Petraeus übernimmt

USA: Der neue Centcom-Kommandeur will einen Wechsel in der Afghanistan-Strategie nach dem Irak-Muster

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Was sich Beobachtern schon vor einiger Zeit ankündigte, ein Kurswechsel der USA in Afghanistan, wird heute vom Wall Street Journal bestätigt und mit einigen Details angereichert.

Demnach gibt es ein geheimes Strategie-Papier des Weißen Hauses zu Afghanistan, das als elementaren Bestandteil Gespräche mit Taliban-Vertretern empfiehlt, um der „Abwärtsspirale in Afghanistan und im benachbarten Pakistan“ entgegen zu arbeiten. Als Autoren des Entwurfes werden hochrangige Regierungsmitglieder und Militärs angegeben. Empfohlen wird, dass die Gespräche von Vertretern der afghanischen Regierung geführt werden - „mit aktiver Teilnahme der USA“.

Der Strategiewechsel trägt eindeutig die Handschrift eines Mannes, nämlich die des neuen Centcom-Chefs und scheidenden Kommandeurs der internationalen Streitkräfte im Irak, General David Petraeus, den übrigens beide Präsidentschaftskandidaten schätzen sollen, weshalb man davon ausgehen kann, dass das Strategiepapier auch nach der Wahl in wesentlichen Positionen Diskussionsgrundlage bleiben wird. Petraeus' Erfolgsrezept im Irak war die Konzentration auf lokale Ursachen und Quellen von Konflikten und die entsprechenden Maßnahmen vor Ort. Schlüsselelemente dieser Strategie tauchen auch im neuen Papier auf, soweit dessen Inhalt von der WJS - leider nur Abonennten zugänglich – wiedergegeben wird.

Schlüsselrolle für lokale Stammes-und Clanchefs

So setzt man, anders als bei der spektakulär gescheiteren Enthauptungstaktik früherer GWOT-Jahre, nicht bei den großen Assen an – ein Gespräch mit dem berüchtigten Taliban-Lord Mullah Omar kommt in diesem Skript nicht vor -, sondern bei den regionalen Machthabern, den lokalen Stammes-und Clanchefs, die in enger Verbindung mit den Taliban stehen, bzw. dazugehören:

U.S. officials stress that they would play a supporting role in any future talks with the Taliban, which they say would be led by the Afghan central government and powerful Afghan tribal figures. The talks would primarily include lower-ranking and mid-level Taliban figures, not top officials from the group's ruling body.

Nach dem Strategiemuster, das im Irak Erfolg hatte, versucht man nun in Afghanistan durch Gespräche zwischen Regierungsmitgliedern und lokalen Fürsten eine Zusammenarbeit, welche die Taliban einschließt, um zu stabilen Verhältnissen zu kommen. Man baut auf bereits existierende Arbeitsverbindungen zu den Regionalherrschern.

U.S. officials from the Central Intelligence Agency, the Defense Intelligence Agency, and the U.S. military's Special Operations Command have been mapping the key tribal areas of Afghanistan, said one person familiar with the planning. The goal is to look at the tribes, sub-tribes and clans in each province and understand whom they're aligned with. Targeting lower-level leaders is likely to be more fruitful than focusing on senior figures.

Die US-Vertreter sehen ihre Rolle eher im Hintergrund. Die Verhandlungen sollen von den afghanischen Regierungsvertretern selbst geführt werden, ein Ziel der neuen Strategie heißt, Vertrauen in die Zentralregierung stärken. Trotzdem ist klar, dass das uralte Haushaltsgesetz eine Rolle spielen wird: „Wer zahlt, schafft an“:

Another senior American official said that talks with the Taliban will force the U.S. to make hard decisions about how much to offer the armed group for its support.
The U.S. would certainly be willing to pay moderate Taliban members to lay down their weapons and join the political process, these official said. [..]
"The question always comes down to price," he said. "How much should be willing to offer guys like this?“

Wie groß ist das Interesse der Taliban an solchen Gesprächen?

Ob der Widerstand gegen die USA, der ja nicht nur auf der Führungsebene der Taliban exisitiert, und das damit verbundene Misstrauen gegenüber der Supermacht mit Geld gebrochen werden kann – und nicht nur für ein kleines opportunes Zeitfenster – ist die eine Frage. Die andere lautet: Wie groß ist das Interesse der Taliban an solchen Gesprächen? Nach dem militärischen Stand der Dinge haben sie solche Verhandlungen vermutlich weniger nötig als die Unterstützer der Karsai-Regierung.

Dazu kommt die Frage nach der Übertragbarkeit von Strategieelementen, die sich im Irak - zumindest in den letzten Monaten - bewährt haben. Ob das Modell der Awakening-Sunniten, die sich für eine Zeitlang im Kampf gegen al-Qaida mit den Zielen der USA solidarisierten, in Afghanistan übernommen werden kann - mit lokalen Einheiten, die gegen unbelehrbare, militante Taliban vorgehen?

Die Analogie zum Irak hat ihre Grenzen. Während der Kampf der sunnitischen Ex-Insurgents gegen Qaida-Mitglieder als Kampf gegen auswärtige Kämpfer, also gegen unerwünschte Eindringlinge, patriotische Gefühle mobilisieren konnte, dürfte dies bei den Taliban nicht so einfach sein. Denn viele Talibankämpfer teilen sich die ethnischen Herkunft mit dem Großteil der lokalen Stämme, sie gehören zu den Paschtunen (siehe Das Erbe des "Eisernen Emirs").

Allerdings ist auch die paschtunische eine Stammesgesellschaft, deren unterschiedliche Glieder sich trotz einer gemeinsamen Sprache untereinander teilweise so spinnefeind sind, dass sie im 19.Jahrhundert als unterschiedliche Völker angesehen wurden. Jedoch waren es gerade die Taliban, die diese innerpaschtunischen Gegensätze in Teilen zu überwinden vermochten und somit auch zur Entstehung eines gesamtpaschtunischen Nationalgefühls beitrugen.