Pakistan: Der riskante Kurs von Imran Khan
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Schon im Januar drohte Imran seinen Gegnern, auf der Straße gefährlicher zu sein als im PM-Sessel. Dieses Versprechen setzte er, im Gegensatz zu vielen anderen, in die Tat um.
Seit seiner Amtsenthebung (und schon Monate davor) ist der nun über 70jährige auf den staubigen Straßen und Plätzen unterwegs und hält täglich mehrere Reden. Allein unter was für natürlichen Umständen – im Frühjahr wurde das Land von einer Hitzewelle überrollt, im Sommer von Monsunfluten.
Jüngere und fittere Menschen hätten dieses Pensum kaum durchgehalten, aber Imran Khan, der sich vermutlich vorkommt wie im Cricket Stadion und als Schlagmann versucht, die vorgelegte Anzahl der Runs des Gegners einzuholen, ist noch nicht fertig.
Dabei ist die einzige richtige Forderung der PTI nicht spektakulär. Die neue Regierung unter Shahbaz Sharif will die nächsten Nationalwahlen zu ihrem vorgesehenen Termin abzuhalten, fünf Jahre nach den letzten: Mitte August 2023. Für sie ist der Wechsel der Regierung keine Unterbrechung der Legislaturperiode und so sehen das Wahlgesetz und Rechtsprechung.
Die PTI fordert dagegen die sofortige Auflösung des Parlaments und Neuwahlen innerhalb von 90 Tagen. Mittlerweile liegt dieser Termin noch 5 Monate vor dem regulären. Soviel Zeit ist normalerweise in Pakistan.
Ganz andere Qualität hat, was der Kaptaan sonst seinen Gegnern und ehemaligen Gönnern von der Armee vorwirft und geradezu um die Ohren haut. Noch nie ist die Schattenrolle der Streitkräfte so ins Licht der Öffentlichkeit gezogen und Ziel von Anschuldigungen geworden.
Das ISPR (Inter Service Public Relation, das Presseamt der Streitkräfte), geführt von General Babar, muss fast täglich Stellungsnahmen abgeben und Vorwürfe zurückweisen. Unverhohlenes Gelächter und beißender Sarkasmus ertönte ungestraft in den Sozialen Medien, als Babar Anfang April behauptete "Pakistan's army has nothing to do with politics". "Neutral" wurde innerhalb von Tagen zum Synonym für die Verlogenheit der Armee.
Der mittlerweile pensionierte Oberbefehlshaber der Armee, General Qamar Javed Bajwa, der de facto mächtigste Mann im "Land der Reinen", musste die Schmach über sich ergehen lassen, dass kurz vor seinem Abtritt geheime Dokumente der Steuerbehörde an die Öffentlichkeit kamen, die sein wahres Einkommen bewiesen, natürlich ein exponentiell Vielfaches seiner offiziellen Angaben.
Die Spur führte zwar nicht direkt zu Imran, doch fast täglich wiederholte er die Behauptung, alles sei eine Verschwörung seiner Gegner, der Armee und v.a. der Amerikaner (angeblich wegen seiner Sympathie für Putin).
Imran Khan fährt einen riskanten Kurs. Nur die nach wie vor große Zahl seiner Anhänger schützt ihn wohl davor, dass die Sicherheitskräfte zugreifen. Es sind schon aus geringeren Gründen Leute aus dem Verkehr gezogen wurden. Wenn sie sich aber an Khan vergreifen würden, könnte das bisher ungekannte Konsequenzen haben, Proteste vielleicht vergleichbar mit jenen in Iran (auch wenn sonst die Länder und deren Politik-und Regierungsstil ziemlich verschieden sind).
Am 3.November hielt man nicht nur in Pakistan kurz die Luft an: Auf Imran wurde ein Anschlag verübt, eine Person kam ums Leben, insgesamt acht wurden verletzt. IK erlitt eine Wunde am Fuß, konnte aber schon am nächsten Tag vom Krankenbett aus die nächsten Reden halten.
Angesichts der Masse von Attentaten war das nur eine Frage der Zeit gewesen und es stellte sich zum Glück für alle als das Werk eines Einzeltäters und nicht als Verschwörung heraus. Und egal wie – sein Tod hätte viele schlimmere Konsequenzen gehabt als die Unruhen, die auf die Ermordung Benazir Bhuttos 2007 folgten.
Mittlerweile besteigt der Kaptaan wieder Schiffscontainer, seine bevorzugte Bühne, und stachelt seine Anhänger zum Marsch auf Islamabad auf.
Heilsbringer, Scharlatan – oder "rebel without a clue"?
Imran Khan ist am ehesten das Dritte. Seine Empörung über die himmelschreienden Ungerechtigkeiten in der angeblich doch Islamischen Republik ist echt. Das unterscheidet ihn vom Großteil der Elite, der dies entweder nicht auffällt, egal ist oder direkt davon profitiert und nur im privaten Gespräch zugeben würde, wie verfault der Zustand ist und wie dringend nötig Umdenken und Wechsel.
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Weiter kommt der Kaptaan nicht. Der ehemals "angry, young man" konnte und kann nur den Finger darauf zeigen, was er verabscheut. Er kann oder will die Ursachen dafür nicht sehen. Und hat so keine Chance, sie zu ändern. Dazu fehlt ihm (da ist er überhaupt nicht allein) – wohl von Anbeginn – die unverzichtbare Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Umstände wie sein Glauben und der Aufbau der Gesellschaft in der er lebt, sind über jeden Zweifel erhaben und unantastbar. Über diesen Schatten wird im Westen selten genug gesprungen, in Pakistan schafft das so gut niemand, zumindest nicht öffentlich. In seiner Naivität, fast Infantilität gleicht er dem früheren US-Präsidenten George Bush W. dem Jüngeren (wobei W. nur der Spielball seiner Berater war und Imran selten auf seine hört).
Er ist nicht so zynisch wie Benazir Bhutto, eine andere Hoffnungsträgerin, die auf ganzer Linie scheiterte, weil sie nicht in der Lage war, sich den fundamentalen Widersprüchen Pakistans überhaupt zu nähern. Dafür haftet vielen Imran Aktionen schon immer etwas von Don Quijote an. Er will, aber kann nicht. Das macht ihn zum Teil des Problems, nicht der Lösung.