Polen feiert seinen Erfolg auf dem EU-Gipfel
Auf dem EU-Gipfel konnte Polen, das den Strom praktisch ausschließlich mit Kohlekraftwerken erzeugt, die Klimaziele aufweichen
Als einen Erfolg kann man den letzten EU-Gipfel nicht bezeichnen. Vor allem das beschlossene Klimaschutzpaket hält nicht das, was es ursprünglich versprochen hat. Verantwortlich dafür ist auch Polen, welches 95 Prozent seines Stroms durch Kohlekraftwerke gewinnt. Für Warschau hätte das ursprüngliche Klimaschutzpaket enorme wirtschaftliche Nachteile mit sich gebracht. So ist es nicht verwunderlich, dass östlich der Oder das Ergebnis des EU-Gipfels als ein nationaler Erfolg gefeiert wird, ein Erfolg, der für kurze Zeit sogar innenpolitische Rivalen zu Partnern macht.
Für den polnischen Premierminister begann der EU-Gipfel in Brüssel (Der schmutzige Gipfel) unter keinen guten Vorzeichen. Gegen 10 Uhr morgens wollte er am Donnerstag zusammen mit seiner Delegation von Warschau aus in die belgische Hauptstadt fliegen, um noch vor dem offiziellen Beginn des Gipfels mit Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi und Jose-Manuel Barroso die ersten Gespräche zu führen.
Doch das Treffen, bei dem Tusk die polnischen Bedenken für das EU-Klimaschutzpaket erneut erläutern wollte, musste ohne den Premierminister stattfinden. Erst auf dem Warschauer Flughafen erfuhr Tusk, dass das von seiner Staatskanzlei gecharterte Flugzeug aufgrund eines Schadens nicht starten kann. Und so war der polnische Regierungschef plötzlich von dem guten Willen seines Widersachers Lech Kaczynski abhängig, der zeitgleich den UN-Klimagipfel in Posen beendete und sich bereit erklärte, Tusk und seine Minister in der für ihn bereitgestellten Regierungsmaschine von Posen aus mit nach Brüssel zu nehmen.
Dass durch diese Geste das Verhältnis zwischen Präsident und Premierminister nicht besser wurde, war in Brüssel jedoch unübersehbar. Wort- und grußlos ging der sonst freundliche Tusk an den polnischen Journalisten vorbei, während Kaczynski sich bei ihnen darüber beschwerte, während des Fluges nicht auf seinem Stammplatz gesessen zu haben. Ein Geplänkel, das den polnischen Medien neue Schlagzeilen in dem seit einem Jahr andauernden Machtkampf zwischen Kaczynski und Tusk lieferte.
Polen und der EU-Vertrag
Für Schlagzeilen sorgte in der polnischen Presse aber nicht nur der gemeinsame Flug der beiden Kontrahenten, sondern auch der erste Sitzungsabend des Gipfels, bei dem es um den EU-Vertrag ging. Das polnische Parlament hat dem Vertragswerk zwar bereits im April zugestimmt, nach einer mühsamen dreiwöchigen Debatte (Europa spaltet die polnischen Konservativen), doch zur endgültigen Ratifizierung ist die Unterschrift des Präsidenten notwendig, die der EU-Skeptiker Kaczynski bis heute verweigert. Erst wenn die Iren in einem erneuten Referendum dem Lissabonner Vertrag zugestimmt haben, will Kaczynski seine Unterschrift leisten.
Mit dieser Haltung zieht Kaczynski jedoch den Unmut der polnischen Regierung auf sich. Seit Monaten drängt der Premierminister Tusk den Präsidenten, endlich den EU-Reformvertrag zu ratifizieren, und dies nicht ohne Grund. „Eine endgültige Ratifizierung des EU-Vertrages durch Polen würde die Rolle der polnischen Regierung gegenüber ihren europäischen Partnern stärken“, erklärt Dr. Slawomir Debski, Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen in Warschau, gegenüber Telepolis.
Doch Lech Kaczy?ski hat kein Interesse, seinem wahrscheinlichen Kontrahenten bei den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren diesen Gefallen zu tun. „Der Präsident ist nicht verpflichtet, die Wünsche der Regierung zu erfüllen“, sagt Debski und weist damit auf die polnische Verfassung hin, die dem Staatspräsidenten ein Vetorecht zuschreibt. Ein Recht, von dem Lech Kaczynski seit der Wahlniederlage seines Zwillingsbruders Jaroslaw im Herbst letzten Jahres häufig gebrauch macht.
Kritik an der fehlenden Unterschrift Lech Kaczynskis war in den letzten Monaten aber nicht nur in Warschau zu vernehmen, sondern auch aus den Reihen der noch amtierenden EU-Ratspräsidentschaft. Erst Ende Oktober kündigte Frankreichs Nicolas Sarkozy seinen Besuch in Danzig an, wo am 6. Dezember Lech Walesa, im Beisein von Michail Gorbatschow, dem Dalai Lama und weiteren Friedensnobelpreisträgern, den 25. Jahrestag seiner Nobelpreisverleihung feierte. Dabei äußerte der französische Präsident auch den Wunsch, sich mit seinem polnischen Amtskollegen treffen zu wollen, um diesen zur Ratifizierung des EU-Vertrags zu bewegen. Doch Kaczy?ski sagte Nicolas Sarkozy wegen einer Asienreise ab, die er zu diesem Zeitpunkt absolvierte.
So nutzte Nicolas Sarkozy, wahrscheinlich ganz zur Freude von Donald Tusk, den EU-Gipfel, um in einem scharfen Ton mit Lech Kaczynski über die Ratifizierung des EU-Vertrags zu sprechen. „Verstecke Dich nicht hinter dem Rücken der Iren“, soll Sarkozy nach Angaben polnischer Medien zu dem polnischen Präsidenten gesagt haben, nachdem Lech Kaczynski ein weiteres Mal erklärte, den EU-Vertrag erst nach einem erfolgreichen Referendum in Irland ratifizieren zu wollen. Ein Argument, welches der französische Präsident so wohl nicht gelten lassen möchte. „Polen sollte nur die Verantwortung für sich selber tragen“, soll Sarkozy darauf erwidert haben.
Kritische Stimmen, vor allem die von Umweltschützern, sind in der polnischen Presse kaum zu vernehmen
Erfreulicher war für die polnische Delegation der zweite Verhandlungstag beim EU-Gipfel. Das Klimaschutzpaket, welches die Europäische Union ursprünglich zu einem weltweiten Vorreiter machen sollte, wurde enorm aufgeweicht. Und einen nicht unentscheidenden Anteil daran hat Polen. 95 Prozent seines Stroms bezieht das Land an der Weichsel aus Kohlekraftwerken, weshalb das ursprünglich geplante Klimapaket für die polnische Wirtschaft enorme Belastungen bedeutet hätte. Einerseits wäre die Energie für die Endverbraucher teurer geworden, anderseits hätte dies auch den Verlust von unzähligen Arbeitsplätzen in energieintensiven Branchen nach sich tragen können.
Und dass Warschau nicht bereit war, diese Belastungen und Gefahren auf sich zu nehmen, wurde schon vor dem EU-Gipfel deutlich. Bei den am vergangenen Dienstag zum ersten Mal seit vier Jahren wieder stattgefundenen deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau, drängte Tusk auf Ausnahmeregelungen für Polen und drohte im Notfall sogar mit einem Veto bei der Abstimmung.
Nichts anderes tat Tusk, unterstützt von acht weiteren ostmitteleuropäischen Staaten, auch während des Gipfels in Brüssel. „Die Vorgaben des Klimapakets würden eine Katastrophe für die polnische Energiewirtschaft bedeuten und eine radikale Preiserhöhung für die Endverbraucher“, sagte der polnische Premier in der belgischen Hauptstadt. Wie polnische Regierungsexperten ausrechneten, hätte das ursprüngliche Klimapaket die polnische Wirtschaft schon im Jahr 2013 14 Milliarden Zloty, ca. 3.5 Milliarden Euro, zusätzlich gekostet. Bis 2020 wären es insgesamt Zusatzkosten von 100 Milliarden Zloty. Kosten, die der Endverbraucher mit einer Preiserhöhung von 90 Prozent hätte tragen müssen.
So ist es nicht verwunderlich, dass unter diesen Voraussetzungen die polnische Öffentlichkeit das im Grunde genommen enttäuschende Ergebnis des EU-Gipfels als einen nationalen Erfolg feiert. Beispielhaft dafür ist die Presse. Fast alle Zeitungen schreiben jubelnd über das Verhandlungstalent von Donald Tusk, welches sogar Nicolas Sarkozy lobte. „Donald Tusk hat gut verhandelt. Dies ist ein Mensch mit Prinzipien“, sagte der französische Präsident, was die meisten polnischen Nachrichtenportale sofort aufgriffen. Kritische Stimmen, vor allem die von Umweltschützern, sind in der polnischen Presse kaum zu vernehmen. Nicht überraschend in einem Land, in dem der Umweltschutz noch unterentwickelt ist.
Der Erfolg auf dem EU-Gipfel begeistert aber nicht nur die polnische Öffentlichkeit, sondern lässt, zumindest für kurze Zeit, auch innenpolitische Rivalitäten vergessen. Tusk und Kaczynski, die auf dem Hinflug nicht einmal miteinander gesprochen haben, zeigten sich plötzlich gemeinsam auf der Abschlusskonferenz. „Der EU-Gipfel in Brüssel endete mit einem Erfolg für Polen“, verkündeten beide den polnischen Journalisten, die die beiden zuvor noch nie so gut gelaunt und vertraut miteinander gesehen haben. „Dies ist unser Erfolg“ sagte Kaczynski auf sich und Tusk zeigend, worauf dieser zu der Presse nur meinte: „Manche von Euch dachten, wir werden uns auf dem Gipfel umbringen. Aber wie ihr sieht, sind wir beide in bester Verfassung und sind mit unserer Arbeit sehr zufrieden.“
Ob zukünftige Generationen mit dieser Arbeit auch noch so zufrieden sein werden, ist fraglich. Vielleicht sollten die polnischen Politiker diese Chance nutzen, um die Energieindustrie endlich zu modernisieren. Mit dem ersparten Geld aus dem Emmissionskauf wäre Kapital vorhanden.