Plagiatsvorwürfe und sachfremde Motive: Der Fall Ulrike Guérot

Foto Ulrike Guérot: Stephan Röhl, Heinrich-Böll-Stiftung / CC BY-SA 2.0 Deed

Was war dran an den Plagiatsvorwürfen gegen die Wissenschaftlerin – und was war das Motiv? Neue Fallstudie über ein Exempel. (Teil 1)

"Al Capone wurde auch wegen Steuerhinterziehung weggesperrt und nicht wegen seiner Morde", schrieb ein Twitterer am 24. Februar 2023, nachdem gerade öffentlich geworden war, dass die Universität Bonn Prof. Ulrike Guérot wegen Plagiatsvorwürfen kündigt.

Plagiatsvorwürfe: Ein Vorwand für politische Säuberungen?

Den Vergleich mit der Chicagoer Unterweltgröße zog neben anderen auch Redakteur Lars Wienand von t-online, einem Medium, das häufig "umstrittene" Persönlichkeiten ins Zielfernrohr seiner gefärbten Berichterstattung nimmt.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Der Fall Ulrike Guérot: Versuche einer öffentlichen Hinrichtung" (Westend-Verlag, 2024) und trägt dort die Kapitel-Überschrift: "Das ‚Plagiat‘ – eine (wissenschaftliche) Betrachtung". Fußnoten aus dem gedruckten Kapitel wurden hier überwiegend in Weblinks umgewandelt, seltener in Klammern gesetzt. Einige Zwischenüberschriften wurden redaktionell hinzugefügt, um am Bildschirm die Lesbarkeit zu verbessern.

"Guérot dürfte wegen unwissenschaftlichen Unfugs nicht beizukommen gewesen sein", führte er die Analogie aus, "da hat man ihre Plagiate genutzt" Es ist kaum anzunehmen, dass sich Wienand – schon gar nicht zu diesem Zeitpunkt – mit irgendwelchen Details der Vorwürfe auseinandergesetzt hatte. Das hinderte ihn allerdings nicht an Verdachts- und Framing-Journalismus.

Wo Freund und Feind sich einig waren

Ein Twitter-User, der Ulrike Guérot gegenüber offenbar positiv eingestellt war, formulierte: "Ohje, ich dachte, die nicht mehr gewollten attackiert man mit der Reisekostenabrechnung."

Wie man solchen und weiteren Aussagen aus den Twitter-Diskussionen von besagtem Tage entnehmen kann, sind sich so manche Gegner Ulrike Guérots mit ihren Fans und Unterstützern einig: Es geht nicht um die sinnbildliche "Steuerhinterziehung" oder "Reisekostenabrechnung", die ist nur vorgeschoben, man will sich ihrer aus anderen Gründen entledigen.

Diese Gründe liegen auf der Hand: die ebenso öffentlichkeitswirksamen wie abweichenden Positionen der Politologin zur Corona-Politik und zum Ukraine-Krieg.

Die Herren hinter den Plagiatsvorwürfen

Seinen Anfang genommen hatte dieser Vorgang im Juni zuvor mit zwei Artikeln von Prof. Markus Linden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in denen der Trierer Politologe seine Fachkollegin solchen Fehlverhaltens beschuldigt. Linden beschäftigt sich mit "digitalen Alternativmedien und Verschwörungstheorien", die er offenbar ablehnt.

Er hält den "Konformitätsdruck" in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Corona-Politik für eine "Legende" und warnt auf einer Website namens gegneranalyse.de, die zu einem von der Bundesregierung finanzierten Projekt gehört, vor dem Medium NachDenkSeiten.

Nach Lindens FAZ-Artikeln sah der Ombudsmann für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität Bonn einen solchen Verdachtsfall und beauftragte die Kommission für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens mit der Prüfung. Bei diesem Ombudsmann handelt es sich um den Juristen Prof. Klaus F. Gärditz.

Im Hintergrund: Kontroversen um Impfplicht und Abtreibung

Gärditz hat Anfang 2022 mehrfach einer vielverlangten staatlichen Corona-"Impfpflicht" das Wort geredet und "Querdenker-, Esoteriker- und Impfgegner-Szenen" attackiert.

In einem Meinungsbeitrag vom Oktober 2022 ruft er nach "wehrhaften Hochschulen", die sich "gegen diejenigen wehren, die […] mit dem Anschein von Wissenschaft Falschbehauptungen, unhaltbare Spekulationen oder krude Verschwörungstheorien verbreiten", insbesondere im pandemischen Kontext. Der Rechtswissenschaftler nennt keine Namen, es liegt aber nahe, dass er dabei auch Ulrike Guérot im Sinn hat.

Gärditz und der Vorsitzende der Kommission für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, sein Institutskollege Prof. Christian Hillgruber, sitzen im Vereinsvorstand der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, die sich nicht zuletzt gegen ein liberales Abtreibungsrecht engagiert.

Unverhohlene Abneigung gegen die angebliche Plagiatorin

Ulrike Guérot, Mutter von zwei Kindern, befürwortet öffentlich das Recht auf Abtreibung und hat sich in mehreren Interviews dazu bekannt, zwei Schwangerschaften abgebrochen zu haben. Ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die beiden Juraprofessoren davon Kenntnis erlangt haben, ist unbekannt.

Gärditz betätigt sich als FAZ-Gastautor und war für den FAZ-Journalisten Patrick Bahners schon vor dem "Fall Ulrike Guérot" kein unbeschriebenes Blatt. Bahners hatte öffentlich bereits bei Stellenantritt seiner früheren Kommilitonin an ihrer beider früheren Alma Mater Stimmung gegen sie verbreitet und aus seiner persönlichen Abneigung keinen Hehl gemacht. Linden wiederum hatte schon vor vielen Jahren Bahners in einer positiven Buchbesprechung gewürdigt, die noch zur Sprache kommen wird.

Politik vs. Wissenschaft: Der wahre Charakter von Guérots Werken

Welche Vorwürfe wurden gegen Ulrike Guérot erhoben? Markus Linden beschäftigte sich in seinen beiden FAZ-Artikeln Anfang Juni 2022 mit zwei Büchern, einem aus dem gleichen Jahr 2022 und einem von 2016. Die im Rahmen des Untersuchungsverfahrens der Universität Bonn gegenüber Ulrike Guérot erhobenen Plagiatsvorwürfe beziehen sich auf diese Werke sowie zusätzlich auf ein 2017 erschienenes Buch. Im Einzelnen sind dies:

• Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie, Dietz Verlag, Bonn 2016 bzw. als Taschenbuchausgabe Piper Verlag, München 2017. (Die Universität Bonn bezieht sich auf 1. bzw. 3. Auflage der Piper-Ausgabe 2017 bzw. 2019).

• Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde, Ullstein Verlag, Berlin 2017;

• Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2022. (Die Universität Bonn bezieht sich auf die 4. Auflage 2022)

Der Einfachheit halber werden sie im Folgenden als "Republik", "Bürgerkrieg" und "Wer schweigt" abgekürzt.In der Zusammenstellung der Vorwürfe durch die Ständige Untersuchungskommission zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens vom 1. Dezember 2022 werden zu den Werken übrigens weder Verlag noch Verlagsort genannt.