Pakistan: Der riskante Kurs von Imran Khan
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2023 ist Wahljahr in der Nuklearmacht. Der frühere Premier wagt es im Wahlkampf, die Rolle der Armee zu kritisieren. Aber er ist auch Teil des Problems.
Imran Khan (IK) hat im Oktober das Alter von 70 Jahren überschritten und könnte einen luxuriösen und stillen Lebensabend auf seinem Landsitz Bani Gala am Rawal See südlich der Hauptstadt Islamabad verbringen. Zwar ist er nicht so reich viele Mitglieder der Landeselite oder seiner politischen Konkurrenten – offiziell ist sowieso nichts bekannt – doch es dürfte genügen, damit er sich keine ernsten Sorgen machen muss.
Reiche Gönner gibt es, im In-und Ausland; mit ihrer Hilfe könnte er sich im Bedarfsfall auch in Saudi-Arabien, Dubai, London, Houston oder Sydney zur Ruhe setzen. So wie es viele pensionierte Generäle, Geheimdienstchefs, Bürokraten und in die Jahre gekommene Geschäftsleute tun. Eine Gutteil der Elite zieht es vor, den Ruhestand nicht im Heimatland zu verbringen. Doch IK hat anderes vor. Statt eines beschaulichen Ausklang wählte er, zu einem hohen persönlichen und politischen Preis, das genaue Gegenteil.
Hätte sich Imran Khan nach dem Ende seiner Cricket Karriere zur Ruhe gesetzt, würden ihm nicht nur seine politischen Anhänger, sondern das ganze Land zu Füßen liegen. Er gilt noch immer als der vielleicht beste Spieler, den diese Sportart in Pakistan hervorgebracht hat, und als einer der besten weltweit.
Er war Kapitän der Mannschaft, die 1992 zum ersten und bisher einzigen Mal ODI (=One Day International, ein Cricket Spielformat) Weltmeister wurde. Dadurch genoss er bei allen Menschen ein Ansehen, das in Deutschland nur mit dem Franz Beckenbauers verglichen werden kann, bevor dieser im Sommermärchen-Sumpf versank. Er hatte, das ist selten in Pakistan, keine Feinde. Bis heute bleibt er der "Kaptaan" oder sogar "Kaptaansabh" (Kaptaan Sahib), selbst bei jenen, die ihn hassen, und das sind nicht wenige.
Unscheinbarer Beginn, Erweckungserlebnis
Nichts ließ bis zum Ende seiner Sportlerkarriere vermuten, dass IK darauf die Laufbahn eines Politikers einschlagen und bis ins offiziell zweitwichtigste Staatsamt aufsteigen würde. Seine Eltern, Paschtunen, der Vater vom Stamm der Niazi, die Mutter eine Burki, waren wohlhabend genug, um ihren einzigen Sohn auf das Aitchison College in Lahore zu schicken, die angesehenste Privatschule des Landes.
Zum weiteren Studium kam er nach England, wo er keine Probleme dabei hatte, sich einzuordnen. Es war eher das Gegenteil, es schien ihm ziemlich gut zu gefallen. Über die Jahre haftete ihm immer stärker das Etikett eines Playboys an.
Während seiner Karriere erschienen in den Klatschblättern zwar keine Skandalstorys über Drogen-und Alkoholexzesse, dafür aber umso häufiger "Enthüllungen" neuer Affären und Liebschaften. IK gehörte zu dem, was man damals noch das Jetset nannte. In einem Kulturkreis, in dem üblicherweise auch die Männer vor 25 heiraten, war er bis 43 ledig.
Das lag sicherlich nicht an den mangelnden Aufforderungen seiner Eltern. Imran Khan stammt wie alle Paschtunen aus einem konservativen, strenggläubigen Haus, doch in den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens ist nichts darüber bekannt, dass er weiter gegangen wäre als die üblichen Rituale und Bräuche zu beachten.
Mancher hätte ihn wohl damals als verwestlicht bezeichnet, soweit das bei Paschtunen möglich ist. In den 1970er und 1980er ist auch nichts von einem mehr als oberflächlichen Interesse an der Politik in seinem Heimatland bekannt.
Khan spricht selten darüber, was ihn dazu bewegte, nach seiner Sportkarriere einen ganz neuen Weg einzuschlagen. Seiner Aussage nach war das entscheidende Ereignis die Krebserkrankung seiner Mutter. Zum ersten Mal sei ihm bewusst geworden, wie schlecht es um die Versorgung der Menschen stand, wie schlecht es überhaupt einem Großteil der Pakistanis ging.
Vermutlich fühlte er sich berufen, seinem Land nicht nur als "Cricket-Hero" zu dienen. Er wurde konservativer, heiratete und ließ seinen früheren Lebenswandel hinter sich. 1996 gründete er die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI, Pakistan Gerechtigkeitsbewegung), deren Vorsitzender er seitdem ist.
Die PTI an den Schalthebeln der Macht
Als Imran am 18. April 2018 als 22. Premierminister der Islamischen Republik Pakistan vereidigt wurde, hatte er schon mehr als zwei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes hinter sich. Das attestieren ihm auch seine Gegner, einen Kampfgeist und ein Ausdauervermögen wie auf dem Sportplatz. Eine Niederlage hinzunehmen ist nicht seine Sache. Das nächste Spiel kommt bestimmt.
Als Politiker bedeutet das, den sicheren, klimagekühlten Kokon zu verlassen, in die Menschenmassen einzutauchen, Tag und Nacht unterwegs zu sein, in Hitze, Staub und Dreck; das alles hat in Pakistan Qualität und Dimension, die sich ein Mitteleuropäer kaum vorstellen kann, geschweige denn erlebt hat. Der Großteil der oberen fünf Prozent, der Luxuselite, könnte und würde sich das nicht antun, schon gar nicht mit nun über 70 Jahren.
Viel ist passiert, seit IKs politische Laufbahn begann. Bis zu seiner Vereidigung hatte er fast alle politischen Meinungen geäußert und widerrufen. Oft geriet er ins Stolpern, wenn er seine zahlreichen Positionswechsel rechtfertigen sollte.
Koaliert hatte seine Partei auf Provinzebene mit fast allen möglichen Parteien, und diese Koalitionen verlassen. Nun, als PM, sollte unter seiner Führung endlich anders und besser werden. Er polterte gegen Korruption, Nepotismus, die Elite, Amerika, Islamfeindlichkeit (Islamophobie) und vieles mehr. Und hatte nur wolkige Lösungen auf Lager. Seine Anklagen waren meistens stimmig, doch interessierte ihn nur peripher, wie diese Probleme entstanden.
Bei Missständen wie Macht und Korruption der Großgrundbesitzer und Industriellenfamilien (zu denen fast alle seine politischen Gegner zählen) ging auch er, bewusst oder unbewusst, den Problemen nicht auf den Grund. Diese Missstände sind so eng mit dem sozialen Gefüge verwoben, dass es dafür auf lange Sicht keine Lösung gibt. Das zu erkennen und zu benennen war auch Khan nicht in der Lage.
Am Ende verdankte er die Macht dem Umstand, mehr oder weniger die letzte Hoffnung zu sein. Auch hatte das Militär, die wahre Macht im Staat, sich nach längeren Überlegungen mit einer Amtsübernahme Khans angefreundet.
Die anderen Kräfte waren nach mehreren Jahren Machtausübung völlig diskreditiert, oder – offiziell vom Obersten Gericht – z.T. lebenslang, disqualifiziert worden, wie z.B. der mehrfache PM Nawaz Sharif, dem schärfsten Widersacher Imrans.
Es wäre falsch zu behaupten, nach Imrans Amtsübernahme sei nichts mehr passiert, doch die Parallelen besonders zu den beiden Amtszeiten von Benazir Bhutto, einer anderen ehemaligen Hoffnungsträgerin, sind nicht zu übersehen.
Die fundamentalen Probleme wie Wasser-und Energieknappheit, religiösen Extremismus inklusive Talibanisierung der Gesamtgesellschaft, Bevölkerungswachstum (Pakistan ist neben Afghanistan das einzige Land in Asien, wo diese Entwicklung wirklich bedrohlich ist), Einfluss der Streitkräfte im "hybriden" Politiksystem, Korruption, Feudalismus etc. wurden kaum angegangen.
Wohl, es gab Verbesserungen – es wurde, so sagen es die damaligen offiziellen Zahlen – nicht noch schlechter.
Aber einen wahrnehmbaren qualitativen Fortschritt gab es nicht. Viel beschränkte sich auf Symbolik, die niemandem schadete oder zu wahrem Umdenken und Umlenken zwang. Imran wetterte lautstark gegen Islamophobie, was ihm daheim vielleicht eine kurze Verschnaufpause verschaffte, aber eben nichts an den echten, tiefen Problemen änderte.