Paradigmenwechsel in Exoplaneten-Forschung: Planetenjäger entdeckten erstmals Atmosphäre bei einem extrasolaren Planeten

Der "zweiten Erde" ein Stück näher gekommen - Kombination von Transit-Technik und "Hubble" machten es möglich

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Vor einigen Tagen gaben US-Astronomen einen astrobiologischen Erfolg der Extraklasse bekannt. Offensichtlich ist es erstmals gelungen, einen extrasolaren Planeten mit einer eigenen Atmosphäre zu detektieren. Mithilfe von "Hubble" und einer neuen Beobachtungsstrategie entdeckten die Forscher in 150 Lichtjahren Entfernung ein chemisches Element, das auch bei uns keine Seltenheit ist. Auf der Suche nach der 'zweiten Erde' bedeutet dieser Erfolg ein gewaltiger Sprung nach vorn. Kein Wunder, dass sich unter den ohnehin erfolgsverwöhnten Planetenjägern jetzt ein neuer Optimismus breit macht.

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Ist es nicht erstaunlich, dass zwischen der griechischen Antike und dem Jahr 1917, dem Jahr der Oktober-Revolution und dem Jahr des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg schätzungsweise 170 Bücher zu dem Thema "Leben im All" verfasst wurden. Zumindest der weltweit bekannte Planetenforscher Geoffrey Marcy weiß diese Entwicklung zu würdigen. "Von Aristoteles bis Kant haben sich die klügsten Männer den Kopf zerbrochen, ob in unserem Universum andere Erden und andere Lebensformen existieren. Und jetzt stehen wir kurz davor, endlich dieses jahrtausendalte Geheimnis zu lüften."

Gestern Spekulation - heute Mainstream

Dass die Astrobiologen, Exobiologen, Bioastronomen, Kosmobiologen - sie sind Vertreter ein und derselben Sache und verfolgen das gleiche Ziel - und dass die Planetenforscher sowie SETI-Wissenschaftler derzeit voller Optimismus in die Zukunft blicken, kann angesichts der aktuellen Entwicklungen und Fortschritte im Bereich der Astrobiologie, der Exoplaneten-Forschung und SETI-Astronomie kaum mehr verwundern, obwohl der Planetenjäger-Zunft zugestanden werden muss, von allen exobiologisch angehauchten Disziplinen den größten Sprung gemacht zu haben.

Sie und keine andere konnte in den letzten Jahren die meisten Erfolgsmeldungen für sich verbuchen. Sie sind der Zwillingserde scheinbar näher als SETI der interplanetaren Flaschenpost oder Astrobiologen der ersten Alien-Mikrobe. Was früher nur reine Spekulation gewesen war und einige Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen ins Reich der Legenden verwiesen haben, ist heute "Mainstream": Planetensysteme in den Tiefen des Alls sind die Regel. "Die Suche nach Planeten wird für viele Jahre einer der wichtigsten Forschungszweige der Astrophysik sein" prophezeite bereits vor zwei Jahren Michel Mayor, der im Jahr 1995 zusammen mit Didier Queloz vom Genfer Observatorium bei dem Stern 51 Pegasi den ersten Planeten einer noch nicht erloschenen Sonne entdeckte. Seitdem sind den Planetenjägern 80 Exoplaneten in die weltweit ausgelegten Fangnetze gegangen. Da die Beobachtungstechniken und -strategien, aber auch das Instrumentarium der Forscher immer sensibler und damit besser werden, kommen fast monatlich neue hinzu. "Trotzdem sind wir noch weit davon entfernt, eine zweite Erde zu entdecken. In zehn bis fünfzehn Jahren könnte es aber so weit sein", dämpft Michel Mayor gleichwohl jeden Anflug von verfrühtem Optimismus.

Um eine Nuance optimistischer klingt die Prognose von Laurance R. Doyle vom SETI-Institut in Mountain View/Kalifornien: "Gibt es da draußen Planeten wie den unsrigen? Sind sie bewohnt? Gegen Ende des Jahrzehnts werden wir es wissen." Voller Zuversicht ist auch Dr. Herbert Scheingraber vom MPI für extraterrestrische Physik in Garching: "Ich glaube schon, dass wir gegen Ende dieses Jahrzehnts einen erdähnlichen Planeten finden werden." Und für David Latham vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts ist die Exoplanetenforschung gerade erst am Anfang: "Bislang haben wir erst bei ein paar Prozent der beobachteten Sterne Planeten aufgespürt. Die Auswahl ist riesig."

Nadel im Heuhaufen aus Nadeln

In der Regel lassen sich weit entfernte Planeten nicht mit der konventionellen Methode lokalisieren, da jeder anvisierte Stern das Licht seiner Trabanten, die sein Licht wiederum nur schwach reflektieren, gänzlich überstrahlt. Es ist so, als suchte man eine Nadel in einem Heuhaufen, der selbst nur aus Nadeln besteht. Daher messen die Wissenschaftler die Gravitationskraft der Planeten und die daraus resultierende kleine Bewegung des Zentralsterns. Beginnt ein Stern zu eiern, lassen sich seine rhythmischen Verschiebungen anhand der Änderung der Radialgeschwindigkeit feststellen. Bewegt sich der Stern dabei minimal auf die Erde zu, dann erscheinen die Spektrallinien zum blauen Licht des optischen Spektrums verschoben, also zum kürzeren, wohingegen im umgekehrten Fall das Ganze eine geringe Rotverschiebung aufweist.

Mittels dieser periodischen Doppler-Verschiebung sind die Astronomen in der Lage, die Änderung der Radialgeschwindigkeit zu errechnen und dadurch auch auf die Bahndaten des Planeten zu schließen. Bereits heute können Exoplanetologen das durch die Gravitation extrasolarer Planeten verursachte Schwanken der Sterne metergenau berechnen. Mit dem momentan zur Verfügung stehenden Gerät lassen sich selbst noch Sterne registrieren, die nur bis zu drei Meter pro Sekunde schwanken. Zu wenig, um einen Planeten in der Größe der Erde aufzuspüren; hierfür müsste die Messgenauigkeit bis auf acht Zentimeter pro Sekunde verfeinert werden. Schon in absehbarer Zeit wollen die Forscher diesen Wert immerhin bis auf einen Meter pro Sekunde optimieren.

Damit böte sich ihnen die Option, entschieden kleinere Planeten als bisher zu orten - in einer Größenklasse, die bis das zu 20-fache Masse der Erde beträgt. Erst kürzlich konnte das Planet Search Team mit dieser Methode das verräterische periodische Wackeln des Ursae Majoris deutlich lokalisieren, weil das Instrumentarium des Lick-Observatoriums in Kalifornien derart stark optimiert wurde, dass der minimale Wackeleffekt des Sterns von gerade mal 11 Meter pro Sekunde noch registriert werden konnte. "Von allen Sonnensystemen, die bislang gefunden wurden, ist dies dasjenige, das unserem System am ähnlichsten ist", lautete die letzte Erfolgsmeldung der Planetenforscher, die Debra Fischer von der University of California in Berkeley noch vor wenigen Wochen stolz verkünden konnte. Jetzt gibt es wieder eine neue.

Gaskugel mit Atmosphäre

Erbeutet wurde dieses mal zwar kein Planet, dafür aber ein Charakteristikum respektive eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Leben. Der Fund bringt die Astrobiologie einen entscheidenden Schritt nach vorn. Erstmals konnten US-Forscher mit dem Hubble Weltraumteleskop das Vorhandensein einer geringen Menge von Natrium bei einem Planeten einer fremden Sonne nachweisen, was als deutlicher Hinweis für die Existenz einer dortigen Atmosphäre gewertet wird.

Bei dem Exoplaneten handelt es sich um den 150 Lichtjahre entfernten Begleiter des sonnenähnlichen im Sternbild Pegasus gelegenen Sterns HD 209458. Im Vergleich zu seinen planetaren "Kollegen" gilt der Sterntrabant mit gerade mal 63 Prozent der Jupitergröße als relativ klein. Gleichwohl benötigt der Gasplanet, auf dem Temperaturen bis zu 1.100 Grad Celsius herrschen, für einen Umlauf um sein Muttergestirn nur 3,528 Erdtage. Allerdings stehen solche gasförmigen, massereichen Planeten schon seit geraumer Zeit im Verdacht, mittels ihrer Gravitation Gase und möglicherweise andere Substanzen einzufangen, um eine Atmosphäre zu bilden. Für Timothy Brown vom "National Center for Atmospheric Research" in Boulder (Colorado) hat das Spekulieren jetzt ein Ende: "Zum ersten Mal können wir auf unserer Sternkarte einen Planeten mit einer Atmosphäre einzeichnen". Zusammen mit dem Teamleiter David Charbonneau vom California Institute of Technology in Pasadena stellte er letzte Woche seinen aktuellen Fund im Rahmen einer NASA-Pressekonferenz vor.

Da der Nachweis einer Atmosphäre bei einem Exoplaneten nur noch eine Frage der Zeit war, werten die Wissenschaftler derweil nicht den Fund selbst als überraschend, sondern vielmehr die Tatsache, dass dieser mit dem Hubble Teleskop gelang. "Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet Hubble die Entdeckung machte, weil das Weltraumteleskop ursprünglich nicht dafür entwickelt wurde, extrasolare Planeten aufzuspüren" sagt Alan Boss vom Carnegie Institut. "Wir haben eine neue Phase der Entdeckung extrasolarer Planeten und deren Charakterisierung eingeleitet." Mitentscheidend für das Auffinden des Natriums war, dass sich die Forscher bei der Suche gänzlich auf das metallische Element konzentrierten. "Natrium wirkt wie der Geruch eines Stinktieres", erklärt Brown. "Es ist leicht aufzuspüren, selbst wenn davon nur geringe Spuren vorhanden sind."

Transit-Technik ermöglichte sensationellen Fund

Aber nicht mit der klassischen Suchmethode, sondern mit der so genannten Transit-Technik wiesen die Forscher jüngst das Natrium nach. Bei dieser Methode "fokussiert" sich das Weltraumteleskop nicht mehr auf den gravitationsbedingten Tanz der Sterne, sondern auf Planeten, die vor ihrem jeweiligen Heimatstern vorbeiziehen. Steht der Sterntrabant zwischen Teleskop und extrasolarer Sonne, wird das Licht, das der Heimatstern aussendet, geringfügig abgeschwächt, aber immer noch stark genug, um den unsichtbaren Planeten "sichtbar" zu machen, wobei diese Methode nur funktioniert, wenn der anvisierte Stern, der extrasolare Planet und die Erde in einer Linie stehen. "Wenn beispielsweise außerirdische Astronomen unsere Sonne beobachten würden, könnten sie alle 365,24 Tage eine geringe Abnahme ihrer Helligkeit bemerken und so auf die Anwesenheit der Erde schließen", so Laurance R. Doyle vom SETI-Institut in Mountain View, Kalifornien.

Trifft indes das von dem Stern ausgesandte Licht auf einen Planeten mit einer Atmosphäre, dann wird das Licht von derselbigen gefiltert. Genau diesen Effekt machte sich der STIS-Spektrograph an Bord von Hubble zunutze, indem er das Licht in seine einzelnen Farbbestandteile zerlegte und dabei die spezielle Lichtsignatur, gewissermaßen den Fingerabdruck des Natriums, registrierte. Obwohl auch der Stern HD 209458 in seinen äußeren Schichten Natrium hat, konnten die Astronomen, als das Sternlicht die Atmosphäre des Planeten passierte, einen leichten Mengenzuwachs an Natrium feststellen, der etwas weniger als ein Prozent ausmachte. Rein quantitativ hätte der Natriumfund eigentlich größer ausfallen müssen, wofür nach Ansicht der Astronomen Wolken in der exoplanetaren Atmosphäre verantwortlich sein könnten, die einen Teil des Lichts blockieren.

Insbesondere Astrobiologen dürften jetzt große Hoffnungen in Hubble und die Transit-Technik setzen, die, sofern sie weiterentwickelt und optimiert wird, laut Charbonneau und Brown vielleicht in zehn Jahren dazu genutzt werden könnte, um chemikalische Stoffe und Prozesse zu detektieren, die nur das Ergebnis von biologischen Aktivitäten sein können. Auf diese Weise ließen sich zwar keine Aliens direkt aufspüren, aber immerhin würden sich so jene chemischen Substanzen nachweisen lassen, die extraterrestrisches Leben verursacht und produziert haben könnten.

Ganz gewiss werden aber wohl noch viele Jahre durch Universum ziehen, bis die alles entscheidende Frage beantwortet wird, die sich das Gros der Planetenjäger insgeheim schon oft gestellt hat: Sind wir allein im Universum? Einer, der einmal hierauf eine aphoristische Antwort zum Besten gab, war Metrodorus von Chios: "So unnatürlich es wäre, wenn ein ganzes Weizenfeld nur eine einzige Weizenähre hervorbrächte, so unnatürlich wäre nur eine belebte Welt im unendlichen Universum." Ein netter Vergleich, der doch irgendwie vertraut und zeitgemäß klingt. Doch sind diese Worte bereits vor sage und schreibe 2000 Jahren geprägt worden.