Polizeikosten im Fußball: Wer zahlt die Zeche für die Sicherheit?

Fußballfans in einem Stadion

(Bild: Queen soft/Shutterstock.com)

Polizeikosten können jetzt auf Vereine umgelegt werden. Was das für den Fußball, das Demonstrationsrecht und die Polizei bedeutet. Ein Kommentar.

Im April 2015 fand das 102. Nordderby zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im Bremer Weserstadion statt. Franco di Santo erzielte in der 84. Minute vom Elfmeterpunkt das entscheidende und einzige Tor des Tages. Es sollte in die Rechtsgeschichte eingehen.

Weil in den Tagen nach dem Fußballfest ein Kostenbescheid in der Frankfurter Zentrale der Deutschen Fußball Liga (DFL) einflatterte.

Grundlage war eine Gesetzesänderung im Stadtstaat Bremen: Bei kommerziellen Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern sollen und können anfallende Polizeikosten auf die Veranstalter übertragen werden. Das betrifft vor allem Spiele der Fußball-Bundesliga, die Vereine sollen die "Veranstaltungsabgabe" zahlen.

Beim damaligen Nordschlager waren laut Polizeipräsident Lutz Müller 969 Beamte im Einsatz. Sie leisteten 9537 Arbeitsstunden, Kostenpunkt satte 425.718,11 Euro.

Die DFL zog mit der weitsichtigen Klarheit, dass dies das Profitmodell "Profifußball" erheblich schmälern könnte, durch die juristischen Instanzen, und verlor. Letztinstanzlich ein Jahrzehnt später in Karlsruhe: die Vereine dürfen zur Kasse gebeten werden.

Versuchsobjekt Stadionbesucher, ohne Rechtfertigung?

Dass die beiden Fanszenen aus Bremen und Hamburg nicht besonders gut aufeinander zu sprechen sind, mag eine Binsenweisheit sein. Dazu ist die sportliche Konkurrenz zwischen Weser und Elbe historisch gewachsen.

In beiden Stadien geben gut organisierte Ultragruppierungen den Ton an, beide "Szenen" verfügen über ein Potenzial an gewaltsuchenden (Kategorie C) und gewaltbereiten Fußballfanatikern (Kategorie B).

Die Behörden sind durch szenekundige Beamte (SKB), Stadionverbote, Kameraüberwachung in den Stadien und allerlei andere Repressalien in der Regel gut über "ihre" Pappenheimer informiert.

Die "Tatorte" der Fußballgewalt haben sich seit Jahrzehnten vom Stadionumfeld auf Drittorte verlagert. Als Beleg mag gelten, dass der Bremischen Bürgerschaft auf eine parlamentarische Anfrage alle (!) Ultra- und Hooligangruppen des SV Werder Bremen zahlenmäßig genau aufgelistet werden konnten. Diese ergab: 85 Hooligans, 410 Ultras. 500 Krawallos für einen Einsatz von Polizeikräften aus mehreren Bundesländern?

Dumm nur: Es fehlt an Beweisen. Nach der Sachverhaltsdarstellung des Bundesverfassungsgerichts anhand der Polizeiberichte vom Spieltag 2015 musste man zugeben, dass, trotz anderer Einschätzung im Vorfeld, alles "glatt" gelaufen ist. Körperliche Auseinandersetzungen Fehlanzeige, der Bürgerkrieg ist ausgeblieben.

Bezahlt werden muss trotzdem. Die kluge, weil fadenscheinig-hypothetische Begründung: Ohne Reiter- und Hundestaffel, ohne behelmte Beamte wäre aus dem "Event" Bundesligaspiel eine krude Mischung aus Loveparade und offener Feldschlacht geworden. Der Pistolero von Augsburg und die Scheindebatte

Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft der Männer, die teilweise in Deutschland ausgetragen wurde, analysierte der Journalist Oliver Rast das Stadion als "Verbotszone".

Der gemeine Fußballfan mutiert zum Anheizer konservativer Sicherheitsphantasien, befeuert eine bestehende Debatte um den Abbau erkämpfter bürgerlicher Rechtsgarantien.

Einschränkungen des Stadionbesuchs, Aufenthaltsverbote und Polizeigewalt gegen die mitunter größte Jugendsubkultur in Deutschland (die Ultrabewegung). Mittendrin die Profitinteressen der deutschen Fußball-Aktiengesellschaften und ihrer Lobbyorganisation (DFL).

Wie eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2023 feststellen musste, sind Stadionbesucher nach Demonstranten am zweithäufigsten von Polizeigewalt betroffen.

Kritisiert werden insbesondere der martialische und offensive Polizeieinsatz, fehlende polizeiliche Ermittlungen gegen die eigene "Truppe", fehlende dritte Beschwerdeinstanzen und fehlende Rechtsprechung zugunsten von Fans.

Entgegen allen wissenschaftlichen Empfehlungen handelt die Politik nicht: Die versuchte Erstürmung der Frankfurter Nordwestkurve durch die Polizei (aufgrund einer nachweislich erfundenen Bedrohungslage) und ihre repressiven Folgen können als vorerst letzter Beweis dieses Schreckens gelten.

Die Dachverbände der Fanhilfen kritisieren die Aufrüstung der Polizei: Schlagstock, Pfefferspray, Taser, Pistole. Sie fordern folgerichtig ein Verbot der Schusswaffe.

Seit Monaten geistern tragik-humoristische Spruchbänder durch die deutschen Kurven: "Knüppel und Gewalt scheint ihr zu genießen, wann fangt ihr an zu schießen?".

Beim Bundesligaspiel Augsburg gegen Gladbach gab ein BFE-Beamter, angeblich im Rahmen einer Wasserschlacht (!) mit Kollegen, einen scharfen Schuss ab.

Dieser verfehlte einen anderen Beamten nur um Millimeter und durchschlug die Scheibe eines menschenleeren Transporters des Gladbacher Fanprojekts. Im Klartext: Der Fußballfan und seine Vereine sollen, im doppelten Sinne, den Preis für Kaliber und Repression zahlen.

Das ist genau die falsche Debatte: Statt endlich über alternative Sicherheitskonzepte nachzudenken, die Polizei an die Kandare zu nehmen und "Intransparenz und Wildwuchs bei der Polizeieinsatzplanung" zu beenden (wie es in der Stellungnahme des Dachverbandes der Fanhilfen heißt), wird im neoliberalen Duktus über das Dilemma zwischen Kosten und Sicherheit diskutiert.

Echokammer Stadion als Versuchslabor

Jedes Wochenende pilgern Hunderttausende zu den Spielen des deutschen Fußballs, insgesamt gab es mickrige 7350 Straftaten in der Saison 2023/2024.

Auf den Einzelnen heruntergebrochen: ein Wert im Millipromillebereich. Das Oktoberfest sammelte in wenigen Tagen alleine über 1000 Straftaten, darunter dutzende Vergewaltigungen – eine Debatte über das Ende des Oktoberfestes blieb im CSU-Wunderland Bayern bisher aus.

80 Prozent aller Spiele verlaufen störungsfrei. In Baden-Württemberg hat sich das Stadionbündnis etabliert. Mit dieser Runde aller beteiligten Sicherheitspartner rund um Fußballstadien konnten tausende Polizeistunden eingespart werden, eine Ersparnis von zwei Millionen Euro jährlich. Wo der politische Wille vorhanden ist, scheint ein anderer Weg möglich.

Es drängt sich der Gedanke auf, dass, wie der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, in seiner Stellungnahme deutlich machte, ein "Präzedenzfall für ganz Deutschland" geschaffen wurde.

Es ist zu befürchten, dass der Profifußball weniger Endpunkt als vielmehr Station auf dem Weg zur Abrechnung von Polizeikosten bei Demonstrationen oder politischen Versammlungen sein könnte.

Wenn bei Großdemonstrationen fünf- oder sechsstellige Summen veranschlagt werden, könnte die öffentliche Meinungskundgabe zum Erliegen kommen. Diese Gefahr besteht auch dann noch, wenn man das Argument gelten lässt, wenn es mit der Deutsche Fußball Liga mit ihrem Etat von fünf Milliarden Euro keinen politischen Privatmann und schon gar keinen armen Schlucker trifft.

Die DFL hat aus grundsätzlich anderen Gründen als dem Schutz demokratischer Rechte erfolglos geklagt.

Implikationen für die Zukunft

Es kann als sicher gelten, dass angesichts chronisch "schwarzer Nullkassen" Länder und Kommunen dem Bremer Beispiel folgen werden.

Das konservative Flaggschiff der Schweiz, die NZZ, bejubelt den juristischen Sieg mit dem Hinweis auf die gängige Praxis in der Schweiz.

Dort werden Risikospiele seit Jahr und Tag mit bis zu 250.000 Franken geahndet. Taylor-Swift-Konzerte hingegen kämen ohne Polizeirechnungen aus. Ein fades Argument: Zwar stellt das Urteil immer noch auf den kommerziellen Charakter ab und es muss eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegen, doch explizit politische Konzerte, Konferenzen oder Seminare sind damit nicht geschützt.

Entscheidend dürfte sein, dass die DFL die ihr entstehenden Mehrkosten auf die Vereine und damit über Umwege auf die Fans abwälzt. Eine Milchmädchenrechnung: Der Steuerzahler soll entlastet werden, damit der steuerzahlende Fußballfan die Suppe auslöffeln darf.

Es bleibt dabei, wie es Lisa Röttig im Namen des Dachverbandes der Fanhilfen auf den Punkt brachte: Sie nannte diese gefährliche Tendenz einen "Freifahrtschein für einen immer aggressiver und martialischer auftretenden Polizeiapparat". CDU und AfD wirds freuen.

Dass dies keine leere Floskel ist, sondern eine reale Thematik, zeigt das Beispiel Thüringenderby: Wenn in der viertklassigen Regionalliga (!) Carl Zeiss Jena auf den Nachbarn aus Erfurt trifft, ist die Frage offen, welcher der beiden abgestürzten DDR-Vereine die Zeche zahlen soll und kann. Erfurts Aufsichtsratsvorsitzender Meyer bringt es auf den Punkt: Die öffentliche Ordnung wird auf die "private Ebene" übertragen.