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"Spielmaschinen" und die "History of Games" des Computerspielemuseums Berlin

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Der Gedanke, dass Computer- und Videospiele ein Gegenstand historischen Interesses sein könnten, ist noch nicht sehr alt. Das hat sowohl mit der bekannten Verachtung der Hochkultur für Pop- und Massenphänomene, als auch mit der falschen Wahrnehmung zu tun, die Computerspiele hätten noch gar keine Historie, seien doch gerade eben erst auf der Bildfläche erschienen (vgl. Telepolis-Special: Spielplatz)

Pong-Videospiele-Automat von Atari. Bild: Computerspielmuseum

Das Computerspielemuseum Berlin kämpft gegen dieses und andere Vorurteile. Vor allem tut das der Leiter des Museums, Andreas Lange. Wenige sind in Deutschland rühriger, wenn es um die Geschichte des Mediums Computerspiel geht, und wenige können eine nachhaltigere Beschäftigung mit dem Thema belegen als er. Das zeigt sich ganz handfest an seinem Computerspielemuseum und eben auch an den Konzepten zu Ausstellungen wie Ahnengalerie der Videospielestars, Happy Computer und History of Games

Diese Ausstellung, die im Herbst letzten Jahres im Rahmen der Games Convention 2002 in Leipzig zu sehen war, hat in sich eine interessante Geschichte, denn sie ist hervorgegangen aus einer Zusammenarbeit der Spieleindustrie (namentlich dem Verband der Unterhaltungssoftware Deutschlands e.V.) und dem Förderverein für Jugend- und Sozialarbeit e.V. der nicht nur der Träger des Computerspielemuseums ist, sondern u.a. auch zusammen mit dem VUD die USK betreibt, das Parallelsystem zur FSK in der Filmwirtschaft.

In dem Vorwort zu "Spielmaschinen" behaupten Ronald Schäfer (VUD) und Klaus Spieler (FJS), dass es sich bei dieser Ausstellung um die bisher größte und vollständigste Präsentation einer Geschichte der modernen Spielmaschinen (zumindest auf dem europäischen Festland) gehandelt habe. Die Relevanz der Ausstellung begründen sie außerdem mit ihrem besonderen kulturellen Auftrag, was angesichts des Themas dann doch erstaunt:

Und nicht zuletzt muss darauf verwiesen werden, dass Zentren der Kreativität immer nur dort entstehen, wo neben einem Klima der Aufgeschlossenheit auch eine bestimmte Verfügbarkeit des eigenen kulturellen Erbes - als Motivations- und Anregungspotential - gegeben ist.

Die Historie der Computerspiele also als Fundgrube der Ideen für Nachwuchsdigitalkünstler, die an ihr ebenso wenig vorbeikommen wie der Maler an Prado und Louvre.

Mattel Football, erstes Handheld 1975. Bild: Computerspielmuseum

Etwas nüchterner, aber nicht weniger enthusiastisch fallen die Anmerkungen Andreas Langes selbst aus, wenn er etwa auf die Relevanz der jungen Spieleindustrie für die Entwicklung der Computertechnologie insgesamt hinweist:

Dabei ist bemerkenswert, dass die größten Auftraggeber der frisch entstandenen Mikrochip-Industrie zunächst die Videospiele- Hersteller waren (...). Sie haben die Industrie mit dem Kapital versorgt, mit dem sie weitere Innnovationszyklen finanzieren konnte.

Dass er die Rolle der Militärs bei der Entwicklung leistungsfähiger elektronischer Grafikgeräte hier nicht erwähnt - von den Input-Output Komponenten bei SAGE (Lichtgriffel seit 1949!) bis zur Geschichte der Firma Matrox - , sei verziehen. Darum geht es in Ausstellung und Museum nicht, und der "lanieristische" Ansatz, dass Musik und Kunst die eigentlichen Triebfedern bei der Entwicklung von Interfaces sind und nicht das Militär, hat ja etwas sympathisches für sich - auch wenn Jaron Laniers eigener beruflicher Lebenslauf der These zumindest in Teilen widerspricht.

Auf jeden Fall machen Ausstellung und Katalog Ernst mit Langes Vorwort-Ankündigung, einen Querschnitt durch die ganze Geschichte des Mediums zu präsentieren, auch mit ihren Ausfällen und Fehlzündungen:

Die Ausstellung vollzieht diese Entwicklung von den ersten bis zu den derzeit letzten Geräten nach. Sie zeigt, dass die Geschichte der Eroberung unserer Wohn- und Kinderzimmer durch die digitalen Spiele keine ununterbrochene Erfolgsgeschichte ist. Im Gegenteil: Sie ist voll von Rückschlägen und Irrwegen. Selbst innovative Ideen waren nicht immer erfolgreich. Manche kamen einfach zu früh, andere wurden von ihren Mutterfirmen schlecht vermarktet.

Und so sind sie alle da. Das Magnavox Odyssey, das ironischerweise ein analoges Gerät war, das Atari VCS, eines der erfolgreichsten Computerprodukte je (Gebaut von von 1977 - 1991, 25 Mio. verkaufte Exemplare), der Commodore VIC-20, der in Deutschland unter der Bezeichnung VC-20 verkauft wurde (VC für "Volkscomputer"), der Commodore Amiga, der Atari ST, bis hin zu Game Boy, Playstation und X-Box.

Videospiel-Automat von Colceo für Zuhause. Bild: Computerspielmuseum

Auch die Raritäten fehlen nicht, wie z. B. die bizarren Mini-Arcade-Automaten der Firma Coleco, der Vectrex von MB (mit eingebautem Vektormonitor) und das BSS-1, die einzige Heim-Videospielkonsole aus der DDR.

Die Macher von Ausstellung und Katalog haben sich glücklicherweise nicht mit puristischer Kleinkariertheit aufgehalten und selbstverständlich die Computerplattformen miteinbezogen, die zwar zunächst nicht als Spielmaschinen gedacht waren, aber von Publikum und Entwicklern zumindest teilweise so genutzt und begriffen wurden (z.B. der Sinclair ZX-Spectrum)

Man erfährt in dem Katalog auch etwas über den Videospiele-Crash 1983/84, der in der Rückschau wie ein früher Vorläufer der New-Economy- Katastrophen der letzten Zeit wirkt, wird über die frühen Versuche von Microsoft aufgeklärt, einen weltweiten Heimcomputerstandard ins Leben zu rufen sowie über die für sich genommene faszinierende Geschichte der Handhelds, beginnend mit einem Gerät, in dessen LED-Anzeige man mit ziemlich viel Phantasie ein Football-Spiel hineininterpretieren musste, um es mit Gewinn benutzen zu können - Mattel Football (1976).

Nebenbei: Dass dieses Gerät heute in einer Neuauflage immer noch erhältlich ist, sollte auch den letzten Skeptiker davon überzeugen, dass Computerspiele historische Spuren hinterlassen können, angefangen bei den individuellen Biographien der Spieler.

"Spielmaschinen" enthält also, was der Titel verspricht: Es handelt sich bei dem Katalog um ein Kompendium zur Geschichte der elektronischen Spielmaschinen im Privatbereich. Der Leser wird informiert, aber nicht in Detailwissen ertränkt. Und dass das Buch all diese nützlichen und interessanten Informationen in einer so schönen und angenehmen, fast schon bibliophil zu nennenden Form darbietet, macht es auch für Leute interessant, die mit dem Thema ansonsten nicht jeden Tag in Berührung kommen. Der Autor dieses Artikels jedenfalls - ein passionierter Nichtspieler - findet sich fasziniert.