Pandämonium und Absurdität

Ein zweiteiliger Essay

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In einem zweiteiligen Essay wird der Welt-Weite-Hypertextwahnsinn und der Druck der technologischen Entwicklung den Sorgen, Ängsten und Hoffnungen der Kunst-Gemeinde gegenübergestellt.

In einem zweiteiligen Essay, dessen zwei Kapitel "Pandämonium" und "Absurdität" eigentlich parallel zueinander gelesen werden müssten, beschreibt Timothy Druckrey zum einen den Welt-Weiten-Hypertext-Wahnsinn und das Propagandageläute der Telcos und Technowissenschaftler, zum anderen die Reaktionen des Künstlervölkchens und der arrivierten Kunstkritik, von denen sich weite Teile gerne auf überholte Kunst-Atavismen zurückziehen würden. Und das ist schon fast wieder komisch, wenn es nicht zugleich so besorgniserregend wäre.

I. Pandämonium

Vor kurzem bemerkte der bekannte Web-Entwickler Mark Pesce:

Wir brauchen eine Martha Stewart des Cyberspace. Die Leute fragen sich, warum sich das alles so rational anfühlt, so intellektuell, so maschinenhaft. Der Grund ist, daß die Gestalter noch nicht begonnen haben, diese Welt menschlicher auszugestalten. Mein Finger zeigt auf sie. Nun seit ihr an der Reihe. Die Techniker haben ihren Teil getan. Wir haben Grundlagen geschaffen und nun ist es an euch, auf diesen Grundlagen aufzubauen.
Mark Pesce

Dieses ganze unsichtbare digitale Durcheinander, dieses unübersichtliche elektronische Design, diese grelle programmierte Komplexität, diese traditionslosen Tech-Neuigkeiten und der ziellose Hyperstil von mehr als 150 Millionen Web-Sites ist einfach zuviel. Stellen Sie sich eine schöne und sanfte Bedienoberfläche ihrer Hardware vor, eine die Sie mit anmutigen Oberflächen verwöhnt, nicht von Exzess oder Zerstreutheit der Anordnung befallen ist, stilisiert bis an den Rand der Leere, schön bis an die Grenze der Nutzlosigkeit. Wie interessant und Neugierde erzeugend mag einem ein solcher homogener ästhetischer Schleier doch erscheinen, der das ungeschminkte und entpersönlichte Chaos der allesverschlingenden Technosphäre zu ummänteln vermag. Wie interessant zugleich, daß der Trend zur Personalisierung in der Form von heimeligen Seiten kommt, welche die Nutzer mit ihrem Namen begrüssen und sich nach Schemen aufbauen, die auf persönliche Preferenzen zurückgreifen, um die Illusion der Vertrautheit zu verbreiten.

Attackiert als Heimathafen für Verrückte, Kultisten, Pornographen, Technikfreaks und andere sozial Unangepaßte, befindet sich der Cyberspace selbst seit einiger Zeit im Belagerungszustand. Gepriesen als Kommunikationsrevolution, als Segen für Ausbildung und Handel, als verquickende Lösung für auseinanderstrebende Gemeinschaften, ist das Netz zugleich auch verschrien als Bastion anarchistischen Gedankenguts von wahrlich sehr freier Meinungsäußerung. Kurioserweise setzt die Jagd nach "Netzbeschmutzern" und Cyber-Militanten gerade in einem Moment ein, an dem das politische System der Welt taumelnd nach Balance sucht. In der Tat, die Kollision von Ereignissen im öffentlichen Raum mit jenen in der Cybersphäre ereignet gerade sich dann, als die Stabilität der internationalen Geopolitik, des globalen Umweltsystems oder der Identitätspolitik abzubröckeln fortfährt, katalysiert von den verwirrenden Tendenzen zusammenbrechender Grenzen und monolithischer Techno-Ökonomien.

Doch der Konflikt zwischen der materiellen und der ökonomischen Realität wird vom Gedanken der Ersetzung überschattet, wobei zweitere die erstere zurückläßt und wobei Verbindungen Kommunikation ersetzen, z.B. wenn eine neue Kampagne von MCI verkündet, es gäbe "nur mehr Gedanken". "Utopia?", fragt die unsichtbare Stimme aus dem Hintergrund, "nein", kommt die Antwort, "das Internet".

Kultur ist schlechte Wissenschaft

Da fragt man sich, ob Martha Stewart nicht vielleicht ein wenig an kosmetischer Psychopharmakologie empfehlen würde, um die Widersprüche eines in Unordnung geratenen Unterbewußten glattzubügeln. Aber im Ernst, man sollte eine Pause machen, um zu überlegen, welche Intentionen hinter Erklärungen stehen, welche Universalisierung als Kreuzung aus Bewußtsein und Technologie verkünden. Und man kommt endgültig ins grübeln, wenn man überlegt, wie diese "Marketing-Strategie-wurde-Bewußtseinsindustrie-wurde-Theologie" mit einem Zitat zusammenspielt, das Marvin Minsky bei einem Vortrag vor einigen Monaten losgelassen hat. "Kultur", sagte er, "ist einfach nur schlechte Wissenschaft".

Diese Art von väterlicher Arroganz, gerichtet gegen eine als "unwissenschaftlich" verstandene Aktivität, perpetuiert die angenommene Überlegenheit der wissenschaftlichen Denkweise und den Mangel der Kultur, nun, mitzuhalten. MinskyŽs Bemerkung scheint sich aus einer Haltung herzuleiten, die sich das ungeheuerlichste Ausmaß an einer rückwärtsgewandten Haltung gegenüber der Kultur erlaubt, die immer noch taumelnd unter dem Einfluß von Technologien leidet, deren Triumphe man günstigstenfalls als zweifelhaft bezeichnen kann, einschließlich jener Forschungsgebiete, die Minsky betrieben hat. Schließlich behaupten die Technowissenschaften ihre ideologische Legitimität auf der Basis einer Zukunft, die auf den wackeligsten epistemologischen Annahmen eines vorhergesagten Fortschritts beruht, der bestenfalls fadenscheinig ist, schlimmstenfalls habgierig.

Allgegenwart mit Gegenschlag

Sicherlich, das Informationszeitalter, geboren aus wissenschaftlicher Effizienz, mathematischer Präzision und smarter Mikroelektronik, kann Motive vorweisen, die recht und billig sind, um auch komplexe Formen kultureller Verschiedenheit, höfliche computerbasierte Interaktionen oder zunehmend abstrakte Tauschvorgänge zu bezeichnen. Doch die Beziehung zwischen den Systemen, ihrer Präsenz und ihren Wirkungen, ist nicht so leicht rational zu fassen. Die Allgegenwart hat schließlich ihre ganz eigene Beziehung zur Unsichtbarkeit. Die zunehmend ununterscheidbaren Elemente des Designs von und des Diskurses über das Informationszeitalter gehen mit einer Virtualisierung der Materie einher. Aus Türen werden Interfaces, aus Verbesserungen werden Upgrades, aus der Überschreitung werden Backup-Speicherung und Kompression, und Akronyme werden zu Verben (MOOing, MUDing, HEXing, RIPing,...), kurz gesprochen, eine Auflösung der Grenzen zwischen Information und Ort, Technologie und Handlung findet statt. Der physische Raum, aus Gründen der Effizienz minimalisiert, wird zunehmend für maximale Durchsatzraten optimiert und gewinnt immer mehr Ähnlichkeit mit dem Design von Microchips: vernetzt, modular, verbunden durch Schleusen, Wegweiser, Prozessoren, Speicher, ein Labyrinth von Knotenpunkten, an denen sich Vorgänge und Verhaltensformen überschneiden.

Während die Transformation der Anordnung des Raums so ausgerichtet wird, daß sie zur Ideologie des Cyberspace passt, wächst die Datenflut, euphemistisch als "Inhalt" bezeichnet, in exponentiellen Raten. Einen Server für diese hauptsächlich vor sich hinschlummernden Daten zu finden ist leicht, doch die Daten zu verbreiten wird zu einem immer schwierigerem Problem. Der Trend hin zu Push-Medien, die Daten auf die Festplatten und Bildschirme der User schaufeln, führte in der Tat zu der fehlgeleiteten Annahme, daß das erzwungene Füttern von Informationen auf die Systeme der Nutzer einen diskursiven Kommunikationsakt darstellt. Dieses Modell, das uns so stark an die Sender-und-Propaganda Ideologie von Radio und Fernsehen erinnert, führte dazu, die erfahrungs- und zeitgebundenen Gewohnheiten einer Kultur radikal zu verändern, die zunehmend von Telemedien abhängig ist. Doch das Verhältnis von Konsum, Kommunikation und Inhalt nimmt zwanghafte Formen an. Weniger eine Informations-Superautobahn als eine Einbahnstraße, erscheint der Zwang zur Informationsverbreitung einer Kultur unangemessen, die vom Gedanken des Austauschs getragen ist. So kommt es, daß eine Schlag-zu-und-lauf Metapher wie Push-Technologie den Datenstrom zu Bewußtsein bringt - Allgegenwart mit Vergeltungsschlag. In diesem Umweltsystem der Information überschattet und erfüllt die Pathologie der Akkumulation zugleich alle möglichen Formen des Begehrens, die sich nun in virtuell grenzenlosen Illusionen ausdehnen können, als Symptome von Befriedigung.

In Architekturen des Exzesses schrieb Jim Collins:

Sich Geschichte außerhalb von räumlichen Beziehungen vorzustellen, ist natürlich problematisch, sich aber Raum zu denken, ohne jedes Gefühl für die Erzählungen, die ihn als belebtes Terrain markieren, schafft einen Modus der Analyse, der näher an der Geometrie als an der Geographie ist.
Jim Collins

Zweifellos daß die Auslöschung des Historischen sehr viel von der Theorie, Soziologie oder Politik des kritischen Denkens über elektronische Kultur mit einschließt, während die Begeisterung diese so rücksichtslos gerenderten Räume zu bewohnen, ungebrochen bestehen bleibt. Diese Krise, bei der sich Zwang und Fügsamkeit verbinden, bei der die Virtualisierung des öffentlichen Raums und sein Verhältnis zu Reflexion, Widerstand oder Legitimität herausgefordert wird, ereignet sich im Sog von Dekaden von Entwicklungen.

Die Mythen der Virtualität, die Simulationen von Universalität oder die Erfindungen der Computierbarkeit aus der Bahn zu werfen, auszumerzen oder zum Explodieren zu bringen, ohne dabei in rückwärtsgewandten Luddismus oder auf die Fortführung glitschiger Ideen von Modernismus zu verfallen, bringt einen oft an die Grenze von Geschichte und Zukunft, in die Widersprüchlichkeit von Repräsentation und Erfahrung oder führt zu einem Akt des Zwiespalts, der die Gegenwart zugleich heraufbeschwört und attackiert.

II. Absurdität

Vor einigen Monaten wurde ich gefragt, ob ich an einer Podiumsdiskussion unter dem Thema "Der Computer in der Kunst: Retter oder Antichrist" teilnehmen würde. Veranstalter war die "Arts Students Legue" in New York. Die ASL ist die Bastion der analogen Tradition: Aktzeichnen, figurative Malerei, formale Farbübungen, etc. Die Versuchung war so groß, ich konnte nicht widerstehen. Der Veranstaltungsraum war voll. Der Raum roch nach Leinsamenöl untermischt mit Feindseligkeit.

Warum haben Künstler Angst vor Computern?

Mit einiger Spannung begann die Diskussion. Die erstaunliche Eröffnungsfrage lautete, "warum haben Künstler Angst vor Computern?". Sicherlich, das gab genug Brennstoff ab, um eine Diskussion in Gang zu setzen. Ich eröffnete indem ich sagte, daß der Ansatz "Retter oder Antichrist" schon in sich sehr vielsagend und problematisch wäre. Es ist unmöglich dem Computer einen derartig theologischen und antropomorphen Status zu verleihen. Computer haben keine eigene Handlungsfähigkeit. Sie können weder retten noch verderben. Ich sprach kurz über das Thema der sozialen Ängste, welche mit dem Computer in fast allen Aspekten unseres täglichen Lebens in Zusammenhang gebracht werden und daß es eine Möglichkeit geben müsse, zwischen Kunst und Industrie, Kreativität und Macht Unterschiede zu machen, daß die Bedenken bezüglich Technologie begründet wären, daß aber Rückzug oder völlige Zurückweisung nicht der richtige Weg wären. Es wäre zu lang, nun hier alles wiederzugeben, doch die anderen Teilnehmer am Podium (von denen nur einer einen Computer benutzte) warfen einige faszinierende Fragestellungen auf.

"Einen Van Gogh mit ein paar Mausklicks schaffen..."

Es wäre wohl fair, ein wenig von der Stimmung der Besorgnis wiederzugeben, die sich hier enthüllte. Denn nur so können wir den sogenannten "Künstler von der East Side" verstehen, der meinte, daß Computer "häßlich und abstoßend" sind. Und vielleicht können wir dann auch den hörbaren Seufzer im Publikum verstehen, als einer der Diskussionsteilnehmer sagte, daß alles, was nötig sei, um mit dem Computer einen "Van Gogh" herzustellen, "mit der Maus zu klicken" wäre. Und vielleicht können wir dann sogar dem sehr verstimmten Künstler vergeben, der sich selbst als "abstrakten Illusionisten" bezeichnete und mir anbot, "meinen Mantel zu holen", nachdem er mir bereits eine Runde von "Faustschlägen" angeboten hatte.

Schließlich ging es dem Ende zu und das übliche Frage-und-Antwort-Spiel setzte ein. Einige feindliche Verunglimpfungen: "Computer werden niemals einen Tintoretto oder einen Rembrandt hervorbringen." - "Oder einen Van Gogh!", fügte ich hinzu. "Malerei muß aus dem Bauch kommen".

Es war offensichtlich, daß das Thema des Computers in der Kunst immer noch zutiefst problematische Konsequenzen aufwirft. Aber mehr als die "klick und mach" Annahme (und hat dieses Problem nicht schon die Fotografie verfolgt, im Sinne von "drück den Auslöser und der Rest geht von allein"?), verstörte die allgemeine Unfähigkeit, sich einem Thema zu stellen, von dem man annehmen kann, daß es virtuell omnipräsent ist. Die Situation wurde nicht gerade dadurch vereinfacht, daß Schlagzeilen, WWW und TV davon berichteten, daß die Menschheit eine tragische Niederlage mit Gary KasparovŽs verlorenem Match gegen den IBM RS-6000, besser bekannt als Deep Blue, zu verkraften hatte. Die Podiumsdiskussion erinnerte mich daran, daß unsere Annahmen über Kunst und Technologie nicht so allesdurchdringend waren, sogar während sich die Technologien über unsere Aufmerksamkeit ergossen.

Das Feld der elektronischen Künste ist über weite Gebiete historisch nicht erfaßt.

Doch das Thema der Akzeptanz von Kunst, welche auf Computer zurückgreift, ist nicht das einzige Thema, dem wir uns stellen müssen. Auch jetzt noch, nach Jahrzehnten an Arbeiten die geschehen sind, ist das Feld der elektronischen Künste über weite Gebiete historisch nicht erfaßt. Seine Beziehung zur Kunstgeschichte und nicht weniger zur Kunstkritik, hinkt mit wenigen Ausnahmen weit hinter den Theoretikern, Meistern und, am wichtigsten, einer ganzen Anzahl von erstklassigen Arbeiten hinterher. Und während eine umfassende Geschichte der Medienkunst ungeschrieben bleibt, ist eine kleine Anzahl an Versuchen hervorgetreten, das WWW als Erweiterung der Gallerie oder des Museums zu behandeln, Versuche, die ein Licht auf das allgemeine Problem des Kuratierens werfen, sowie auf Design und Cyber-Kunst.

Wenn man den ganzen Hype in Betracht zieht, der das Netz umgibt, ein System, das weit davon entfernt ist, allgegenwärtig zu sein und das sich noch in einer Phase der Entwicklung seiner grundlegenden Protokolle befindet, was seine Stabilität als sehr zweifelhaft erscheinen läßt, dann ist das Sprechen über Kunst von sehr realen Problemen begleitet. Sicher, viele gehen davon aus, daß das Netz wie geschaffen für Kreativität und Experimente ist. Doch der Drang, die Aktivitäten im Web zugleich zu ästhetizieren und zu legitimieren bringt einen Sack an Problemen mit sich. Seine tiefen Wurzeln in den Strukturen der Systemtheorie verlangen Aufmerksamkeit, ebenso wie die sozialen Themen der Medientheorie und die Praktiken der Kommunikation und nichts weniger die wirtschaftlichen Interessen, die das Netz befeuern und es zu einem "Marktplatz der Ideen" machen wollen. Seine Widerborstigkeit gegenüber traditionellen Kategorisierungen und spezifischer gegenüber den Disziplinen der Soziologie, der Psychopathologie und der Kunst wirft wichtige Fragen gegenüber der wenig stichhaltigen Auffassung auf, welche Kommunikationsmedien im Zentrum einer künstlerischen Renaissance sehen möchte.

Anfang Mai trug Michael Kimmelman (Kritiker der New York Times) zu der allgemeinen Verwirrung an Pseudo-Kritik bezüglich Kunst im WorldWideWeb bei:

Bislang beuten hauptsächlich schlechte Künstler das Netz aus, um Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie sonst nicht bekommen könnten. Schließlich ist das Internet eine Möglichkeit für sie, das kommerzielle System, das in der Kunst seit mindestens 100 Jahren existiert, zu umgehen, ein System, das (wenn auch nicht perfekt) als Richter darüber fungierte, was wert ist gesehen zu werden.
Michael Kimmelman, NYTimes, 2.Mai 1997

Fragliche Kriterien eines 'wenn auch nicht perfekten' Systems zur Anwendung zu bringen, genügt eigentlich schon um sich selbst zu disqualifizieren. Trotzdem sei gesagt, daß die sich abzeichnende Verlagerung der kreativen Energien hin zu elektronischen Systemen nicht nur die Marktverhandlungsfähigkeit umgehen, sondern die grundlegenden Stützen jenes Systems der Kunst, das Kimmelman wohl gerne aufrechterhalten sehen würde. Denn in der Tat, die Verbindung von Kommunikation und Ästhetik, wie während Jahrzehnten von Installationen, Sound, Video und Medienkunst deutlich gezeigt wurde, hat sich als ungeeignet erwiesen, komfortabel in die linearen Kategorien von sowohl Kunstkritik als auch Kunstgeschichte zu passen.

Das Kernproblem ist, daß das Netz sich antithetisch zur Idee der Kuratorenschaft verhält und daß sein reicher, aber in evidenter Weise immer noch experimenteller Zustand dagegen spricht, daß man es als mehr als ein Set von Möglichkeiten beschreiben kann, abgesehen von den guten Intentionen unerfahrener "Kuratoren". (Allerdings entstand ein extrem witziger Austausch auf dem "runden Tisch" der in Folge der Ausstellung PORT - Navigating Digital Culture entstand und der Begriffe wie "Advokaten", "Möglich Macher" und "Auswähler" einführte, um die Verantwortlichkeiten, die mit Kuratorenschaft verbunden sind, zu umschreiben). Allerdings hat die Ausstellung PORT, eine Mischung aus Anarchie, Indoktrination und Pädagogik, ihre eigenen Ansprüche leider deutlich unterschritten. Die Presseerklärung verkündet:

Wir sehen dies als eine bahnbrechende Ausstellung und vielleicht als ein Modell für zukünftige Ausstellungsstrategien.[...]Versuche, digitale Kultur in einer institutionellen Umgebung zu kreieren ähneln in vielen Aspekten Versuchen, Kulturgegenstände fremder Kulturen, die nicht für Museen geschaffen sind, ebendort auszustellen. [...] Wir hoffen einen Grad an Flexibilität erreichen zu können, der Veränderungen auch während der Ausstellung ermöglicht und ein Klima unterstützt, das Zusammenarbeit ebenso wie Selbst-Ausbildung des Publikums ermöglicht.
PORT Pressetext

Neben dem, was sich als Unvertrautheit mit der Geschichte und weitgestreuten Ausstellungstätigkeit von Medienkunst und Kunst im Web zu erkennen gibt (und ihren zahlreichen Vorläufern), der weitläufigen Annäherung von Kommunikationsmedien mit einer Anthropologie von Kulturgegenständen und der zweifellos wohlgemeinten "Selbst-Ausbildung" des Publikums, bleibt eine verstörender Grad an Verwirrung zurück. Sicherlich, der Versuch, das WWW in die Realität der institutionalisierten Kunst, seine Ausstellungstätigkeit und seine Theorie zurückzuholen erscheint grotesk. Was so interessant ist, ist, daß das Web die Wirksamkeit solcher selbstreferentieller, pseudo-autoritärer Neo-Modernismen ins Nichts auflöst und sich selbst nicht als utopische Sphäre der "Nichtbetroffenheit-als-Befreiung" (wie Kimmelman vorschlug) positioniert, und auch nicht als Phantom eines öffentlichen Raums in der Gegenwart verwirklicht durch konfuse Ästhetisierungen, sondern als bedingtes Terrain für sich verändernde Ideen, das ein Konzept von Kunst und ihrem zweifelhaften Festhalten an entweder Zeitlosigkeit oder Unmittelbarkeit zur Disposition stellt.

Ausgehend vom starken Interesse, das Web auf deleuzianische Theorien von Rhizomen zu gründen, auf schlüpfrige utopische Ideen von elektronischer Biologie, auf einer postmodern zerstreuten 'Universalität ohne Totalität' (wie Pierre Levy vorschlägt), setzt sich eine durchdachte Zugangsweise zur Entwicklung von Kreativität im Netz nur langsam durch. In all dem Chaos gibt es einige nüchterne Stimmen:

Mit dem Wachsen des Netzes entsteht, sich schüchtern "net.art" nennend, etwas Neues, das nun versucht, sich selbst zu definieren, und seine Unterschiedlichkeit zu anderen Formen von Kreativität in Erfahrung bringt. Die Probleme der gegenwärtigen Phase von net.art sind, so wie ich es sehe, tief verwurzelt in der gesellschaftlichen Bestimmung der Begriffe "Kunst" und "Künstler". Werden wir es schaffen, unsere Egos zu überwinden und die veralteten Ideen von Repräsentation und Manipulation aufzugeben? Werden wir uns kopfüber in die Welt der puren Kommunikation stürzen? Werden wir uns noch "Künstler" nennen?
Alexeij Shulgin

Die gegenwärtige Praxis im Netz ist voller Designer-Wissen und Erfahrungen und ihren Repräsentationen. Es gibt aber auch noch andere Anziehungspunkte für Erfahrungen und Erfahrungen, die sich der Verfielfältigung entziehen. Für diese einzigartigen Ereignisse sind die Netzwerke ein unmöglicher Ort. Man soll das Netz benutzen um lokale Ereignisse zu verstärken aber zugleich die Option aufrecht halten, auch ohne es auszukommen.
Siegfried Zielinski

Was werden wir also mit unbegrenzter Bandbreite anfangen? Ist die Fetisch-Fantasie von voll ausgefahrener Kommunikation mit maximaler Geschwindigkeit nur eine weitere Leinwand, auf die wir die Utopie einer universellen Verständigung zwischen den Menschen projizieren können? Wenn jeder ein Sender ist, wer wird dann noch den Mund halten und zuhören?
Marleen Stickker

Timothy Druckrey ist Autor und Publizist zu Kunst- und Wissenschafts-Themen und lebt in NYC.

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Medosch