Operation Anaconda: Kriegspropaganda
Ob der bislang größte US-Militäreinsatz tatsächlich trotz des Abwurfs von Tausenden von Bomben solch ein Erfolg war, kann bezweifelt werden - aber Erfolge sind notwendig
Wohl kaum jemand wird wirklich den offiziellen Verlautbarungen von Kriegsparteien wirklich Glauben schenken (Rumsfeld: Pentagon lügt nicht). Gleichwohl ist erstaunlich, wie sehr das Pentagon noch immer auf Propaganda und das Kurzzeitgedächtnis der Menschen setzt - und die Medien, die aktuell berichten wollen/müssen, können meist nicht sehr viel mehr weiter geben als Mitteilungen und Gerüchte. Der jüngste Fall ist die "Operation Anaconda", der größte Kampf mit Beteiligung amerikanischer Bodentruppen in Afghanistan - und auch für die USA der bislang verlustreichste. Hunderte von al-Qaida- und Taliban-Kämpfer sollen getötet worden sein, wurde gemeldet, was den Erfolg der Militärmaschine der USA demonstrieren sollte. Bestätigen ließ sich das bislang nicht, alles sieht eher danach aus, als ob die größte Kampfhandlung ein Flop gewesen sei.
Auffällig war, dass zu Beginn der Kämpfe in Schah-i-Kot erst einmal von 100 oder 200 Kämpfern die Rede war. Als dann der Tod amerikanischer Soldaten gemeldet werden musste, kämpfte man dann mindestens schon gegen 1000 bis aufs äußerste entschlossene Gegner, die bestens ausgerüstet waren, und tötete auch "Hunderte" von ihnen, auch wenn man schon damals nicht gerne den Erfolg von der Menge der getöteten Feinde abhängig machen wollte. General Richard Myers meinte denn auch im Beisein von Verteidigungsminister Rumdsfeld: "While we've hit resistance, there should be no doubt about the outcome in this case. The only choices for al Qaeda are to surrender or to be killed." Schon bald kamen dann allerdings Berichte, dass die Kämpfer der afghanischen Verbündeten oder Söldner nur von wenigen Toten sprachen und behaupteten, die meisten der Gegner seien geflohen.
Verteidigungsminister Rumsfeld versuchte sich im Hinblick auf den "Erfolg" der Operation Anaconda bedeckt zu halten, bei der zeitweise über 1000 US-Soldaten einer unbekannten Zahl von Kämpfern gegenüberstanden und die US-Flugzeuge in Hunderten von Flügen Tausende von Bomben über dem 50 Quadratkilometer großen Gelände abgeworfen hatten: "There are clearly a lot of people willing to guess at those numbers. I'm not one of them." Andere Angehörige des US-Militärs hatten aber von "mehreren hundert Toten" gesprochen. Wirklich gefunden wurden offenbar bislang weniger als 20 Leichen, gefangen genommen worden sind angeblich unter 30 Menschen. Rumsfeld versucht jedenfalls, alles offen zu halten und spekuliert, dass vielleicht viele der Toten noch in den Höhlen liegen oder bereits begraben wurden. Wenn sie denn begraben wurden - die Geschichte der angeblich 300 bestellten Särge -, dann müssten aber auch die Menschen vorhanden gewesen sein, die in aller Ruhe Särge "bestellt" und die Toten begraben haben, um anschließend zu verschwinden. Wenn daher die Pentagon-Sprecherin Torie Clarke auf einer Pressekonferenz zum erfolgreichen Ende der Operation Anaconda gestern sagte: "It's just not going to be very useful to put a number to it", so lässt sich das durchaus doppeldeutig verstehen.
Ungern sieht man im Pentagon auch die Berichte der Mitstreiter aus Afghanistan, die behaupten, dass die meisten der Taliban- oder al-Qaida-Kämpfer entkommen seien. Die Grenzen sind nicht dicht, einige mögen schon geflohen sein, so Clarke, aber keinesfalls viele: "but if they have it's been in the ones and twos." Auch Saif Mansour, der die Kämpfer befehligt haben soll, konnte nicht gefasst werden.
Die Geschichte mit Schah-i-Kot ähnelt der von Tora Bora im Dezember des letzten Jahres. Auch hier gab es ein gewaltiges Bombardement, man vermutete Bin Ladin oder andere hohe al-Qaida-Führer in dem Höhlensystem und man heuerte afghanische Warloards an, um beim Kampf am Boden zu helfen. Geld könnte aber neben möglichen Sympathien der Bevölkerung und der Tendenz der Afghanen, einen Waffenstillstand mit freiem Abzug zu vereinbaren, in beiden Fällen eine Rolle gespielt haben, dass so vielen die Flucht gelungen ist. Wenn es denn stimmt, was der Christian Science Monitor berichtet, so verfügten die al-Qaida-Kämpfer über viel Geld und konnten so Einheimische bezahlen, um heimlich nach Pakistan geschleust zu werden. Alleine von einem Dorf aus sollen zwischen 28.11. bis 12.12. 2001 600 Menschen aus Tora Bora herausgebracht worden sein. Überdies soll ein afghanischer Leutnant, der einen Fluchtweg im Auftrag des Kommandeurs Hazret Ali bewachen sollte, mehr Geld von den fliehenden al-Qaida-Kämpfern erhalten haben als von Ali. Deswegen soll er diesen den Weg nach Pakistan beschrieben haben.
Um möglicherweise etwas vorweisen zu können, wurden am Sonntag 16 Menschen vom amerikanischen Militär getötet, die in drei Fahrzeugen saßen und angeblich Warnschüsse erwidert hatten. Unterstellt wird, es könne sich um Fliehende handeln, Genaueres bleibt man aber schuldig. Am 6. März hatte man bereits durch den Beschuss eines Wagens 14 Menschen getötet, darunter Frauen und Kinder. Das US-Militär meinte, man wisse zwar nicht, ob es sich dabei wirklich um Taliban oder al-Qaida-Angehörige gehandelt habe, aber es sei auf jeden Fall ein "good target" gewesen.
Das Mysterium bleibt, wo die Überlebenden der Materialschlacht geblieben sein sollen, wenn es denn wirklich bis 1000 oder mehr Kämpfer gewesen sein sollen und nicht nur eine Handvoll. Tausende von Bomben - über 3.000 - haben amerikanische und französische Flugzeuge über der Region abgeworfen. Bis zum 12. März sind nach Angaben des Pentagon 2.500 Bomben abgeworfen worden. Auch neuere Bombentypen wie die thermobarischen Bomben wurden eingesetzt (War Games 2002) - und der ganze Aufwand womöglich nur, um einige Dutzend feindlicher Kämpfer zu besiegen? Lässt sich das wirklich als "an unqualified success" bezeichnen, wie dies General Franks gemacht hat, um die Effizienz des US-Militärs hervorzuheben und medienträchtig Medaillen zu verleihen?
Wie Präsident Bush nicht müde wird zu betonen, stehe man "mitten in Kampf", der auch in Afghanistan weiter gehen werde. Das amerikanische Volk müsse "geduldig" bleiben. Und um diese Geduld zu bewahren sowie die geforderten Erhöhungen des Verteidigungsetats zu erhalten, müssen natürlich auch die Operationen erfolgreich sein. Bush überschlug sich denn auch im Anpreisen der erfolgreichen Operation Anaconda, während er gleichzeitig gestern wieder Saddam Hussein und der übrigen "Achse des Bösen" drohte:
"I feel like we've got a lot more fighting to do in Afghanistan. First of all, we were successful in Operation Anaconda. I want to thank our troops, our brave troops, for fighting in incredibly tough terrain, and against difficult circumstances. And the difficult circumstances were not only the terrain, it was the fact that we were fighting against an enemy that refuses to surrender. These are people that are there to die. And we accommodated them."
Ob tatsächlich einmal Klarheit über die Operation Anaconda erlangt werden wird, darf bezweifelt werden. Müßig ist auch, sollte keine unabhängige Untersuchung stattfinden, über die Opfer oder die Zahl der Geflüchteten genauer zu spekulieren. Sollten sich die bislang bekannten Zahlen aber auch nur in etwa erhärten, so gibt es zumindest ein auffälliges Missverhältnis zwischen der eingesetzten militärischen Kraft und der Stärke oder Zahl der Gegner. Anders ausgedrückt: Die bislang so hochgelobte Hightech-Militärmaschine versagt, wenn ihr keine größeren Verbände gegenüberstehen, die sich durch Flächenbombardements auslöschen lassen, sondern nur kleinere Gruppen, die ihre Stellungen nicht wirklich nachhaltig verteidigen, sondern sich in kleinen Gruppen schnell zerstreuen und neu formieren. Das wäre natürlich keine neue Erkenntnis, denn nicht zuletzt in Vietnam und auch in Afghanistan haben die hochgerüsteten Truppen der Supermächte den Kampf gegen die Guerilla aufgegeben. Aber es wäre möglicherweise eine Erkenntnis, die dem "Krieg gegen den Terrorismus", wie ihn sich die Bush-Regierung auch als politisches Mittel vorstellt, nicht so dienlich wäre wie heroische Soldaten, erfolgreiche Militärtechnik und große Siege.