Paschtunen: Umfassende Ablehnung westlicher Werte und Ideen

Bild (2009): US-Army/gemeinfrei

Seit fast 200 Jahren versuchten westliche Mächte, wie auch Russland, Afghanistan in ihre Einflusssphäre zu integrieren und die Paschtunen gefügig zu machen – erfolglos. Dabei wird es wohl bleiben.

Die Paschtunen siedeln in der Region zwischen Hindukusch und Indus. Sie unterteilen sich in eine Vielzahl verschiedener Stämme und sind mit mehr als 50 Millionen die weltweit größte Stammesgemeinschaft.

Das Ministerium für Höhere Bildung in Afghanistan hat laut einer Meldung der Tagesschau von diesem Wochenende private wie öffentliche Hochschulen angewiesen, Frauen von Aufnahmeprüfungen für das kommende Studienjahr auszuschließen: "Die Taliban dämpfen damit die Hoffnung, das im Dezember verhängte Hochschulverbot für Frauen könnte wieder aufgehoben werden."

Unter "Stamm" darf man sich in diesem Fall kein Naturvolk wie im Amazonas oder Papua-Neuguinea vorstellen, im Gegenteil: In Afghanistan sind sie das staatstragende Volk (lang waren "Afghane" und "Paschtune" synonym) und mit mehr als doppelt so vielen Menschen das zweitgrößte Volk Pakistans. Durch die britische Kolonisation Indiens haben vor allem die östlichen Stämme schon lange ausgiebig Kontakt mit westlicher Kultur und Macht, Werten und Ideen.

Trotzdem hat kein Volk Asiens, vor allem keines in dieser Größe, sich so dauerhaft und erfolgreich fast jeglicher europäischer Einflussnahme – und das bedeutet in diesem Fall auch russischer – widersetzt. Es gibt in Asien nirgendwo so viele Menschen, die westliche Werte und Ideen so umfassend ablehnen wie bei den Paschtunen.

Dennoch wurde wiederholt und zumeist mit brutaler Gewalt versucht, sie in westliche Systeme zu integrieren. Doch so kommt man ihnen nicht bei, wie die lange Reihe gescheiterter Unternehmen beweist.

Die Briten in Afghanistan

Nachhaltige Erfahrungen mit Europäern machten die Paschtunen Afghanistans mit der East Indian Company. Diese expandierte in Indien und machte sich, noch bevor sie den Indus überschritt, Sorgen vor russischem Einfluss viel weiter im Westen. Das sollte durch die Inthronisierung eines loyalen Königs verhindert werden, der gleichzeitig das von endlosen Stammesfehden zerrissene Land befrieden würde.

Der Erste Anglo-Afghanische Krieg endete 1842 zwar nicht mit einer totalen Niederlage der Briten, doch verloren sie eine komplette Armee, bevor sie sich mit einem zweiten Feldzug rächten und zumindest strategisch den Zustand vor dem Krieg herstellten.

Finanziell allerdings war der Krieg eine Katastrophe, was die Company als Aktiengesellschaft umso stärker schmerzte, da ihr Zweck eine positive Handelsbilanz und nicht territoriale Ausdehnung war. Und ausgerechnet der Duke von Wellington, Sieger über Napoleon bei Waterloo und das Militärgenie seiner Zeit, hatte im Vorfeld vor den geringen Siegesaussichten einer direkten Intervention gewarnt.

Nach der Schlappe verlegten sich die Briten auf indirekte Maßnahmen und dirigierten erfolgreich die Außenpolitik des Emirs in ihrem Sinne. Ihn zu kaufen war vielfach günstiger, als ihn zu zwingen. Trotzdem kam es vierzig Jahre später aus praktisch den gleichen Gründen zum Zweiten Anglo-Afghanischen Krieg.

"Gelöst" war das Afghanistan-Problem auch danach nicht. Doch nach Erreichen der Ziele (direkte Übernahme der Außenpolitik, Abwehr der Russen) erfolgte nach zwei Jahren der Abzug ohne große Verluste. Emir wurde Abdur Rahman Khan, der "Eiserne Amir", der mit britischer Hilfe, darunter große Mengen von Waffen, und größter Brutalität versuchte, sein Land in die Moderne zu katapultieren.

Sein Enkel Amanullah zettelte 1919 noch einen dritten Anglo-Afghanischen Krieg an, doch dieser blieb folgenlos und wurde bald beendet.

Die Briten in Indien

Prägender für die Paschtunen, weil von viel längerer Dauer, war die Kolonisierung Indiens. 1849 unterlagen die Sikhs den Briten, die darauf bis zum Khyberpass und Balochistan vordrangen. Für fast hundert Jahre lebte der Großteil der Paschtunen unter britischer Herrschaft, zuerst unter der Company und ab 1857 unter der Krone.

Ihr bescherten sie wenig Freude. Die Briten waren bestrebt, dass im Imperium Friede, Ruhe und Ordnung herrschten. Den Gefallen taten die Paschtunen ihr nicht. Vom Zeitpunkt, als die Briten über den Indus setzten, bis zu ihrem Abzug herrschte kein einziger Tag Frieden in allen Paschtunengebieten.

Die Briten versuchten es nicht nur mit reiner Gewalt, das hatten sie aus Katastrophe von 1842 gelernt. Stammesälteste und Mullahs wurden durch Stipendien ruhiggestellt, was jedoch nie von Dauer war, weil die Forderungen stetig stiegen. Die meisten Gebiete wurden zu Tribal areas erklärt; zu Stammesgebieten, die nur formal zur Kronkolonie gehörten und wo die staatliche Verwaltung de facto nicht existierte.

Es gab keine Rechtsprechung, eigene Konflikte mussten (und wollten) die Stämme selber lösen. Andererseits galten bei Delikten gegen den Staat und bei Angriffen auf "settled areas" drakonische Strafen und Sippenhaftung. Die Paschtunen haderten trotzdem mit der Unterwerfung und probten regelmäßig den Aufstand, ob unter Mullah Powindah um 1900 oder dem Fakir von Ipi in den 1930er-Jahren.

Winston Churchill war Zeuge der Niederschlagung eines Aufstands der Mohmand 1897 und schrieb darüber sein erstes Buch. Dann kam die Peitsche zum Zug. Verbrannte Erde war die gängige Vergeltungsstrategie und ab 1920 begannen erste Luftangriffe auf zivile Ziele.

Der Großteil der Armee war im äußersten Westen der Kolonie stationiert und doch kehrte niemals Ruhe ein. Besonders provokant empfanden die Stämme 1893 die Teilung ihrer Gebiete durch eine internationale Grenze: die Durand-Linie. Die Briten verließen den Subkontinent, ohne dieser Region wie sonst anderen ihren Stempel aufgedrückt zu haben.

140 Jahre britische Paschtunenpolitik

Die Briten kolonisierten Indien auf raffinierte Weise. Trotz ihrer bis zum Ende geringen Anzahl und anfänglich bescheidenen Ressourcen wurden ein Riesengebiet und noch mehr Menschen unterworfen.

Schlüssel war die genaue Kenntnis aller Aspekte des Landes und zumindest zu Zeiten der Company sprach jeder Brite eine, wenn nicht mehrere indigene Sprachen. Im Westen stießen sie jedoch an ihre Grenzen. Nach dem ruinösen ersten Feldzug war klar: Afghanistan zu besiegen, war leicht, sogar ziemlich leicht, doch zu regieren unmöglich.

Genauer gesagt – es war möglich, doch kein Gewinn rechtfertigte die Kosten, die ins fast Unermessliche stiegen. Es gab in dem Land nichts als Sand, Steine und wilde Stämme, die ihre Art zu leben wie kaum sonst jemand verteidigten – was wollte man dort?

Deshalb: Strafexpedition ja, Besetzung nein. Die beste Lösung war, die Geschicke von außen zu lenken, wie es mit den Königen Dost Mohammad, Abdur Rahman und Amanullah gelang, die unterstützt wurden, ihr Reich zu einer (im weitesten Sinn) modernen und wohlgesinnten Nation zu formen.

Auf deren eigenem Territorium wurde versucht, die Paschtunen so gut wie möglich allein zu lassen, was jedoch fast komplett misslang. Als Nichtmuslimische waren Briten "haram", dem religiösen Gesetz nach verwerflich. Selbst in den settled areas galt als oberste Devise keine Einmischung in religiöse, kulturelle, innerfamiliäre (sogenannte family problems – Fehden) und soziale Angelegenheiten.

Die extrem restriktive Geschlechtertrennung (purdah) war ein besonderes Hindernis, die halbe Bevölkerung grundsätzlich unerreichbar. Die Paschtunen kümmerten sich nicht um koloniales Recht, für sie zählt seit frühester Zeit der Ehrenkodex pashtunwali (der öfter auch der Scharia widerspricht, besonders im Fall der Rechte der Frauen).

Im Nachhinein wurden 100 Jahre britische Herrschaft von beiden Seiten zum Teil erheblich verklärt, doch in Wirklichkeit überwog in dieser Hassliebe beidseitig das Erste.

Der Ordnungs-Versuch der Sowjetunion

Angesichts der britischen Erfahrungen ist kaum nachvollziehbar, was die Entscheidungsträger der Sowjetunion bewog, an Weihnachten 1979 ihren in Kabul in der Klemme sitzenden Genossen zur Hilfe zu kommen.

Die Invasion entwickelte sich zur einer der unglücklichsten Episoden der Sowjetepoche und führte zwar nicht allein, aber mitentscheidend zu deren Ende. Dabei hatte es im Vorfeld an warnenden Stimmen nicht gefehlt.

Natürlich verfolgte man als direkter Nachbar Afghanistans die dortigen Vorgänge. Das Great Game mit den Briten wich dem Kalten Krieg mit den USA. Es lief vor allem auch umgekehrt: Das bitterarme, rückständige Afghanistan konnte nicht wählerisch sein, ging selber auf alle potenziellen Freunde zu und nahm Geld egal, woher es kam. Und scheute auch nicht vor Erpressung zurück. Um eine Weltmacht zur Zahlung zu bewegen, wurde mit der anderen gedroht.

Aufmerksam verfolgte (und weniger erfolgreich dirigierte) Moskau die 1965 gegründete People's Democratic Party of Afghanistan (PDPA), die es nicht wagte, sich im stockkonservativen Umfeld "kommunistisch" zu nennen. Bald bemerkte Moskau die berüchtigte Streitsucht: Die PDPA zerfiel in zwei Fraktionen und das nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Stammeskonkurrenz.

Die Sowjets brachen mit einem ihrer zentralen Dogmen und unterstützten zwei KPs. Das Politbüro war wenig erfreut, als einige Generäle der Khalq(Volk)-Fraktion der PDPA im April 1978 den republikanischen Präsidenten Mohammad Daoud stürzten. Die "Glorreiche Saur (April) Revolution" war nur ein besonders blutiger Armeeputsch.

Wohl waren die Sowjets vorher informiert, haben jedoch den Coup nicht gefördert, da keine einzige Voraussetzung für eine proletarische Revolution gegeben und mit unmittelbarem starkem Widerstand zu rechnen war, der dann auch aufkam. Es gibt Quellen, die behaupten, Moskau hätte Taraki und Amin, den Protagonisten der Khalq, strengstens abgeraten.

Unbestritten ist, dass es vor der Invasion zu heftigen Meinungsverschiedenheiten in Politbüro, Roter Armee und KGB kam. Denn, wie es zu erwarten gewesen war, fuhr sich die als gottlos wahrgenommene Khalq mit völlig überzogenen Reformen und brutalem Gewalteinsatz fest und rief nur ein Jahr nach der Machtübernahme nach Verstärkung aus Moskau.

Gleichzeitig erreichte ein neuer Machtkampf, jetzt innerhalb der Khalq den Höhepunkt. Hafizullah Amin ließ seinen Vorgänger Taraki ermorden, übernahm die Macht und setzte auf Staatsterror. Es folgte ein Blitzfeldzug, der Amin stürzen und die Mudschahedin neutralisieren sollte.

Amin war bald beseitigt, doch der Blitzfeldzug dauerte fast zehn Jahre und am Ende behielten die Mudschahedin die Oberhand. Dieser Einmarschbefehl gehört zu den verhängnisvollsten Beschlüssen der damals verkalkten KP-Führung. Michail Gorbatschow blieb nur der Rückzugsbefehl, um das bis heute blutigste Kapitel in Afghanistan zu beenden.

USA: Kapitale Fehlentscheidungen

Die Amerikaner waren ab den 1950er-Jahren entwicklungspolitisch engagiert. Sie bemerkten das Abdriften in den sowjetischen Orbit, unternahmen aber wenig, um Moskau vor seiner Haustür nicht übermäßig zu provozieren. Außerdem konnte man sich auf Pakistan und damals noch den Iran verlassen.

Die Möglichkeiten, die sich nach der verkorksten Revolution der PDPA boten, wurden jedoch sofort oder sogar vorhersehend wahrgenommen. Es gab einige warnende Stimmen, die aber mehr eine überharte Reaktion der Sowjets befürchteten als die Gefahren der Aufrüstung religiöser Fanatiker. Die Chance, dem Erzfeind die Schmach von Vietnam zurückzuzahlen, ließ man sich nicht entgehen.

Zur gleichen Zeit wurde islamistischer Terror ein weltweites Phänomen und ab Mitte der 1980er-Jahre immer lauter gefragt, ob den Amerikanern bewusst sei, dass sie im Kampf gegen die Sowjets die gleichen Kräfte unterstützten, die sie in der arabischen Welt bekämpften. Wiederum war für die afghanischen Mudschahidin, die zu Zweidritteln aus Paschtunen bestanden, der Sieg über die Sowjets nur der erste Schritt.

Für die aus der ganzen muslimischen Welt stammenden Sympathisanten, von denen sich manche ab 1988 zu einer Organisation namens al-Qaida vereinten, war das von Anbeginn klar – Dschihad bedeutete Kampf gegen alle Feinde des Islam.

Die beste Gelegenheit, dieser Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen oder sie zumindest um die territoriale Basis zu bringen, wurde verpasst, als man nach Abzug der Sowjets Afghanistan sich und seinen erschöpften Nachbarn überließ.

Natürlich ist es reine Annahme zu behaupten, es hätte die Möglichkeit zur Befriedung bestanden und man kann manchen verstehen, der in den 1990ern kein Interesse an einem Engagement hatte. Auch veränderte sich nach dem Kollaps der Sowjetunion das Weltgefüge und Afghanistan war nur noch ein Detail auf dem amerikanischen Bildschirm.

Doch es wurde nicht einmal versucht, dem Land nach dem Krieg eine Bruchlandung zu ersparen, was sich als kapitale Fehlentscheidung entpuppte. Pakistan, selbst zerrissen, ergriff die Initiative und förderte die Taliban, um Stabilität zu schaffen. Jedoch versanken beide im Chaos und wurden zum Tummelplatz von Extremisten und Fanatikern, zum idealen Brutkasten für globalen Terrorismus. Der 11. September 2001 war die logische Folge amerikanischer Politik und ihrer Versäumnisse.

Die US-Amerikaner gaben offen zu, dass sie sich getrieben von Vergeltungsgelüsten nicht den Kopf darüber zerbrachen, was geschehen soll, nachdem die Taliban gestürzt und al-Qaida zerschlagen waren. Und nicht nur Planlosigkeit war schuld; von Anfang an, seit 9/11, war das wirkliche Ziel Irak, dafür wurden die meisten Ressourcen zurückgehalten.

Es fehlten die Mittel, um beide Kriege konsequent zu führen. Das wurde bald bemerkt und nach wenigen Jahren war aus den Überresten der Taliban eine neue Bewegung geworden. Das war das zweite kapitale amerikanische Versäumnis, denn spätestens ab der schweren Dürre 2000 waren alle Afghanen erschöpft und kriegsmüde und hätten sich wohl jedem gebeugt, der eine auch nur leichte Verbesserung versprach.

Die ersten zwei, drei Jahre nach der Invasion waren die seit 1978 beste Chance für einen Neuanfang, doch aus Arroganz und Ahnungslosigkeit ließen die Amerikaner diese Chance verstreichen. Unter der unfähigen Bush W. Regierung entwickelte sich der Irakkrieg zu einem noch größeren Desaster als Afghanistan, wo das Wiedererstarken der Taliban die Konsequenz einer verfehlten Strategie war.

Der neue Präsident Obama versuchte zwar ab 2009 mit Aufstockung der Truppen das Ruder herumzureißen, doch da war schon aller Kredit verspielt – und Gewalt führt in Afghanistan ohnehin nie zu etwas. So kam es durch Inkompetenz, Betriebsblindheit, Tunnelblick und reines Chaos zum längsten Krieg der US-amerikanischen Geschichte – obwohl seit 2005 keine Chance auf einen wie auch immer gearteten Sieg bestand. Die Szenen vom Flughafen Kabul von Mitte August 2021, die an die Flucht aus Saigon erinnerten, waren das passende Ende eines Blindflugs ohne Strategie.

Den älteren Taliban waren wohl qualitative Unterschiede zwischen Sowjets und Amerikaner aufgefallen. Nicht aber, dass die einen im Namen eines totalitären Regimes agierten und die anderen im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten.

Den Insassen der Zellen der Hubschrauberbasis Bagram, die von den Sowjets gebaut und den Amerikanern betrieben wurde, war gleich, wer die Wärter und Folterknechte waren. Die Häftlinge im weiter betriebenen Guantánamo haben nichts davon, Gefangene der USA zu sein, weil ihnen die eigene und internationale Gesetze egal waren. Diese Schäden lassen sich für die USA in Geld gar nicht beziffern.

Unruheregion Afpak: Taliban in Pakistan und in Afghanistan

Zu Afghanistan hatte Pakistan von Anfang an ein schwieriges Verhältnis; jenes zu den eigenen Paschtunen war sogar schon davor angespannt, und das aus einem recht ungewöhnlichen Grund: In der Umgebung Peshawars formte sich unter der Führung von Abdul Ghaffar Khan, einem Utmanzai aus Charsadda, Widerstand gegen die Gründung Pakistans.

Ausgerechnet einer der als fanatische Muslime verschrienen Paschtunen wurde zum engen Freund von Gandhi und Nehru, praktizierte gewaltlosen Widerstand und nannte es einen Missbrauch des Islams, ihn als Basis der Teilung Britisch-Indiens zu benutzen.

Als es im Juli 1947 in der Nordwestgrenzprovinz zum Volksentscheid über die Zugehörigkeit zu Indien oder Pakistan kam, wurde er von Khan und seiner Bewegung boykottiert, weil nicht parallel der Anschluss an Afghanistan oder die Gründung eines unabhängigen Staates namens Paschtunistan gewählt werden konnte.

Khan und Pakistan wurden nie zusammen glücklich, begraben wollte er dort nicht werden. Beigesetzt wurde er 1988 in Jalalabad – dafür wurde selbst der Bürgerkrieg kurzfristig ausgesetzt.

Pakistan wurde auch nicht glücklich mit seinen Nachbarn. Mit Indien gab es umgehend Krieg wegen Kaschmir. Afghanistan wiederum stimmte als einziges Land gegen Pakistans Aufnahme in die UNO, Grund dafür war (und ist bis heute) die Ablehnung der 1893 gezogenen Durand-Linie.

Kabul forderte seinerseits ein Paschtunistan – ließ aber immer offen, ob als Teil seines Territoriums oder als unabhängiges Land.

Gegenseitige Destabilisierung war Alltag bis zur russischen Invasion. Diese zog auch Pakistan mit hinab. Für dessen Militärdiktator Zia-ul Haq war sie eher ein Segen, die Amerikaner stützen sein Regime. Nicht für das Land, zu einer Flut an Flüchtlingen kamen Drogen, Waffen, Extremisten und Terroristen. Kein Nachbar Afghanistans wurde so beschädigt wie Pakistan.

Die eigenen Paschtunen hatte man bis zu diesem Zeitpunkt quasi ignoriert. Wenn die stolzen Stämme in ihren FATA unabhängig leben wollten, sollten sie es: Dafür entzog sich der Staat fast völlig seiner Verantwortung.

Ein Beispiel nur: Bis in die 1980er-Jahre waren in Süd Waziristan mehr als 99 Prozent der Frauen Analphabeten. Günstig waren Gesetzlosigkeit und offene Grenze für Schmuggel aller Art – ob Drogen, Autos, Waffen, Kühlschränke, Spielzeug, Nahrungsmittel, einfach alles. Daran verdienten vor allem die Spitzen von Politik, Militär und Bürokratie; von dieser Zeit an begann die Korruption, den Staat und seine Institutionen ernsthaft zu zersetzen.

Bürgerkrieg gab es mit den eigenen Paschtunen ab 2001, als die jahrzehntelang unterstützten Extremisten in Afghanistan, die in Pakistans Madrassahs rekrutiert wurden, die Kehrtwende der Armee boykottierten.

Die Taliban im Stich zu lassen und dafür die Amerikaner zu stützen, stellte alles auf den Kopf. Das zweischneidige Schwert schnitt in die andere Richtung. Gleichzeitig mit den immer stärker auftretenden Taliban in Afghanistan begann die TTP (Tehrik-e Taliban Pakistan) ihren Generalangriff.

Ob das die Einsetzung eines Pro-Pakistan-Regimes und das Streben um Strategische Tiefe rechtfertige, war wohl selbst der Armee nicht mehr klar und sowohl in ihr wie im ISI gab es vermutlich Fraktionen, die an verschiedenen Tauenden zogen.

Vorübergehend "beruhigt" wurde die Situation im Inland mit mehreren Strafoperationen in den FATA, bei denen mehr Soldaten und Hardware zum Einsatz kamen als in den Kriegen gegen Indien 1965 und 1999. Doch scheint nach dem Sieg der Taliban im August 2021 wieder alles zu Asche zu werden: Sie lassen sich von Islamabad nicht kommandieren, im Gegenteil, sie unterbinden nicht die Aktivitäten der TTP auf ihrem Territorium.

Diese wiederum kündigte im November 2022 den Waffenstillstand mit der Regierung in Islamabad. Nun droht neben einem neuen Konflikt mit der TTP ein ernster Streit mit Afghanistan. Zu diesem Engpass führen 30 Jahre Mühen, die Taliban in Kabul in den Sattel zu hieven.

Fazit: Wie weiter mit Kabul?

Bis in weitere Zukunft werden sich Pakistan und der Rest der Welt mit den Taliban in Kabul anfreunden müssen, eine neue Invasion kommt bei dieser Bilanz nicht in Frage. Und man muss ihnen, so unglaublich schwer das vielen vor allem im Westen fällt, ein paar Dinge zu Gute halten.

Erstens, und das kann gar nicht hoch genug gewertet werden: Der Krieg, der im April 1979 begonnen hat, ist aus, nach 42 Jahren.

Es gibt etwas Widerstand in Panjshir und Badakhshan, und eine in Nangrahar und Kunar aktive angebliche Fraktion des IS (Daeesh, ISKP) verübt Anschläge, zumeist gegen Hazara und andere Shia in Kabul. Gleichzeitig gibt es im ganzen Land die seit Urzeiten üblichen Stammesscharmützel.

Doch alles zusammen ist für afghanische Verhältnisse kein Krieg. Zweitens sind die afghanischen Taliban nicht expansiv, sie war es nicht von 1996 bis 2001 und ist es nicht jetzt.

Natürlich agiert die TTP zum Teil aus Afghanistan, sie ist aber keine Marionette. Drittens entspricht die Fragmentation des Landes am Besten dem Naturell aller Bewohner, nicht nur den Paschtunen. Hamid Karzai war Bürgermeister von Kabul, nicht Präsident.

Das galt für alle Regimes samt den Königen – nur mit großer ausländischer Unterstützung konnte ansatzweise ein zentralisierter Staat aufgebaut werden. Außer einer winzigen Elite in Kabul wollte kein Afghane, egal welcher Ethnie, jemals so einen Staat.

Die Taliban ist es egal, ob sie offiziell anerkannt wird oder nicht, und die UNO spielt wie sonst wo keine Rolle. Wie Pakistan mit ihnen und den eigenen Paschtunen auskommt, bleibt völlig unklar.

Sonst kann man nur raten, trotz allen Meldungen über geschlossene Mädchenschulen und Arbeitsverbote für Frauen, mit den Taliban zu kommunizieren und interagieren, wenn nicht offiziell, dann halt inoffiziell.

Sie werden bleiben, daran gibt es kaum Zweifel. Vermutlich ist mit ihnen besser verhandeln, weil sie Dank Herkunft und Sozialisation meist ziemlich direkt sagen, was sie denken. Ihre Herrschaft entspricht Kultur, Religion, Sitten und Gebräuchen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung des Landes.

Es war immer ein Irrtum, sie für eine Partei oder Bewegung zu halten – es sind Paschtunen und die sind anders, als sie der Westen wünscht. Westliche Werte werden sie, nach der Vorstellung der US-Amerikaner und ihrer Hilfstruppen, erst recht ablehnen.