Partei der Zombies: Die FDP ist schon tot – sie weiß es nur noch nicht
Mit Liberalismus hat das alles schon lange nichts mehr zu tun: Dabei hatten sie die Chance, die vernünftigen Grünen zu werden. Kommentar.
Freiheit gehört nicht nur den Reichen.
Lisa Herzog, Wirtschaftsphilosophin
Sind die Liberalen überflüssig? Keineswegs. Ist die FDP überflüssig? Auf alle Fälle. Der Irrtum der politischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik lag nur über Jahrzehnte darin, beides miteinander zu verwechseln.
"Die Liberalen" – so nennt sich die FDP gerne selbst, als ob sie die Einzigen wären und obwohl schon längst auch die Grünen, die SPD und die Union für sich behaupten, "liberal" zu sein. Dieser Alleinvertretungsanspruch ist auf der Ebene des politischen Marketings nachvollziehbar.
Nur genügt es auf Dauer nicht, Behauptungen aufzustellen – man muss sie irgendwann auch mit Leben erfüllen. Seit über 30 Jahren leistet gerade das die FDP nicht. Schon lange steht die FDP nur noch für eine vereinseitigte und aus der Zeit gefallene Schrumpfform des Liberalismus – und mit dieser ist auch die Partei zunehmend geschrumpft.
Alles spricht dafür, dass die FDP nach ihrem Ausscheiden aus fünf Landesparlamenten seit 2021 auch aus dem Bundestag fliegt. Wenn das geschieht, wird ihr die Wiederauferstehung nicht so leicht gelingen, wie nach dem ersten Ausscheiden 2013. Die FDP ist schon tot. Sie weiß es nur noch nicht.
Die Stimme der Vernunft in der Corona-Krise
Was ist geschehen? Die Corona-Pandemie war für die FDP ein Geschenk des Himmels. Hier machte die Partei aus ihrer Oppositionsrolle das Beste. Neben den pandemieverängstigten, merkeltreuen Grünen und einer Linkspartei, der außer dem Herumreiten auf Lohnfortzahlung zur gesellschaftlichen Erschütterung nichts einfiel, profilierten sich FDP-Politiker als rationale Kritiker der Regierungspolitik.
Die FDP hielt Abstand zu allen Querdenkern und Corona-Leugnern, war aber gegenüber der Corona-Politik die Stimme der Vernunft. Die Stimme der nicht so übertriebenen, nicht so autoritären, nicht so strikten Maßnahmen, die sich vom kurzatmigen Kurs von Spahn & Co scharf abgrenzte.
Davon haben sie bei der Bundestagswahl 2021 und besonders bei jungen Wählern sehr stark profitiert.
Ampel als große Chance der FDP
Die Bildung der Ampelregierung war vor diesem Hintergrund eine große Chance für die FDP. Fast gleich stark neben SPD und Grünen hätten sie es auch hier leicht gehabt, auf individuelle Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit zu beharren, und den Bürger gegen einen übergriffigen Staat zu verteidigen.
Doch anstatt die grüne Neigung zu Weltverbesserei und Gutmenschentum und den Klimaschutz-, Umwelt- und Anti-Technikfundamentalismus der Grünen auszunutzen, die Leerformel vom "Grünen Wachstum" durch echte Wirtschaftskompetenz mit Leben zu füllen und an der Seite die Grünen die Stimme der Vernunft innerhalb unvermeidlicher Reform- und Fortschrittspolitik der Ampel zu geben, wurde man selbst zu noch fanatischeren Fundamentalisten – der "Schuldenbremse" und Ausgabenkürzung, die zum Fetisch der Partei wurden.
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Fundamentalisten der Schuldenbremse
Waren die Grünen lange Zeit die Partei der Unbelehrbaren, die mit der Alternativlosigkeit von Energiewende und selbstauferlegten Klimazielen argumentierten, ist in der Ampel vor allem die FDP die Partei der Unbeweglichkeit.
Haushaltspolitik und Schuldenbremse sind für sie kein Mittel zum Zweck, sondern ein Fetisch. Genau das gefällt auch ihren Wählern nicht: diese fundamentalistische Attitüde, diese von irgendwelchen Ideen und irgendeiner absolutistisch gesetzten Kassen-Moral, nicht von Vernunft getriebene Politik.
Das einzige zweite Thema war ausgerechnet die Ukraine-Politik, zu der der FDP allerdings außer dem Mantra "Mehr Waffen für die Ukraine" nichts einfiel. Auch hier trat die FDP mit ähnlichem moralischem Furor auf wie die Grünen und ohne jede Gelassenheit, wie sie Bundeskanzler Scholz zumindest ansatzweise an den Tag legt. Und ohne jede Skepsis, wie die Kriegstreiber und größten Scharfmacher in der Regierung, weit schärfer noch als die Union in ihrer großen Mehrheit.
Diese militaristische Ukraine-Politik war von Anfang an unpopulär. Der FDP fehlte zudem die politische Basis, um ihre Ukraine-Position nachhaltig zu begründen: Ohne Außenamt oder Verteidigungsministerium, ohne die Ausschüsse für Außenpolitik und Europa, blieb ihr nur der Verteidigungsausschuss – und eine fragwürdige Figur wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann, deren Engagement zwar im eigenen Wahlkreis der Düsseldorfer Rheinmetall gut ankam, die aber selbst die eigene Partei so lange nervte, bis "Stracki" im Sommer ins Europaparlament entsorgt wurde.
Was Rechtsstaatlichkeit, Bürgerfreiheit und Staatsskepsis heißen könnte
Im Gesamtbild macht die FDP damit inzwischen längst eine antiliberale Politik des doppelten Fundamentalismus: Ähnlich auch in der Bildungs-, der Wirtschafts- und der Verkehrspolitik: Dort ist die FDP die Partei der Vergangenheit – in dem Sinn, dass sie eine einseitige Autofahrerlobby und Autobahnpartei ist, anstatt die Partei des technologischen Fortschritts zu sein.
Die FDP hat aber nicht verstanden, dass ihr theoretisches Alleinstellungsmerkmal, der Dreiklang aus Rechtsstaatlichkeit, Bürgerfreiheiten und Staatsskepsis, nach Ende der Pandemie eine andere Gestalt haben muss als während dieser Zeit.
Bürgerfreiheit bedeutet das Recht auf Schulen mit genügend Lehrern, sauberen Räumen und funktionierenden Toiletten. Sie bedeutet, den Rechtsanspruch von Eltern auf Kitaplätze ebenso durchzusetzen wie den der SUV-Fahrer auf genügend Parkraum.
Die Rechte der Autofahrer kann man nur glaubwürdig verteidigen, wenn das Recht auf öffentlichen Nahverkehr gerade für die Bedürftigen auf dem abgehängten Land ebenso gilt. Und zu fairen Preisen, denn "freie Fahrt für freie Bürger" gibt es erst wieder, wenn die Dauer-Staus auf den Autobahnen verschwinden, also ein nennenswertes Maß der Verkehrsteilnehmer auf Bus und Bahn umverteilt wird.
Dazu wären auch massive Investitionen in die marode Bahn eine Kernfrage der Garantie des Bürgerrechts auf Bewegungsfreiheit.
Kassenwart der Nation
Alles das würde das Ausleben der bürgerlichen Freiheiten überhaupt erst möglich machen. Statt Freiheit aber in diesem Sinn als staatliche Handlung zur Ermöglichung von mehr Bürgerfreiheit zu interpretieren und im Wirtschaftsministerium durch Investitionen Freiheitsräume zu erweitern, sicherte sich die FDP das Finanzministerium und wurde zum Kassenwart der Nation.
Nicht anders als in jedem Verein sind Kassenwarte auch in der Politik die nervigsten und unbeliebtesten Akteure. Die Verhinderer.
Vielleicht war das der Kardinalfehler im Ampelkoalitionsvertrag. Von den alten FDP-Erfahrungen aus den Zeiten, als die Partei in 46 von 49 Jahren bundesdeutscher Geschichte mitregierte und in den Regierungen jeweils die Stimme der Vernunft und des Ausgleichs war, zu lernen, und sich das Außenministerium, das Innenministerium und das Wirtschaftsministerium zu sichern, beharrte man auf den Ressorts Finanzen, Justiz und Verkehr.
Schrille Krakeeler am Spielfeldrand
Und hier ist man nicht mehr die Stimme von Vernunft und Ausgleich, sondern ein schriller Krakeeler am Spielfeldrand, der den Regierungsauftrag der Wähler innerlich noch immer nicht angenommen hat, sondern Opposition innerhalb der eigenen Regierung sein will.
Die FDP ist somit zugleich eine Partei von gestern, die das 20. Jahrhundert immer noch nicht verlassen hat, und eine unreife Partei, die unfähig ist, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Sie gibt den Clown und das unartige Kind, statt die Stimme der Vernunft.
Es gibt eine Alternative zur FDP
Ähnlich wie es die Grünen lange waren, ist die FDP heute eine Einthemenpartei. Die einzige Antwort, die die FDP auf eine politische Frage gibt, lautet: "Tina! – There is no alternative".
Es gibt aber immer eine Alternative, das muss der FDP klar sein. Es ist genau die Aufgabe einer politischen Partei, auch gute Alternativen zur eigenen Politik zu entwickeln. Ansonsten werden die Wähler der FDP zeigen, dass es zumindest eine Alternative zu ihr gibt: Sie nicht zu wählen.