Opfer der Infogesellschaft

Seite 2: Datensätze im Angebot

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Somit liefern wir einem Angreifer alles, was nötig ist, um Aktionen erfolgreich durchführen zu können: Lebensgewohnheiten und Objektschutzdaten der Zielperson und noch dazu eine Liste derjenigen, die die Aktion durchführen könnten. Und sollte wider Erwarten doch noch was unklar sein, wird’s die e-Kakerlake aufklären.

Nochmal zu PATRAS: Der kontrollsüchtige Bundesbeamte ist Anfang Januar 2012 aufgeflogen und hat dabei andauernde Schwächen im Sicherheitskonzept der Sicherheitsbehörden offengelegt. Wenige Tage später verlangte BKA-Präsident Jörg Ziercke erneut nach der Vorratsdatenspeicherung.

Beispiel Gesundheit:
Nicht nur die Strafverfolger, auch die Gesundheitspolitiker versuchen seit Jahren, die Menschen mit den Segnungen der Informationstechnik zu beglücken: Das Gesundheitswesen soll papierlos werden - nur noch Daten sollen zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden. Dazu müssen die Patientendaten aus den Schränken in die PC gelangen - was allein schon schwierig genug ist.1

Das ist aber noch nicht alles: Professor Hartmut Pohl, Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises "Datenschutz und IT-Sicherheit" der Gesellschaft für Informatik fürchtete Mitte April um die Sicherheit der internetbasierten zentralen Infrastruktur: "Theoretisch kann jedermann von überall auf der Welt auf die Server zugreifen."

Das wäre für die Datenhändler praktisch - im Februar wurde gemeldet, dass Apothekenrechenzentren schwunghaften Handel mit Verschreibungsdaten getrieben haben sollen. Diese Aussicht hinderte jedoch den Geschäftsführer der Gematik Arno Elmer nicht daran, wenige Tage später anzukündigen, das Ausschreibungswettbewerb um die beiden Testregionen bis Jahresende abzuschließen, in denen die Online-Fähigkeit der neuen Karte überprüft werden soll.

Beispiel öffentliche Verwaltung:
Womöglich haben sich die innovativen Rechenzentren ein Beispiel an innovativen Behörden genommen. Der Rhein Hunsrück Kreis wurde von der Rheinland Pfälzischen Landesregierung 2010 für sein 1000-Dächer Programm gefeiert:

In dem Projekt sollen alle Dachflächen im Rhein-Hunsrück-Kreis auf ihre Geeignetheit zur Nutzung für Photovoltaik-Anlagen erfasst und untersucht werden. Mittels eines speziellen EDV-Programmes wird zunächst ein Dachflächenkataster für Solaranlagen erstellt.

Das Projekt sollte nach Meinung der Regierung Beck Vorbild für andere Kommunen des Landes sein. Dem Spiegel zufolge hat der Kreis 40.000 Euro allein von den Volks- und Raiffeisenbanken für den Vorabzugriff auf die Daten erhalten.2

Das Kraftfahrtbundesamt bot früher für 10.000 Euro Datensätze mit 150 Haushalten an, in denen die zugehörigen Fahrzeugpräferenzen und die Reifengröße erfasst wurden. Einer der Kunden scheint die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) zu sein.

Die Kölner Bezirksregierung wirbt: "Die amtlichen Hauskoordinaten definieren die genaue Position von knapp 21 Mio. adressierten Gebäuden bundesweit. Datenquelle ist das Liegenschaftskataster der Länder und somit das amtliche Verzeichnis aller Flurstücke und Gebäude in Deutschland." Preise will die Behörde aber nur auf Anfrage nennen - der Spiegel behauptet, die Käufer müssten 100.000 Euro für den Datensatz hinblättern. Zusätzliche KFZ-Infos kosten extra.

Über Daten verfügt auch die Bundesagentur für Arbeit. In einem Aufsatz des Statistischen Bundesamts berichtete die Autorin von einem frisch geschlossenen Vertrag der Bundesagentur mit den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder. Dieser regele:

  • Übermittlung von Daten der Beschäftigtenstatistik durch die Bundesagentur für Arbeit
  • Zugriff der statistischen Ämter auf die Datenbank der Bundesagentur für Arbeit
  • Kosten
  • Statistische Geheimhaltung und Schutz der Sozialdaten
  • Veröffentlichungsumfang und Kostenregelungen bei Abgabe von Ergebnissen an Dritte
  • Bildung einer neuen Arbeitsgruppe sowie Kündigung, Änderung und Inkrafttreten des Vertrages.

Sollten die Unternehmen noch Fragen haben, steht ihnen der Staat hilfreich zur Seite. Das amtliche statistikportal.de wirbt:

Unternehmen und Behörden können damit ihre statistischen Daten auf effiziente Weise online via Internet an die amtliche Statistik übermitteln.

Der Spiegel schlußfolgert: "Dealt der Staat mit Daten, scheint der Zweck alle Mittel zu heiligen. In fast jeder Behörde fallen nützliche Informationen für Datenhändler ab."

Der Staat verkauft aber nicht nur Daten - er tritt auch selbst als Käufer auf - siehe Steuer-CD. Eine Kommunalpolitikerin aus Nordrhein-Westfalen wurde zu Unrecht verdächtigt 400.000 Schweizer Franken beim Bankhaus Julius Bär angelegt zu haben. Sie bemüht sich um eine entsprechende Bescheinigung der Bank - die die aber nicht abgeben will - schließlich sei die Frau keine Kundin.

Ich halte es für problematisch, wenn der Staat Geschäfte mit Kriminellen macht und von den Unbescholtenen dann verlangt, sich für die Behauptungen der Kriminellen zu rechtfertigen.

Es ist perfide, den Bürger zu verpflichten, sich bis aufs Bit zu entblößen, damit sein digitales Alter Ego anschließend verhökert werden kann. Offenbar ist sich die Politik der Risiken für die persönliche Sicherheit von Menschen durchaus bewußt ist: Der Entwurf des geplanten Melderechts sieht in §51 eine "Auskunftssperre" vor, falls der betroffenen Person "eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann". Das klingt nach einem Freibrief für die Mächtigen und könnte noch dazu der Bestechung Tür und Tor öffnen.

Eine neue Dimension

Es wirkt darüber hinaus recht heuchlerisch, wenn die Politik unter diesen Umständen den Finger gegen Google und Facebook erhebt. Seine moralische Autorität, den angeblichen Datenhandel bei den Apothekenrechenzentren juristisch aufzuarbeiten, hat der Staat mit seinem eigenen Auftritt als Datenhändler gänzlich verloren.

Der Mikrozensus vom vergangenen Jahr behauptet, die Angaben aus der Befragung würden "grundsätzlich geheim gehalten. Sie dürfen nur für statistische Zwecke verwendet werden".

Das Institut für Europarecht an der Universität im Schweizerischen Freiburg scheint von solchen Sprüchen nicht überzeugt zu sein. In einem Bericht im Auftrag des Bundesamts für Justiz schreiben die Wissenschaftler:

Die gesammelten Informationen können immer besser ausgewertet werden, denn auch die technischen Möglichkeiten, mit denen grosse Datenbestände analysiert und Datensätze miteinander verknüpft werden können, werden immer ausgefeilter (Stichwort 'Data Mining'). Damit können aus unterschiedlichen Datensätzen Informationen gewonnen werden, die sich aus den einzelnen, isolierten Daten nicht ergeben.

Die interviewten Experten weisen darauf hin, dass die Algorithmen zur Auswertung von Informationen mittlerweile auch Bilder, Videos und Audiodateien umfassen können. Es besteht somit die Möglichkeit, unterschiedlichste, im Einzelnen womöglich wenig sensible Informationen zueinander in Beziehung zu stellen und dadurch aussagekräftige Persönlichkeitsprofile zu erstellen.

Eine Kostprobe dazu - der "Stern" schrieb vor Jahren nach einem Probekauf beim Datenhändler Schober: "Ute F. ist über 60 Jahre alt. Sie wohnt im feinen Hamburger Stadtteil Eppendorf, nahe der Außenalster, in einem schönen Gründerzeitaltbau, gehobene Wohnlage. Sie ist wohlhabend und interessiert sich für Haushalt, Garten, Reisen. Und sie nimmt ab und zu an einem Gewinnspiel teil".

Die entsetzte Reaktion der Betroffenen, nachdem die Autoren sie mit ihren Erkenntnissen aus dem Einkauf konfrontiert hatten: "Löschen Sie das sofort wieder. Woher haben Sie das alles?"

Dieser Wunsch ist Schober wohl entgangen. Der Datenhändler bietet in seinem Adressen-Shop noch heute Daten von 1.655 alleinstehenden, in Altbauten lebenden, älteren Damen mit sehr hoher Kaufkraft-Prognose aus Hamburg feil. Kostenpunkt: 1.092,30 Euro. Wer zusätzlich die verfügbaren Telefonnummern will, muß 127,92 Euro extra hinlegen. Die "Zeit" stellte schon 2006 fest:

Nun jedoch kommt eine neue Dimension ins Spiel: die Verknüpfung der Daten mit digitalen Stadtplänen und Landkarten, in die man hineinzoomen kann wie der Spanner mit dem Fernglas in einen FKK-Strand. 'Geomarketing' nennt sich das, wenn abstrakte Zahlenkolonnen zu begehbaren Kundenlandschaften werden.

Das Bild der begehbaren Kundenlandschaft macht das Interesse des Datensammlers deutlich, alle Informationen zusammenzuraffen, derer er habhaft werden kann - es kann ja sein, dass sich mit der zusätzlichen Information künftig neue Wege gehen lassen. Die Freiburger Wissenschaftler formulieren das so: "Von diesen ver-besserten Analysemöglichkeiten geht zudem der Effekt aus, dass es für Datenbearbeiter Sinn macht, möglichst viele Daten zu sammeln: Einerseits stellt der Speicherplatz keine Restriktion mehr dar; andererseits können Informationen, die heute noch nicht sinnvoll bearbeitet werden können, in Zukunft für die Bearbeiter von grossem Nutzen sein."

Was das bedeuten könnte, geht aus Forschungsergebnissen von zwei US-Amerikanischen Universitäten hervor. Sie wollen eine 50 Gigapixel Kamera entwickelt haben, wie das Onlinemagazin "redOrbit" berichtet. In fünf Jahren soll das Teil marktreif sein.

Was stellt man mit 50 Gigapixel an? Zum Beispiel könnte man - so der Bericht - eine Landschaftsaufnahme machen und darauf einen Marienkäfer auf einem einzelnen Blatt erkennen. Häufig werde der Fotograf Dinge aufnehmen, die er selbst nicht sehen könne, sondern erst entdecken werde, wenn er das Foto später betrachtet.

Kate Middleton sollte also künftig besser Handschuhe tragen. Sonst könnte die Boulevardpresse womöglich eines Tages ein Foto mit einem Leberfleck veröffentlichen und über Hautkrebs spekulieren. Prominente haben jedenfalls allen Grund, sich vor den "unvorstellbaren Werkzeugen der Transparenz" in Acht zu nehmen.

Diese Ausgabe von JJ's Datensalat entstand nach einem Vortrag des Autors im Landtag Rheinland Pfalz