauf bestehen, dass neu gedreht und umgeschnitten wurde. Im CCC-Archiv, das im Filmmuseum in Frankfurt a. M. aufbewahrt wird, finden sich dazu interessante Dokumente.