Palermo: Italienische Behörden setzen deutsches NGO-Schiff fest

Schiff "Sea Eye 4". Bild: Maik Lüdemann/Sea-eye.org/Presse

Seenotretter sprechen von einer grotesken Begründung. Italien drängt auf eine schnelle und entschlossene Strategie der EU angesichts der Migration aus Libyen

Die deutsche NGO See Eye, bekannt für Seenotrettungen vor der libyschen Küste, gibt über Twitter bekannt, dass ihr Schiff "Sea Eye 4" von italienischen Behörden nach einer Hafenkontrolle in Palermo festgesetzt wurde. Als Grund nennt sie: "zu viele Menschen gerettet". Man werde alles tun, um schnellstmöglich in den Einsatz zurückzukehren.

Laut dem Vorsitzenden der NGO, Gorden Isler, begründeten die Behörden die Festsetzung "unter anderem" damit, dass zu viele Menschen auf dem Schiff transportiert wurden. Das Schiff sei nicht für die große Anzahl der geretteten Personen "zertifiziert", es sei nicht als Rettungsschiff klassifiziert, weswegen andere Regeln gelten, wird von dem NGO-Chef aus dem Bericht zitiert.

Die Sea Eye 4 hatte zuletzt über 400 aus Seenot gerettete Migranten nach Palermo gebracht. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, hatte die Crew des Schiffs am Freitag noch als Ehrenbürger ausgezeichnet. Die Behörden sehen die Mission anders - als Verstoß gegen Vorschriften: Die große Anzahl der geretteten Personen stelle eine "ernste Gefahr für das Schiff und die Besatzung" dar.

Unter der deutschen Flagge gebe es die von den italienischen Behörden verlangte Rettungsschiff-Klassifizierung nicht, führt NGO-Chef Isler an. Er fordert eine Unterstützung aus Deutschland in der Angelegenheit, die er als "grotesk begründet" bewertet. Es ist die Fortsetzung des schon länger andauernden Konfliktes zwischen italienischen Behörden und den NGO, die sich die Rettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer zur Aufgabe gemacht haben.

Das Vorgehen der italienischen Küstenschutz- und Hafenbehörden gegen die NGO-Mittelmeer-Missionen trifft, wie man der Tagesschau-Meldung von heute entnehmen kann, derzeit besonders Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren. Außer der Sea Eye 4 sind demzufolge noch die Alan Kurdi, die Sea-Watch 3 und die Sea-Watch 4 festgesetzt.

Wie sich schon Anfang Mai gezeigt hatte, versuchen wieder mehr Migranten über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa zu gelangen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) zählt seit Januar 811 im Mittelmeer verschollene, aller Wahrscheinlichkeit nach tote Migranten. Für die zentrale Mittelmeerroute beziffert man die tragische Zahl auf 680, während man für den Vergleichszeitraum 2020 weit weniger als die Hälfte, nämlich 232, angibt.

Der Unterschied zwischen den im Vorjahr in Europa angelangten Migranten zu denen, die dieses Jahr gezählt wurden, ist verhältnismäßig geringer. 2020 waren es von Januar bis Anfang Juni 16.468, in diesem Jahr zählt man bisher 19.595 Ankünfte. Der Unterschied zwischen den versuchten Überquerungen liegt bei 33.686 (2020) zu 38.285 (2021). Auffallend ist der vergleichsweise hohen Anteil von Vermissten/Toten bei den Überquerungen. Im letzten Jahr betrug er für die ersten fünf Monate 0,7 Prozent. Heuer sind es 1,4 Prozent. Laut UN trägt die EU daran eine Mitverantwortung.

Das Problem, wie man mit den Migranten aus Nordafrika, die mit der Überfahrt ihr Leben riskieren, umgehen soll, die bleibt weiter auf der Tagesordnung der EU, ohne dass sich eine Lösung abzeichnet. Italien, das bislang als einziges europäisches Land sichere Häfen zum Anlaufen der NGO-Schiffe in Frage kommt, weil sich andere Länder wie Frankreich weigern, ihre Häfen zu öffnen, drängt auf eine "andere Strategie der EU", wie Premierminister Mario Draghi bei einem Treffen mit dem neuen libyschen Regierungschef Abdulhamid Al Dabaiba und dessen Ministerabordnung mitteilte.

Die Migrationsfrage habe Priorität, schnelles Handeln aufseiten der EU sei nötig ("rapid and determined EU action is needed"). Seine allgemein gehaltenen Vorschläge zielen darauf ab, die Kontrollen der libyschen Grenzen auch im Süden zu verbessern und das Problem der Migration innerhalb des Landes anzugehen: "Wir haben uns die Kontrolle der libyschen Grenzen, einschließlich der südlichen, angesehen, den Kampf gegen den Menschenhandel, die Hilfe für Flüchtlinge, humanitäre Korridore und die Entwicklung in ländlichen Gemeinden."

Auch EU-Kommissarin Ylva Johansson sprach Ende Mai davon, dass man mit der neuen libyschen Regierung bis Ende des Jahres eine Migrations-Vereinbarung aushandeln wolle. Für Dezember sind freie Wahlen in Libyen geplant, Beobachter zweifeln, ob der Zeitplan eingehalten werden kann. Wie auch die aktuelle Ankündigung einer Folgekonferenz zur Berliner Libyen-Konferenz Anfang 2020 durch den deutschen Außenminister Heiko Maas signalisiert, sind internationale Akteure daran interessiert, den failed state neu zu ordnen.