Politik-Pop vs. Pop-Politik
Die Popkomm 2005 in Berlin versuchte sich in politischen Betrachtungen
Pop und Politik im gegenseitigen Spannungsfeld. Einerseits gibt es eine Poplinke, die auf Versuche aus der konservativen Ecke, die Themen „Volk“ und „Nation“ – wie durch Paul Van Dyke und Peter Heppner – persilrein zu waschen, diskursiv reagiert. Auf der anderen Seite eine rechtsradikale Szene, die ihre Auffassung von populärer (und damit menschenverachtender) Kultur auf dem Schulhof propagiert. Und dazwischen existiert die Mehrheit der Musik konsumierenden Jugendlichen, die ihr Taschengeld einfach für Eminem ausgibt, an der Konzertkasse bei itunes oder für die E-Donkey-Flatrate.
Die größte Messe für populäre Massenunterhaltung, die Popkomm 2005 in Berlin, lud vor diesem diskursiven Hintergrund wenige Tage vor der Bundestagswahl Vertreter des parteipolitischen Nachwuchses zur Diskussion der Frage "7 Jahre Rot-Grün - sieht Pop jetzt Schwarz?" in die Messehallen am Berliner Funkturm.
Deutschland: modern, offen und liberal?
Und erstaunliches kam dabei zu Tage: Nicht nur die Vertreter des rot-grünen Lagers, der Juso-Vorsitzende Björn Böhning und der ehemalige Kommuniktionschef von Universal Music und jetzige Wahlwerber der Bündnisgrünen Jacob Bilabel, lobten die Kulturpolitik der Bundesregierung seit 1998. Auch Johannes Vogel, Vorsitzender der FDP-Nachwuchsorganisation Juli vertrat die Auffassung, die deutsche Gesellschaft sei in den Jahren von Rot-Grün moderner, offener und liberaler geworden. Und Daniel Walther, Schatzmeister der Jungen Union, war voll des Lobes für die Bundeskulturpolitik unter Staatsministerin Christina Weiss.
Muss die Popkultur, hier eher gemeint die Musikindustrie, also Angst vor einer eventuell schwarzen Bundesregierung haben, oder ist ihr es ganz egal. Tritt mit Angela Merkel der kulturelle Mief der 1950-er Jahre in ein Revival?
Merkel – die Antithese zu den Stones
Thees Uhlmann von Tomte, der mit seinem Label Grand Hotel van Cleef als Vertreter von Künstlern und Produzenten geladen war, wollte denn auch nicht auf die vermeintliche Alternative zwischen Rot-Grün oder Schwarz-Gelb eingehen. Ganz dialektisch ist für ihn – positiv vermerkt – Angela Merkel die Antithese zu den Rolling Stones ("All die Träume, die wir einst hatten, sind in Rauch aufgegangen!") und Schröder der erste und einzige Popkanzler. Am Verhältnis zwischen Pop und Politik werde sich überhaupt nichts ändern. Pop stehe halt für populär, ganz egal wer regiert.
Das konnte der JU-Vertreter dann doch nicht so stehen lassen und brachte genau das Thema ein, das wohl musikindustrie-politisch zu dem Thema der nächsten Bundesregierung werden könnte, die Novelle der Urheberrechtsreform. Und hier zeigte sich denn auch ein Unterschied zwischen den politischen Richtungen. Für die Union ist Kulturpolitik in erster Linie Wirtschaftspolitik zu Gunsten der großen Branchenvertreter der Musikindustrie. Ein restriktives Urheberrecht, welches die digitale Privatkopie unter allen möglichen Umständen strafbar machen soll. Böhning (Jusos) empfiehlt dagegen eher, sich zurückzuhalten, da es sonst nach politischem Einfluss auf die Kultur aussehe.
Pop-Ästhetik in der Werbung
Bilabel ("Angela Merkel ist der wahre Popstar"), der als einziger politischer Vertreter (die Linkspartei PDS war nicht vertreten) aus eigener Erfahrung in der Popmusikindustrie sprechen konnte, hält den auch die Suche nach Verbindungen zwischen Politik und Pop für müßig. Zwar adaptierte er für die grüne Wahlwerbung Pop-Ästhetik, aber die Grenzen seien doch klar. Nur im Ernstfall, also bei Gefahr für die eigene Branche suche die Musikindustrie Kontakt zur Politik, so wie das Tim Renner als Chef von Universal Music Deutschland getan habe.
Politik und Pop – beides verstanden als Massenkultur – haben denn vielleicht eines gemeinsam: ihre Helden sind austauschbar. Früher Brandt, morgen Merkel – einst Nena, heute die Söhne Mannheims.