Politik aus dem Ärmel

Auch die Partei der Grünen in den USA sucht einen Kandidaten für die Präsidentenwahl im November

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Alle Augen schauen gebannt, wie sich Barak Obama und Hillary Clinton gegenseitig ihre scheußlichsten Verirrungen beim Beschaffen von Wahlkampfgeldern von Heuschrecken vor laufenden Kameras an die Köpfe werfen. Weniger spannend ist da schon der Kampf zwischen dem Republikaner McCaine und seinem Parteigenossen, dem Hillbilly-Prediger Huckabee.

Weitgehend unbemerkt ringen währenddessen Kandidaten der kleineren Parteien um die Kandidatur zum höchsten politischen Amt der Vereinigten Staaten von Amerika. Zum Beispiel die Grünen, die Green Party of the USA. Es leuchtet sofort ein, dass die Kleinpartei ihren Kandidaten nicht mit einer potenten Wahlkampfmaschine unter die Arme greifen kann, so wie es die beiden großen Parteien können. Auch administrative Hindernisse stellen sich den derzeit fünf Kandidaten der GPUSA in den Weg.

Obwohl die amerikanischen Grünen über 305.000 beim Wahlamt registrierte Mitglieder verfügen, und die Partei mit allen angeschlossenen politischen Gliederungen schätzungsweise über eine Million Mitglieder mobilisiert (was etwa 0.3% der US-Bevölkerung entspricht), haben bislang auffallend wenig grüne Aktivisten den Sprung in öffentliche Ämter geschafft. Zum Vergleich: Bündnis90/DieGrünen zählen knapp 45.000 Mitglieder (also nicht einmal eine halbe Promille der deutschen Bevölkerung), sind aber in beinahe allen Parlamenten vertreten. Sie waren bereits beteiligt an Regierungen auf kommunaler, Länder- und Bundesebene.

Die außerordentlich schwache Einbindung der US-Grünen in Legislative und Exekutive ist die Folge einer ganzen Reihe von Vergrämungsmaßnahmen, die sich Demokraten und Republikaner ausgedacht haben, um Konkurrenten rasch loszuwerden. Da muss eine Partei, die für den Präsidentschaftswahlkampf zugelassen werden will, umständliche Vorausscheidungen, Primaries oder Caucuses, durchführen, bei denen jeder Kandidat Wahlmänner und –frauen für sich rekrutieren muss. Und die muss der Kandidat dann auch noch zur entscheidenden Bundesversammlung transportieren, damit sie dort noch einmal für ihn stimmen. Die einzelnen Bundesstaaten der USA haben unterschiedlichste Hürden aufgebaut, die kleine Parteien überwinden müssen – den sogenannten ballot access: Es müssen größere Mengen von Unterschriften gesammelt werden für die Kandidatur. Eine Partei muss dann einen gewissen Prozentsatz bei der Wahl erreichen, um beim nächsten Mal wieder zugelassen zu werden.

Zudem haben die Gouverneure der US-Bundesstaaten die Möglichkeit, in gewissen Zeitabständen die Grenzlinien der Wahlbezirke zu verändern. Damit soll eigentlich den demographischen Wanderungsbewegungen Rechnung getragen werden. Längst jedoch bauen die Gouverneure die Distrikte so um, dass die Kandidaten der eigenen Partei dabei immer wieder komfortable Mehrheiten ergattern können. Das geschieht so häufig, dass dem US-amerikanischen Sprachschatz das Verb „to gerrymander“ für diese Manipulation hinzugefügt wurde. Dem Grünen John Eder, der 2002 ein Mandat im Unterhaus des Staates Maine gewinnen konnte, wollte der dortige Gouverneur die Wiederwahl 2004 durch Gerrymandering vermasseln. Das schlug allerdings fehl. Eder wurde trotzdem wiedergewählt.

Das ist der Teufelskreis der dritten Parteien, der Third Parties, in den USA: Weil sie kaum Mandate erringen können, hält niemand eine politische Spende an diese Gruppierungen für lohnend. Und ohne Geld erlangen diese Parteien keine Plazierungen in den Medien. Und landen im Tal der Unsichtbarkeit.

Auch stehen den Third Parties keine Netzwerke von politischen Stiftungen und Multiplikatoren in der Öffentlichkeit zur Verfügung. Das ist natürlich besonders verhängnisvoll, wenn eine solche Dritte Kraft eine echte Kehrtwendung in der Politik, einen Paradigmenwechsel, durchsetzen will. Zum Beispiel den Militär-Industriellen Komplex abbauen und öffentliche Gelder stattdessen in soziale Projekte und Infrastrukturprogramme umleiten. Solche anspruchsvollen Aufgaben bedürfen der Begleitung durch sympathisierende Wissenschaftler und durch Persönlichkeiten, die die Botschaft einprägsam an die Leute draußen im Lande weitergeben können.

Die aktuellen Präsidentschaftskandidaten der Green Party stehen jedoch ohne solche Netzwerke da. Sie schöpfen einfach aus ihrem ganz persönlichen Erfahrungsschatz und zaubern ein paar Forderungen aus dem Ärmel. Kurze Zeit brachte sich die ehemalige Luftwaffenoffizierin und jetzige Selfmade-Unternehmerin Gail Parker aus Virginia als Präsidentschaftskandidatin ins Gespräch. Parkers einzige Forderung: Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Ihr knackiges Motto: Gail for Rail. Frau Parker, die sich in Uniform vor den Stars and Stripes präsentiert, konnte jedoch die Grünen nicht überzeugen.

So präsentiert sich Kat Swift auf ihrer Homepage...

Noch im Rennen ist Kat Swift. Die 35-jährige Parteiaktivistin nennt als wichtige Themen: Abschaffung der Todesstrafe, Abschaffung des Verbots, die US-Fahne zu verbrennen; Marihuana-Legalisierung; das Recht, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen; Abschaffung der Schulgebete; Abschaffung der Erderwärmung; eine US-Außenpolitik, die Vertrauen schafft, sowie u.a. einen gesetzlichen Mindestlohn, der ein vernünftiges Leben ermöglicht.

Präsidentschaftskandidat Kent Mesplay, 45 Jahre, hat sich auch schon bei den Primaries im Jahre 2004 beworben. Mesplay ist studierter Mediziner mit Kenntnissen in der alternativen Medizin. Er hat einen Doktor in Biomedical Engineering und arbeitet als Inspektor für Luftsauberkeit in San Diego. Ein Regierungsprogramm nach Mesplay würde hauptsächlich die Gesundheitspolitik umfassen, sowie einen humaneren Umgang mit mexikanischen Einwanderern. Gefragt, welchem Präsidenten er nacheifern würde, nannte Mesplay Theodore Roosevelt. Roosevelt ist tatsächlich ein mächtiger Förderer des Naturschutzes gewesen, hat aber auch als Großwildjäger in Ostafrika gigantische Leichenberge von erschossenen Tieren hinterlassen. Zudem war „Teddy“ Roosevelt einer der brutalsten Imperialisten der US-Geschichte, was besonders den Bewohnern der Philippinen in schlimmer Erinnerung geblieben ist.

Das sind vermutlich Aspekte, die der sanfte Mesplay nicht gemeint hat. Hier zeigt sich jedoch das verschwommene politische Profil der US-Grünen. Bei der GPUSA sammeln sich die unterschiedlichsten Strömungen. Neben den am stärksten wahrgenommenen Althippies gibt es die Strömung der Libertären. Die Libertären stellen in den USA, anders als in Europa, eine Bewegung dar. Sie fordern so wenig Staat wie möglich. Die Bürger sollen Selbstverantwortung und Eigeninitiative aufbringen. Größtmögliche Selbständigkeit der Kommunen auf Kosten der Bundesbehörden. Eine Art wirtschaftsliberaler Anarchismus. Aus dem Schoß der Libertären ging einstmals das neoliberale Paradigma hervor. Kent Mesplay fühlt sich den Libertären verbunden.

Es gibt unterhalb der Republikanischen und der Demokratischen Partei ein nicht zu unterschätzendes Segment von Third Parties, die auf Wählerpopulationen hoffen, die bislang den Weg zur Wahlurne gescheut haben. Tatsächlich kann sich ein US-Präsident lediglich auf etwa 12 bis 25% der wahlmündigen Bevölkerung berufen. Auch das Wahlvolk wird nach allen Regeln der Kunst vergrämt. Die Wähler müssen sich registrieren lassen, um wählen zu dürfen. Dann müssen sie sich mitten an einem Werktag von der Arbeit beurlauben lassen, um dann womöglich stundenlang in einer Warteschlange zu stehen, bis sie ihren Stimmzettel einwerfen dürfen. Wenigstens müssen die Wähler heute keine Poll Tax, keine Wahlsteuer, mehr entrichten, wie noch in den frühen Sechziger Jahren. Es ist also nur zu verständlich, wenn bei Wahlen lediglich zwischen 40 und 55% der Wahlberechtigten ihr Recht in Anspruch nehmen.

Von den Third Parties hat bislang die von dem Milliardär Ross Perot aus dem Boden gestampfte Reform Party mit 18% bei den Wahlen 1992 das beste Ergebnis erzielen können. Daneben gibt es noch die Libertarian Party, und die Green Party. Das Personal der drei mittelgroßen Parteien überschneidet sich, und auch die Wähler bevorzugen mal die eine, mal die andere Third Party.

Da ist zudem ein Nährboden für bizarre politische Glücksritter. Der Republikaner Pat Buchanan kommt aus der äußersten rechten Ecke, erreicht aber mit seiner Kritik an der Regierung gelegentlich einen Gleichklang mit linken Positionen. Buchanan kandidierte für die Reform Party. Der Selfmadeunternehmer Daniel Imperato dient sich mal den Grünen, mal den Libertären, mal der Reform Party als Führer an. Macht großspurige Versprechungen, und blitzt immer wieder ab.

Anerkannter Kandidat der Green Party ist dagegen Jesse Johnson. Johnson spielt in der West Virginia Mountain Party eine führende Rolle. Die Mountain Party ist eine eigenständige Regionalpartei, die sich der GPUSA assoziiert hat. Johnsons Interessen liegen im Medienbereich. Gewalt raus aus den Medien. Erzieher sollen nach Leistung bezahlt werden. Johnson engagiert sich für den Schutz geistigen Eigentums.

Elaine Brown, 65 Jahre, war bis 1977 im Vorstand der Black Panther Party. Brown bietet einen umfassenden Maßnahmenkatalog, der alle wichtigen Bereiche umfaßt. Das läßt sich zusammenfassen mit: Umverteilung des Vermögens von oben nach unten; kostenlose Gesundheitsversorgung und Ausbildung; gesetzlicher Mindestlohn von 25 Dollar, oder auch Abschaffung der Atomwaffen. Brown unterscheidet sich von ihren Mitbewerbern durch den Kampf gegen das horrende Wachstum des Gefängniswesens in den USA (Im Strudel der Gefängnisindustrie). Ende 2007 zog Elaine Brown allerdings ihre Kandidatur zurück und trat aus der Green Party aus. Sie beklagte, eine neoliberale Clique habe sich der Partei bemächtigt und sei dabei, ökologische und basisdemokratische Grundsätze über Bord zu werfen.

Bis vor kurzem kandidierte zudem noch der „Hip-Hop-Professor“ Jared Ball. Ball ist Irak-Veteran und studierter Historiker, mit Schwerpunkt afrikanische Geschichte. In der Hauptstadt Washington ansässig, nimmt er einen Leharauftrag wahr und moderiert im Lokalfunk Musiksendungen. Ball wollte die ethnischen Minderheiten, die „schlafenden Wähler“, für die Grünen gewinnen durch eine DJ-Hip-Hop-Tour durch die Ghettos der USA.

Ralph Nader

Möglicherweise hat die Kandidatur Ralph Naders Al Gore die Präsidentschaft gekostet

Ein gewisser Howie Hawkins ist auf der Kandidatenliste eingetragen. Er macht aber nur den Platzhalter für jene Eminenz, auf deren Eingreifen in die grünen Primaries manche inständig hoffen, andere Grüne jedoch eher beten, der Kelch möge an ihnen vorbeiziehen: Ralph Nader. Der weltberühmte Anwalt der kleinen Leute möchte sich nicht in den Primaries verbrennen. Der 73-Jährige passt eigentlich nicht so ganz in das Tableau der Grünen.

Unerschrocken hatte Nader Mitte der sechziger Jahre detailliert aufgezeigt, was die US-amerikanische Autoindustrie ihren Kunden da eigentlich für verkehrsuntaugliche Schüsseln anzudrehen wagten. Nach einer Schockphase hatte man Nader dann in den medialen Mainstream aufgenommen. Schließlich halfen Naders Auspeitschungen den Autokonzernen, kostenlos mögliche Verhängnisse ihrer Betriebsblindheit rechtzeitig vermeiden zu können. Da Nader auch noch den ausländischen VW-Käfer aufs Korn nahm („fahrender Sarg“), war Nader endgültig in den Olymp der Promis erhoben worden. Nader regte US-Bundesbehörden an, die Richard Nixon verwirklichte. 1971 gründete er mit Public Citizen eine bundesweite Verbraucherzentrale.

1992 kandidierte Nader auf eigene Rechnung für das höchste politische Amt der USA. 1996 wiederholte er den Versuch, diesmal in taktischer Nähe zur Grünen Bewegung. Am meisten Interesse erregte seine dritte Kandidatur im Jahre 2000. Diesmal trat Nader als offizieller Kandidat der Green Party an, und konnte trotz aller Schwierigkeiten bundesweit beachtliche 2.74% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Das ist deswegen beachtlich, weil Nader ja nicht in allen Bundesstaaten kandidieren durfte. Die Kontroversen jener Tage sind noch wohlbekannt: Nader habe Gore die entscheidenden Stimmen abgejagt, und damit George Bush junior in das Weiße Haus geschubst.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Debatte gab es bei der Präsidentschaftskampagne im Jahre 2004 ein nervöses hin und her zwischen Grünen und Nader. Folge: Nader kandidierte zusammen mit dem führenden Grünen Peter Camejo als unabhängiger Kandidat, der teilweise von Grünen, aber auch von den Anhängern der Reform Party gewählt wurde. Für die Grünen gingen David Cobb und Pat LaMarche ins Rennen. Beide Paare standen danach wie begossene Pudel da. Die Ergebnisse blieben weit hinter 2000 zurück. Die gewonnenen Vorteile beim Ballot Access waren verspielt.

Es ist eine heikle Interessengemeinschaft zwischen Nader und den Grünen. Nader hatte den Grünen durch seine Kandidatur Auftritte in Mainstream-Medien verschafft, die sie allein niemals ergattert hätten. Der Ertrag bestand in sprunghaft angestiegenen Mitgliederzahlen im Verlauf der Kampagnen. Die Green Party begab sich damit in eine ähnlich riskante Abhängigkeit von einem TV-Prominenten wie die WASG von Oskar Lafontaine oder die britische Partei Respect von ihrem Aushängeschild, dem ehemaligen Labor-Vorständler George Galloway. Die WASG machte beide Ohren zu, als Lafontaine von „Fremdarbeitern“ sprach und die Folter von der Kindesentführung Verdächtigten befürwortete.

Neben dem Risiko, den Launen eines Prominenten ausgeliefert zu sein und im Medienloch zu versinken, wenn der Promi mal ausfällt, ist es auch für Mitglieder der Green Party nicht immer klar, wie sich die Ausrichtung nach einem Promi mit den Prinzipien der Basisdemokratie vereinbaren lassen soll. Deswegen lässt sich Nader jetzt den Stuhl zunächst einmal warmhalten und bleibt unsichtbar.

Cynthia McKinney – neue Hoffnung der Grünen

Zudem ist plötzlich die alte Balance zwischen Nader und GPUSA empfindlich durcheinander gewirbelt durch den Auftritt von Cynthia McKinney. Mit McKinney entert zum erstenmal eine erfahrene Parlamentspolitikerin die grüne Szene. Cynthia McKinney war von 1993 und 2003 Mitglied im Repräsentantenhaus, dem Unterhaus des US-Kongresses. Die afroamerikanische Abgeordnete der Demokraten für einen Wahldistrikt in der Coca-Cola-Metropole Atlanta im US-Bundesstaat Georgia hatte in diesen zehn Jahren Parlamentsarbeit die Reichen und Mächtigen derart geärgert, dass die Hierarchien der Demokraten sie aus dem Parlament herauskickten. Auch als sie zwischen 2005 und 2007 ihr altes Mandat wiedererlangen konnte, hatte sie ihre Lektion nicht verinnerlicht. Wieder einmal tat sie alles, was sich für eine Abgeordnete nicht gehört: nämlich sich für die unteren Segmente der Gesellschaft einzusetzen und die Mächtigen frontal anzugreifen. Michael Moore bringt McKinney bereits 2002 in „Stupid White Men“ – ein bisschen spaßhaft – als mögliche US-Präsidentin ins Gespräch („... die fähigste Person im gegenwärtigen Kongress.“)

Als im Nachhall der Attentate vom 11. September 2001 die Zustimmung der Bevölkerung zur Bush-Regierung laut Umfragen auf über 80% angestiegen war, forderte McKinney gründliche Untersuchungen der Hintergründe des Anschlags. Sie stellte in Presseerklärungen die Frage, ob zwischen den Kursgewinnen der Mischkonzerne Halliburton und Carlyle nach 9/11 und den Beteiligungen der Bush-Sippe an diesen Konzernen und ihren Gewinnen ein Zusammenhang bestehen könnte. Auch die engen persönlichen und geschäftlichen Bindungen zwischen den Häusern Bush und Bin Laden ließ sie nicht unerwähnt. Um dann auch noch auf die Geschäfte der Bush-Sippe mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg anzuspielen.

Cynthia McKinney. Bild: runcynthiarun.org

Die Flutkatastrophe in Folge des Hurrikans Katrina brachte die Rettungsmaßnahmen der Regierung ins Zwielicht. Der Vorwurf wurde laut, die Hilfskräfte des Bundes hätten rasche Hilfe nicht nur verschlampt, sondern sie hätten sogar Fluchtwege der Flutopfer blockiert. McKinney veröffentlichte einen eigenen, äußerst kritischen Untersuchungsbericht über die Regierungsmaßnahmen. Nachdem sie in der Zeitung gelesen hatte, dass die Betreiber eines Pflegeheimes im Katastrophengebiet wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wurden, weil 34 Pflegeinsassen in den Fluten ertrunken waren, fragte sie im parlamentarischen Untersuchungsausschuss den vorgeladenen Heimatschutzminister Michael Chertoff ganz direkt: „Herr Minister, wenn die Betreiber des Pflegeheims wegen fahrlässiger Tötung verhaftet wurden, warum sollten Sie dann nicht auch wegen fahrlässiger Tötung eingesperrt werden?“

Das Maß war voll, als Cynthia McKinney auch noch Amtsenthebungsverfahren gegen Bush und Cheney auf den Weg brachte. An dirty tricks gegen McKinney hatte es nie gemangelt. Schon 1995 verfügte das Oberste Gericht der USA, McKinneys Wahlbezirk müsse so umgebaut werden, dass er nicht länger eine Mehrheit der Afroamerikaner enthalte. Doch auch dieses höchstrichterliche Gerrymandering konnte die Abwahl McKinneys nicht erzwingen. Im Jahre 2002 verlor McKinney jedoch die Vorwahlen gegen die afroamerikanische Richterin Denise Majette. Im Bundesstaat Georgia sind sog. open primaries vorgeschrieben. Jeder interessierte Bewohner des Bezirks kann sich in die Wahlliste eintragen und bei den Demokraten mitstimmen, auch wenn er eher den Republikanern nahesteht. McKinney focht die Niederlage an, weil sie vermutet, dass massiv Republikaner-Sympathisanten bei der Vorwahl eingeschleust worden seien, um sie zu erledigen.

Am 26. März 2006 wurde ein läppischer Vorfall zum Megaskandal aufgebläht. Als Cynthia McKinney morgens das Kongressgebäude betrat, erkannte sie ein Securityman nicht und wollte sie im Foyer festnehmen. Es kam zu einem kleinen Gerangel. Die Presse tönte etwas von „ungebührlichem Verhalten“ und meinte die Abgeordnete: sie sei nicht länger tragbar. Man sprach gewichtig vom Capitol Hill Police Incident.

Bei den Vorwahlen wurde der Afroamerikaner Hank Johnson, der der pseudobuddhistischen rechten Soka Gakai-Sekte angehört, gegen McKinney in Stellung gebracht. Nachdem McKinney sich nicht eindeutig gegen Johnson durchsetzen konnte, tauchten bei der Finalrunde plötzlich 8.000 neue Leute beim Primary auf. Johnson triumphierte.

Also trat McKinney im September 2007 aus der Demokratischen Partei aus und ließ sich im Oktober offiziell bei der Wahlbehörde als Kandidatin der Grünen registrieren. Und nun kommt ein ganz neuer Druck auf McKinney zu. Sie muss das nötige Wahlkampfgeld für ihre Kampagne ganz allein auftreiben. Das hat seine schon rein äußere Wirkung. Die Videobotschaft, in der Cynthia McKinney ihre Kandidatur für die Präsidentschaft ankündigt, trieft von vaterländischem, staatstragendem Geist. Denn dieses Video soll offenkundig in erster Linie Sponsoren ansprechen. Frau McKinney hat ihre Afrofrisur gezähmt wie eine Diakonisse. Ordentlich geschminkt und gewandet in einem eleganten Kostümkleid mitsamt Halskette sieht sie aus wie eine afroamerikanische Antwort auf Hillary Clinton. Hinter ihrem Rednerpult ein großer Flachbildschirm, eine virtuelle US-Fahne zeigend. Selbige wird von Algorithmenwinden zum Wallen gebracht.

Und McKinney beginnt patriotisch: „... die Welt schaut noch immer auf Amerika als Führungsmacht. Und jetzt müssen WIR diese Führer sein.“ Die Forderungen, die sie aufstellt, klingen indes vernünftig: Abzug aus Irak, das Geld stattdessen in Bildung stecken; regenerative Energien machen die USA unabhängig vom Öl. Und gestenreich unterstreicht sie, dass jetzt die Grüne Partei ihre Heimat sei. Als Cynthia McKinney noch Teil der mächtigen Demokraten war, konnte sie sich noch ein rebellisches Auftreten erlauben...

Kandidat Jared Ball hat seine Kandidatur zurückgezogen und will jetzt McKinney unterstützen. Sie werben bei den Minorities, die bislang mit den Grünen nicht viel anfangen konnten. Viele Grüne sind angetan von ihrer neuen Frontfrau. Schon bei früheren Präsidentenwahlen wünschten sie sich das Traumpaar Ralph Nader und Cynthia McKinney. Am 5. Februar werden in einigen Bundesstaaten auch für die Grünen wichtige Primaries stattfinden. Dann wird man mehr wissen. Ob ER einsteigt, der berühmte Ralph Nader. Und mit wem.

Möglicherweise könnte eine solche Paarung die GPUSA als Third Party erheblich aufwerten. Es stellt sich nur die Frage, ob die erfolgreiche Umfunktionierung der Grünen Partei von einer Basisbewegung zu einer Wahlkampfmaschine mit outgesourcten Spitzenkandidaten, die alle zwei Jahre sich den Wahlkämpfen widmet, allzu lange dem Schicksal der deutschen Grünen Partei entkommen kann. Der Apparat ist alles, das Ziel ist nichts?