Philosophieren mit den Medien, updated

Von Descartes zu McLuhan: "Medienphilosophie" von Frank Hartmann.

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"Medienphilosophie" von Frank Hartmann ist ein Buch über die Welt, in der wir alle unsere Orientierungsschwierigkeiten haben, ansonsten gäbe es wohl so etwas wie Philosophie nicht. Ein Grund, warum man Philosophie heute noch weiterschreiben (und damit schreiben) kann, liegt darin, dass diese im Laufe ihrer Geschichte einige tote Winkel anhäufte, kurz: sie hat etwas vergessen. Heidegger ging es um Seinsvergessenheit, Hartmann geht es um so etwas wie "Medienvergessenheit". Nichts Geringeres ist der rote Faden der vom Verlag als "Lehrbuch" getarnten "Medienphilosophie".

Frank Hartmann gibt sich bescheiden: Was Medienphilosophie ist, kann nur negativ bestimmt werden, "allein die Phase des Übergangs rechtfertigt den Titel", erläutert er schon fast entschuldigend in der Vorbemerkung. Zumindest ist klar, welcher "Übergang" gemeint ist: von der Tradition abendländischen Philosophierens zu einer "Philosophie der Zukunft" (Nietzsche), "Kommunikologie" im Sinne Flussers.

Zunächst erfährt man, warum der Autor das Buch eigentlich schreibt - eben, weil sich so manches ändert, was sich sehr gewitzt in einem Wortspiel ausdrücken lässt: Wir leben nämlich nicht mehr in einer "virtuellen Realität", sondern zunehmend in einer "realen Virtualität". Schön und gut, denkt man sich, das passt wunderbar zu einer Medienphilosophie, die nächsten dreihundert Seiten wird es also wohl um Medien gehen.

Tut es auch, doch anders als erwartet, beginnt die ganze Sache doch bei Descartes, der, wie wir erfahren, uns nicht nur das verhängnisvolle Cogito bescherte, sondern uns darüber hinaus auch noch belog: weil er ein "eigenständiger Autor" sein und sich bekanntlich im Dienste der Wahrheit nur seines eigenen Verstandes bedienen will, verschweigt er seine - durchaus vorhandenen - Quellen. Descartes ist also ein DJ im weitesten Sinn, ein heimlicher "Diskursvermischer", und damit Vorläufer Paul D. Millers alias DJ Spooky, den Hartmann zum Ausklang des Buches zu Wort kommen lässt.

Descartes ist auf der Suche nach Gewissheit, verlässt sich nur auf seinen Verstand und dieser soll nun so aus dem Nichts eine, genauer: die einzig mögliche Methode gebären. Dass das mit dem Nichts nicht so nichtig ist, zeigt schon der Vergleich mit dem DJ. Dieser aber mischt ja nicht nur vorhandenes Material, er braucht dafür auch technische Behelfe. So natürlich auch Descartes, der darüber - weil ja mit seinem Verstand beschäftigt -, dass er seine "Methode" Gleichgesinnten nur mittels Buch bzw. Buchdruck überhaupt erst zur Kenntnis bringen kann, nicht nachdenkt: "Vergessen ist der Zusammenhang von Kulturtechnik und Denken", konstatiert Frank Hartmann auf seiner Suche nach dem Unbedachten.

Eben dieser blinde Fleck des Vergessenen kennzeichnet die meisten der von Hartmann befragten Philosophen, allerdings kommen sie der Sache immer mehr auf die Spur. Über sprachphilosophische (Hamann, Herder, Humboldt), semiotische (Peirce) und kulturkritische (Heidegger, Horkheimer, Anders) Positionen gelangt Frank Hartmann schließlich zur Medientheorie im engeren Sinn.

Dem unvermeidlichen McLuhan ist es zu verdanken, dass nunmehr nicht mehr die Inhalte der Medien untersucht, sondern die Logik des Mediums und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen befragt werden. Und eben das bereitet den Weg zu einer Medienphilosophie, die schließlich mit Vilém Flusser ihre mehr oder minder konkrete Ausformung erhält.

Das Flusser-Kapitel ist zweifellos Höhepunkt des Hartmannschen Buches. Hier erfährt man, was es mit dem Projekt einer Medienphilosophie auf sich hat, die als "ein Philosophieren mit den Medien" nicht mehr den Rückhalt des Elfenbeinturmes sucht, sondern sich in und auf die Konstruktion von Wirklichkeit einlässt.

Frank Hartmann geht es um die Fortführung einer kritischen Philosophie, die im Gegensatz zur traditionellen abendländischen ihre Möglichkeitsbedingungen wie ihre historische Kontingenz zu reflektieren trachtet; um eine Philosophie, die Realität nicht länger nur beschreibt, sondern aktiv entwerfen will:

"Wir haben den Sinn für die Wirklichkeit verloren, weil wir lernen mußten, daß diese Wirklichkeit eine Konstruktion ist. Sollten wir uns der Rolle als Konstrukteure nicht bewußt werden und uns in ihr üben, dann allerdings droht der Technofaschismus."

Die Medienphilosophie ist vielleicht ein Produkt der heutigen Zeit, dem Zeitgeist verschreibt sie sich allerdings mit Sicherheit nicht. Im Vergleich zu diversen Internet-, Interface- oder Hypertext-Philosophien lässt sich Hartmanns Projekt reichlich konservativ, freundlicher formuliert, seriös an. Ein Plädoyer, die Grundlagen gegenwärtiger Analysen und Reflexionen, also die Geschichte, ernst zu nehmen und so der Philosophie (wieder) einen Platz im kulturwissenschaftlichen Diskurs einzuräumen.

Frank Hartmann: Medienphilosophie, Wien : WUV 2000, 343 S., DM 39,00 / EUR 19,94