Panda-Porno ohne Wirkung

Während in Thailand eine Erotik-Offensive bei Zootieren fehlschlug, reflektieren "Texte zur Kunst" über subversive Pornografie

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Pandabären sind nicht nur niedliche und seltene Tiere (eine Studie des WWF schätzt den Gesamtbestand frei lebender Tiere auf 1600 Exemplare), sondern auch ausgesprochene Sex-Muffel. Nur in den Monaten März bis Mai entwickeln die gewohnten Einzelgänger Fortpflanzungs-Ambitionen - aber bei den etwa 180 in Zoos gehaltenen Exemplaren gleicht ein gelungener Zuchtversuch einem Sechser im Lotto.

Dementsprechend kam man in einem Tierpark im thailändischen Chiang Mai Zoo auf die Idee, dem noch recht unentwickelten und bislang in den Bahnen platonischer Freundschaft verlaufenden Liebesstreben zwischen der fünfjährigen Pandadame Lin Hui und dem um ein Jahr älterem Männchen Chuang Chuang (die beide in Gefangenschaft aufgewachsen sind und dementsprechend noch keinen Geschlechtsverkehr zwischen Artgenossen zu sehen bekommen haben) mit Sex-Aufnahmen von Pandabären ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Weil täglich eine Viertelstunde Panda-Sex vom Bildschirm aber keine sichtbaren Auswirkungen hatte, veranlassten die Zoologen schließlich eine künstliche Befruchtung. In vier Monaten wird sich zeigen, ob wenigstens dieses Bemühen von Erfolg gekrönt war (Vgl. Thai zookeepers choose high-tech option after panda porn videos fail to arouse).

Gewisser Lerneffekt

Unter Zoologen und Tierforschern ist die Wirkung von Kopulationsvideos auf Tiere umstritten. Beim Zeigen von Pornofilmen für Menschenaffen, die imitieren was sie sehen, war ein gewisser Lerneffekt zu beobachten. Pandabären dagegen reagierten bisher nicht auf Bilder – nicht nur in Thailand, auch anderswo. Gegen die Wirkung von Pornos spricht auch, dass die meisten sozialen Säugetiere in aller Öffentlichkeit kopulieren (anders als der Mensch, der beim Beischlaf üblicherweise eine intime Atmosphäre nicht missen möchte) - und dabei lassen sich die Artgenossen im Rudel auch nicht automatisch zu gleichgearteten Handlungen hinreißen.

Tatsächlich haben dem Evolutionsbiologen und Pullitzer-Preisträger Jared Diamond zufolge neben den Menschen nur noch die Zwergschimpansen permanente Lust am Sex - wobei aber bei der menschlichen Sexualität noch einige Komponenten zum weder an Jahreszeiten noch an Fruchtbarkeitszyklen gebundenen Geschlechtstrieb hinzukommen - zum Beispiel langfristige Sexualbeziehungen, eine gemeinsame Aufzucht des Nachwuchses und ein verdeckter Eisprung (der es unmöglich macht, den Zeitpunkt der Fruchtbarkeit eindeutig zu bestimmen). Dementsprechend spricht Diamond vom Menschen als „das Tier mit dem sonderbarsten Sexualleben“:

„Zusammen mit Körperhaltung und Gehirngröße bildet die Sexualität die Dreiheit der entscheidenden Merkmale, in denen sich die Vorfahren von Menschenaffen und Menschen auseinanderentwickelt haben.“

Somit erweist sich die Pornographie als ein des Menschen vorbehaltenes Terrain, dem allenfalls noch ein paar Primatenarten Beifall zu zollen wissen.

Anus als radikaldemokratische Zone

Anscheinend laden gegenwärtige Entwicklungen im Bereich des Pornographischen auch beim homo sapiens weniger zur Nachahmung als zur Reflexion ein. So hat Klaus Walter einen bemerkenswerten Artikel über Pornographie und Popkultur geschrieben, und das Autorenteam der postmodernen Theoriezeitschrift “Texte zur Kunst“ widmete dem Thema in der Nr. 64 einen Heftschwerpunkt. Untersucht wurde hier vor allem das kritische und subversive Potential von pornographischen Independent-Produktionen, dem sogenannten Post- oder Queer-Porn.

Deren Macher wollen über die Beschäftigung mit Fetischen das herkömmliche Sexualverhalten unterlaufen und damit die im Porno üblichen Geschlechterklischées konterkarieren und irritieren. In diesem Sinne möchte nach Tim Stüttgen die österreichische Philosophin Beatrice Precardiado

„die klassischen erogenen Zonen deterriorialisieren und stattdessen neue eröffnen, fernab der Binarität von Mann und Frau und der Referenz auf reproduktive Organe. Dazu feiert sie die Proletarier des Anus, die Gründer einer neuen, kontrasexuellen Gesellschaft: Der Anus ist radikademokratisch, jeder Körper hat ihn.“

Eine recht schlichte und vordergründige Argumentation, auch wenn man bereit ist, gegenüber dem Anus, dem Proletarier und der Radikaldemokratie ausschließlich Hohelieder anzustimmen. Man könnte nämlich durchaus bestreiten, dass dem Anus als bewusstlosem Körperteil überhaupt das Prädikat „radikaldemokratisch“ zukommen kann und sich fragen, ob Häufigkeit bereits ein Kriterium für dieses Prädikat darstellt. Gleichfalls darf man ihre Aussage:

„Der Dildo verneint die Tatsache, dass Lust etwas ist, das in einem Organ stattfindet, das dem Ich gehört“

mit philosophischer Verwunderung zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich verneint ein Dildo zunächst einmal genau so viel und so wenig wie ein Anus demokratisch ist. Dann fuhrwerkt man mit einem Dildo in einem Organ herum, das einem Du zugehört, dem dies Lust bereitet weil es Teil seines Körpers (also Ichs) ist, was wiederum bisweilen das Lustzentrum im Gehirn des/der Penetrierenden stimuliert, gerade weil dies ein Organ ist was dem Ich zukommt, auch wenn dies sich denkt, dass man Lust auch außerhalb des eigenen Ichs verspüren kann.

Die Technik ist eine Beziehung zwischen Menschen, die sich im Fetisch verzerrt darstellt, weswegen eindeutig für den Fetisch Position zu beziehen, genauso naiv ist, wie vom Gegenteil, dem Standpunkt des “natürlichen“ und unveränderbaren Sex, auszugehen. Das könnte sich mittlerweile bis in das Land von Leopold von Sacher-Masoch durchgesprochen haben. Wobei aber nichts Grundsätzliches gegen einen Besuch in Michel Foucaults Sado-Maso-Stüberl einzuwenden wäre.

Der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen parallelisiert in „Texte zur Kunst“ Pop-Musik und Pornographie als Teile linker Gegenkultur in den Siebziger Jahren, stellt generell aber fest:

„Der entscheidende Unterschied zwischen Pornografie und Pop-Musik besteht (...) darin, dass Pornografie ihr Objekt restlos verdinglicht und genau darüber die Möglichkeit der Verfügung über sie für die Rezipienten suggeriert, während Pop-Musik - zumindest in glücklichen Momenten und daher wenigstens strukturell und potentiell – eine Subjektivierung von, oft sogar vorher noch gar nicht Subjektstatus innehabenden, Personen zumindest aufseiten der Produzenten und oder Stars aufführt, gelegentlich aufseiten der Rezipienten ermöglicht.“

Diederichsen nimmt zwischen der im Netz verbreiten Amateurpornografie und dem Indie-Pop diverse Analogien wie die „Camp- und Trash-Ästhetik“ wahr, entdeckt aber auch im Indie-Porno eher eine Perpetuierung als eine Dekonstruktion der „kleinbürgerlichen Doppelmoral“ und ihrer Ästhetik.

Kompensationsphänomen

Den Autoren von „Texte zur Kunst“ zufolge drängt sich im Mainstream-Porno die „strukturelle Parallele zwischen pornographischer Affektproduktion und neo-liberalem Kapitalismus“ auf. Das Internet hat die flächendeckende und kostenlose Versorgung der Menschen mit Pornografie möglich gemacht und in der Dekade des Porn-Chic ist die Assimilation des Genres durch Pop weitgehend abgeschlossen.

Bemerkenswert an der Debatte über die Pornographisierung der Gesellschaft ist allerdings, dass folgende Punkte nicht bemerkt werden. Dass nämlich eine wachsende Klientel offenkundig a) zu einsam, b) zu überanstrengt und c) zu verhaltensgestört ist um anders als alleine an den Gestaden der Geschlechtlichkeit zu landen und es sich also bei der Chose vielleicht vor allem um d) ein Kompensationsphänomen handelt:

Weil das Berufs- und Alltagleben - beides Sphären, die nicht gerade mit erotischen Komponenten überfrachtet sind - immer anstrengender wird, müssen immer mehr libidinöse Energien aus der Erotik abgezogen und diesen Bereichen zugeführt werden. Dementsprechend verödet das Erotische zur verselbständigten Erotomanie. Die zunehmende Verarmung der sozialen Beziehungen der durch allseitige Konkurrenzverhältnisse wesentlich geprägten Individuen soll mit warenkonsumanalogen Verhaltensweisen kompensiert werden - was sich aber letztendlich nicht wirklich bewerkstelligen lässt.

Verhängnisvoller Kreislauf

Eine Unterbrechung des verhängnisvollen Kreislaufs: Herabsetzung der sexuellen Reizschwelle, Zunahme der geschlechtlicher Stereotypisierung und kommerzielle Nutzbarmachung ist nicht in Sicht. Die Leute kommen vor lauter Arbeiten nicht zum Vögeln, können sich aber dafür immerhin die Gebühren für die sexuelle Müllabfuhr leisten. Fast scheint es, als ginge es der bürgerlichen Gesellschaft im Pornofilm darum, sich ideologisch für die Tatsache zu rächen, dass Sex eine durchaus nicht unvergnügliche Tätigkeit darstellt, bei der obendrein nicht der geringste industrielle Mehrwert erzeugt wird, insofern hier der Beischlaf abgeleistet wird wie eine Strafe, als Schwerstarbeit in einem Bergwerk, das so tief liegt, dass es an das Fitness-Studio im obersten Stockwerk der Hölle reicht. Es ist also Theresa Orlowski nicht alleine anzulasten, wenn die Welt immer mehr dem unausgewischten Hinterteil von Jennifer Lopez gleicht.